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■ SurfbrettOnline zu lesen: Das Buch zum Netz

Verlage haben das Internet sehr schnell lieben gelernt. Nirgendwo lassen sich Bücher billiger vertreiben. Zu lesen sind sie allerdings dort fast nie. Das liegt nicht an der Datenmenge selbst dicker Wälzer, die leichter zu übertragen wäre als Bilder und Filme. Doch so selbstlos sind Verlage denn doch nicht. Sie wollen ihre Bücher verkaufen. Für Wendy M. Grossmanns Buch über das Internet hat die New York University Press eine Ausnahme gemacht. Die kostenlose Website unter www.nyupress.nyu. edu/netwars.html gibt einen Vorgeschmack davon, was sein könnte, wenn das Gerede über Multimedia, Channels und Web-TV aufgehört hat. Kein Mensch braucht ISDN-Standleitungen, um das World Wide Web zu genießen. Kapitel für Kapitel kann man in diesem Buch blättern, der Text ist blitzschnell geladen, keine läppischen Bilderchen lenken vom Inhalt ab – und das Wichtigste: Er ist nicht nur eine vollständige Kopie der gleichzeitig erschienenen, gedruckten Ausgabe. Er kommt mit den Anmerkungen der ersten Leser auf den Bildschirm. Selbstverständlich können sie jederzeit ergänzt werden.

So mögen einst Mönche in ihren Kammern gelesen haben, nicht eine Massenware konsumierend, sondern vertieft in ein kostbares Konvolut, das nicht nur das Wissen eines einzigen Autors enthielt, sondern auch die Ergänzungen der Lesenden. Mehrere Generationen haben sich daran beteiligt, und erst sie machten einen Text zu einem lebendigen Werk des Geistes. Das wußte man damals noch sehr gut, man wird es in einem richtig verstandenen Internet wieder lernen.

„net.wars“ heißt das Buch von Wendy M. Grossmann, Autorin von „Wired“ und Studentin der Cornell-Universität. Es handelt von Kriegen, die zwar nicht blutig sind, dennoch aber darum geführt werden, Territorien zu besetzen. Keineswegs virtuelle, sondern durch materielle Interessen definierte Ländereien und Einflußgebiete in der virtuellen Welt der Computernetze. Aus dieser Perspektive läßt sich die kurze Geschichte des Internets sehr gut ordnen. Firmen kämpfen um Marktanteile, Eliten um die Führung, aber auch die unleugbare Sexmanie der Surfer erklärt sich wie von selbst. Wie anders sollte die Wetware, die für manche Webfundamentalisten schon dabei ist, in ein neues Zeitalter aufzubrechen, ihren wenig kompatiblen Gefühlshaushalt in die geruchlose Datenwelt einbringen? Wendy Grossmann schenkt den Parolen der Propheten keinen Glauben, sie stellt ihre Recherchen dagegen. Gerade deshalb meint sie, daß wir auf das Internet nicht verzichten sollten.

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