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Sündenbock-betr.: "Heroisch in den Bunker" und "Grüne Politik ist nur noch gegen die GAL möglich", taz vom 2.3.90

betr.: „Heroisch in den Bunker“ und „Grüne Politik ist nur noch gegen die GAL möglich“, taz vom 2.3.90

(...) Nicht mal die 'Bild‘ ha über die GAL-VV behauptet, die „Dogmatiker der Zweistaatlichkeit“ hätten „logischerweise“ das „DDR-Volk als nationalistischen Mob“ beschimpft, „der nichts Besseres verdient hat, als vom bundesdeutschen Imperialismus gefressen zu werden.“ In solcher Stimmungsmache sieht Hartung offensichtlich eine Möglichkeit, von der antidemokratischen Mandatsmitnahme seiner Hamburger Freunde abzulenken, die sich ihre Niederlage nur durch „das Hervorzaubern geeigneter Statisten“ (M.Schmidt u.a.) erklären können. Es haben also nicht Subjekte mit eigenem Willen entschieden, sondern hervorgezauberte Statisten. Sehr menschenfreundlich! Leider hat Hartung „Erfolg“: Die taz-Leser (Ich weise darauf hin, daß wir auch Leserinnen zu unserem Fan-Kreis zählen. d.sin) werden nicht mal auszugsweise mit den in Berlin vorliegenden „verwerflichen“ GAL-Beschlüssen vertraut gemacht, dafür „erfahren“ sie aber, daß von der GAL „Intellektuellenfeindschaft mit Volksfeindschaft“ beantwortet worden sei. Ein paar Tage später hat der baden -württembergische Grüne Fritz Kuhn das dann nachgeplappert: „Wer weiter für Zweistaatlichkeit plädiere, propagiere „Volksfeindlichkeit“ (taz vom 5.3.90). Nachdem die GAL so der Volksfeindschaft überführt wurde, weshalb es nur konsequent ist, solchen Leuten die Möglichkeit der Darstellung ihrer eigenen Position zu verweigern, ist auch klar, daß das Werben einiger GALier für ein differenziertes Verhältnis zur PDS nur so kommentiert werden kann: „Unübersehbar schielen sie nach der PDS.“ Oder mit den Worten der EX-GALierinnen: „Wir werden den Weg des „linken Forums“ in eine GAL-PDS(!) nicht mitgehen.“ Solchermaßen von Hartung und seinen FreundInnen zum Abschuß freigegeben, weiß ich nun als ehemaliger Mitbegründer der Initiative zur Freilassung Rudolf Bahros, daß das Volk der DDR gut und die PDS schlecht ist. Ein paar Fragen habe ich trotzdem.

1. Was ist von solchen DDR-Bürgern zu halten, die ihrem Haß auf die „Polacken“ freien Lauf lassen und Anschlußgegner, wie der 'Spiegel‘ hämisch schreibt, unter anderem mit brennenden Fackeln lebensgefährlich bedrohen? Darf man sie kritisieren, oder muß man Verständnis für sie haben, weil sie Opfer der SED waren? Waren Sie nur Opfer?

2. Dürfen an Emanzipation interessierte Menschen schweigen, wenn der 'Spiegel‘ antisemitische Vorurteile gegen Gregor Gysi schürt und Hans Modrow, der praktisch dazu beigetragen hat, Gewalt in der DDR zu vermeiden, einer Hetzkampagne unterzogen wird?

3. Wenn Hartung schreibt, daß „sich jetzt ein gesamtdeutscher Kampf gegen ein Großdeutschland abzeichnet“, so frage ich, ob die PDS aus diesem Kampf ausgegrenzt werden soll? Nieder mit dem Gesocks? Nützt es irgendeinem Kampf um soziale, ökologische oder Fraueninteressen, wenn der Verweis auf die PDS schon ausreicht, ihn zu desavouieren?

Ja, das ist ein kompliziertes Thema. Mir fällt aber auf, daß die Stigmatisierung der PDS, die mangelnde Bereitschaft eine substantielle Veränderung der früheren SED auch nur in Erwägung zu ziehen, nur den harten Rechten und ihrer Anschlußpolitik nützt - in der BRD wie in der DDR. Selbst die DDR-SPD hat sich nun damit herumzuschlagen, daß sie an der entlastenden Erfindung des einen Sündenbocks mitgestrickt hat, der für alle Übel der DDR-Gesellschaft verantwortlich ist. (...)

Michael Stamm, GAL-Hamburg

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