Susanne Messmer beklagt den Niedergang einer weiteren Ostbäckerei in ihrem Kiez: Die guten Ost-Schrippen!
Die erste Reaktion: „Oh nein, meine Kartoffelbrötchen!“ Die zweite: „Diese herrlichen Hefezöpfe!“ Und eine dritte: „Wo soll ich denn jetzt meine Brötchen kaufen? Die ollen West-Schrippen schmecken doch alle nach Gipsabdruck beim Zahnarzt!“
Der Grund für die Aufregung: Die Feinbäckerei Gabriel, die mit 121 Jahren älteste Bäckerei Pankows in der Florastraße 34, hat heute zum letzten Mal geöffnet. Wieder schließt eine dieser altehrwürdigen Institutionen, für deren Schrippen allein es sich lohnt, eher im Ostteil Berlins eine Wohnung anzumieten als im Westen.
Bäckermeister Jürgen Gabriel hat seine Lehre 1955 in der Bäckerei begonnen, 1981 übernahm er den Laden, aber sein Sohn wollte nicht weitermachen und ein anderer Erbe fand sich ebenfalls nicht.
Denn mit Brötchen ist es auch im Florakiez nicht mehr einfach, seine Miete zu bezahlen. Und was ist mit den jungen Familien, die aus Prenzlauer Berg verdrängt wurden und sich hier oft zu Baugruppen zusammen geschlossen haben und den Kiez in den letzten Jahren gewaltig aufgewertet haben?
Gabriel selbst vermutet, die müssen oft den Gürtel enger schnallen, um ihre Wohnungen abzuzahlen. Kann aber auch sehr gut sein, dass sie lieber lactosefreien Kaffee zum glutenfreien Kuchen mögen – oder beim Wochenendeinkauf eher volles Korn aus der Bio Company erwerben, im Rathaus-Center mit dem praktischen Parkhaus nebendran. Ach, die Welt kann wirklich ein böser Ort sein.
Wer noch einmal erleben will, wie schön sie wäre, wenn die Menschen ein wenig nachdenken würden, der muss heute noch einmal den Fuß in die Feinbäckerei Gabriel setzen. Allein dieser gute Duft nach Hefe! Die Körbe im großen Holzregal, mit den feinen, kleinen, festen Schrippen! Und dann die nette Frau Regge, die den leckeren Streuselkuchen immer so schön verpackt!
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