■ Surfbrett: Die Avantgarde der Hyperanalphabeten
Soziologen haben nie an die eine Welt der digitalen Bürger im Netz geglaubt. Das Internet zerfällt in beinahe unendlich viele Interessengrüppchen. Verbissene Computerfanatiker leben neben smarten Geschäftsleuten und zerknitterten Briefmarkensammlern. Eine Sondergruppe bilden die deutschen Netzavantgardisten, die das Internet für ihre eigene multimediale Erfindung halten und deswegen nicht glauben, die minimalsten technischen oder wahrnehmungsphysiologischen Bedingungen zur Kenntnis nehmen zu müssen. Das neuste Produkt dieser Gruppe heißt „convex tv“ (www .art-bag.net/convextv/). Es besteht aus einer einzigen Zeile, die so lang ist, daß sie auf keinen Bildschirm paßt. Windows sei Dank läßt sie sich zur Seite schieben. Ganz am rechten Ende offenbaren sich ein paar Adressen, die alle ein bißchen nach der letzten documenta aussehen. Wie dort steckt auch hier weiter nichts dahinter außer dem Namen, mit Ausnahme des Senders Radio Brandenburg vielleicht, der aus irgendeinem unerfindlichen Grund an diesem Werk beteiligt ist. Hier ist man in der Sackgasse gelandet, kein Link, der irgendwohin führt, nichts als rotbrauner Hintergrund und leerlaufende Grafik. Ist sonst kein schlechter Sender, aber das konvexe Fernsehen auf der Stufe des hypertextuellen Analphabetismus hat er wohl nicht erfunden.
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