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Suhrkamp gegen Benjamins Erben

■ Der Herausgeber der Werke Walter Benjamins wirft Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld vor, den Erben Benjamins Honorare vorenthalten zu haben

Das Hamburger Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel‘ wirft dem Verleger Siegfried Unseld (Suhrkamp) unter Berufung auf ein neues Buch vor, den Erben des Schriftstellers Walter Benjamin jahrelang zuwenig Tantiemen gezahlt und möglicherweise seit 17 Jahren Benjamins Bücher ohne gesicherte Rechtsgrundlage herausgegeben zu haben. Unseld oder sein Verlag waren am Samstag nachmittag in Frankfurt, dem Verlagssitz, telefonisch nicht zu erreichen.

In einem Rechtsstreit soll geklärt werden, „ob seit 1972 alle Gesamt- und Einzelausgaben von Benjamin-Texten ohne juristische Grundlage erschienen sind und ob Unseld Jahr um Jahr neue Benjamin-Editionen auf den Markt geworfen hat, ohne durch mehr als seine Selbstherrlichkeit legitimiert zu sein“.

Der 'Spiegel‘ verweist auf die in dieser Woche im Buchhandel erscheinende Broschüre Die Abrechnung. Walter Benjamin und sein Verleger (Kellner Verlag, Hamburg, 64 Seiten, 15 Mark). Verfasser ist Dr. Rolf Tiedemann, Direktor des Theodor W. Adorno Archivs und Herausgeber des Gesamtwerks von Walter Benjamin im Suhrkamp Verlag. Darin wirft Tiedemann Unseld unter anderem vor, daß Honorarkürzungen des Suhrkamp Verlages gegenüber den Erben Benjamins mit „enormen Editionskosten“ begründet worden seien, obwohl diese Kosten in Wahrheit nicht vom Verlag selbst, sondern von drei namhaften gemeinnützigen Stiftungen getragen worden seien, bisher immerhin 625.000 Mark.

Tiedemann wirft Siegfried Unseld ferner vor, daß der Suhrkamp Verlag die mit Benjamins Sohn Stefan getroffene Vereinbarung über die Honorierung der jetzt abgeschlossenen Ausgabe der Gesammelten Schriften auf eine Weise eigenmächtig abgeändert habe, die den Herausgeber und den ihn vertretenden Anwalt Joachim Kersten von „Betrug“ und „arglistiger Täuschung“ sprechen lassen. Unseld habe zudem das von Benjamins Sohn Stefan eingesetzte Gremium „Nachlaßvollmacht Walter Benjamin“, das allein für alle verlags- und urheberrechtlichen Entscheidungen über das Werk des Philosophen und Schriftstellers zuständig sein sollte, mutwillig umgangen und ausgeschaltet. Diesem Gremium gehören Unseld wie Tiedemann an, nachdem das dritte Mitglied, der Philosoph Gershom Scholem, verstorben ist.

Nach Angaben Tiedemanns seien alle Bemühungen, den Suhrkamp Verlag zu einer Klärung der genannten Umstände zu bringen, erfolglos geblieben. Der Benjamin-Herausgeber hat eigenen Angaben zufolge am 21. Juni beim Landgericht Frankfurt gegen den Suhrkamp Verlag und gegen Unseld eine bislang noch nicht verhandelte Feststellungs- und Unterlassungsklage erhoben. Dabei geht es um drei Punkte: Unseld solle erklären, auf eine Ankündigung oder Herausgabe einer Taschenbuchausgabe von Benjamins Gesammelten Schriften zu verzichten, solange er keine Zustimmung des Nachlaß-Gremiums habe. Außerdem soll das Gericht feststellen, daß das Gremium über urheberrechtliche Fragen entscheidet. Ferner will Tiedemann erreichen, daß die Honorarvereinbarung zwischen Suhrkamp und den Testamentsvollstreckern Stefan Benjamins von 1976 unwirksam ist. Der Vereinbarung zufolge erhalten die Erben lediglich 4,875 Prozent des Ladenpreises, obwohl zehn Prozent üblich wären.

Der 1892 in Berlin geborene Walter Benjamin, der sich Ende September 1940 als Emigrant auf der Flucht vor den Truppen des Dritten Reiches in den Pyrenäen das Leben nahm, gilt als einer der einflußreichsten Denker und Schriftsteller dieses Jahrhunderts. Auf marxistischer Grundlage gibt er in seinen Werken scharfsinnige Analysen der modernen Gesellschaft, wobei seine Kritik die geistige und sittliche Korruptheit des Bürgertums trifft. Zu Benjamins Hauptwerken zählen Ursprung des deutschen Trauerspiels, der Aphorismenband Einbahnstraße, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert und Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus.

dpa

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