Süßstoffe: Keine Sünde ohne Reue
Stevia statt dick aber glücklich machendem Zucker? Auch bei exzessivem Gebrauch von Süßstoffen drohen Nebenwirkungen.
Süß liegt mit Sünde im Gleichklang. Der Stabreim bietet sich an für etwas, das auch inhaltlich nicht von der Hand zu weisen ist. Denn Zucker und Honig sind nicht nur süß, sondern auch kalorienreich. Den Schmelz der Zähne greifen sie zudem an. Damit es nicht so weit kommt, damit Karies und Kilos im Zaum gehalten werden, bietet die Chemieindustrie jede Menge Ersatz.
Mehr über Süßes - unter anderem vom Autor Till Ehrlich - lesen Sie in der sonntaz - ab Samstag zusammen mit der taz am Kiosk.
Zwei Klassen von Zuckerersatzstoffen gibt es: Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe. Alle gelten auf den ersten Blick als unbedenklich. Sünde ohne Reue. Auf den zweiten Blick sieht es nicht so gut aus. Die Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit, Isomalt, Maltit haben etwa halb so viele Kalorien wie Zucker. Für Diabetiker sind sie geeignet, weil sie nur langsam in die Blutbahn gelangen. Kariesfördernd sind sie auch nicht, weil sie für die säurebildenden Bakterien im Mund nicht verwertbar sind. Wohl aber können sie Durchfall verursachen. Höchstwerte sind trotzdem nicht definiert.
Mehr Nebenwirkungen können synthetische Süßstoffe haben. Die bekanntesten sind Aspartam, Cyclamat und Saccharin. Sie süßen 30- bis 3.000-mal stärker als Haushaltszucker - ohne Kalorien. Es sind Chemikalien, die die Geschmacksnerven täuschen. Der Körper scheidet sie aus, in den Klärwerken können sie nicht herausgefiltert werden. Über den Wasserkreislauf tauchen sie im Trinkwasser wieder auf.
Süßstoffe, die eigentlich beim Abnehmen helfen sollen, können den Appetit anregen. Dies zumindest wird in Tierstudien immer wieder bestätigt. Einige der Süßmittel stehen im Verdacht, Depressionen, andere Krebs zu fördern. Ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Diätlimonaden und Altersdiabetes ist auch nicht vom Tisch. Alles, was Süßstoffe vermeiden sollen, tritt durch die Hintertür wohl wieder ein.
Vor allem Aspartam ist stark umstritten. Weltweit ist es in über 9.000 Produkten enthalten. Die amerikanische Zulassungsbehörde für Lebensmittel und Medikamente bescheinigt Aspartam Nebenwirkungen, die sich wie ein Horrorkatalog lesen. Darunter Demenz, Blindheit, Epilepsie, Depression.
Weil das alles nicht so rosig ist, sind für Süßstoffe Höchstwerte für den Verzehr ausgegeben worden: etwa für Saccharin 5 Milligramm pro Kilo Körpergewicht täglich und für Aspartam 40 Milligramm. Die Richtgröße für diese Höchstmengen beziehen sich allerdings auf erwachsene Männer. Dies, obwohl vor allem Kinder zur großen Konsumentengruppe aspartamhaltiger Produkte wie Limonaden, Joghurts und Kaugummi gehören.
Es gibt noch eine weitere Zuckerersatzstoffgruppe: die aus der Natur extrahierten Süßmittel. Neohesperidin wird aus Zitrusfrüchten gewonnen. In den USA gilt es als gänzlich unbedenklich. Thaumatin wird aus einem afrikanischen Süßholz gewonnen.
Für Thaumatin sind in der EU keine Höchstwerte für den Verzehr vorgegeben, anders als im Fall des südamerikanischen Stevia-Krauts. Es hat die dreihundertfache Süßkraft von Zucker. In Japan und der Schweiz ist es zugelassen, in den USA und der EU nicht.
Die indianische Bevölkerung Paraguays benutzt Stevia als Süßstoff und Medizin. Angeblich übrigens auch zur Verhütung. Das hat die EU-Nahrungsmittelwächter auf den Plan gerufen. Umstrittene Studien mit Ratten, denen täglich Mengen Stevia bis zur Hälfte ihres Lebendgewichtes verfüttert wurden, führten zum Zulassungsverbot. Die Studien hätten gezeigt, dass die Pflanze die Fruchtbarkeit der Männchen schädigt. Dann eventuell auch die des männlichen Homo sapiens? Nur welcher Mann wird schon kiloweise Stevia essen?
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