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Südwest-UnionNachhaltige Suche nach Identität

Nach der Filbinger-Entgleisung von Ministerpräsident Oettinger sucht die Südwest-CDU nach einem neuen Profil. Und siehe da: Der Umweltschutz bietet sich an.

"Grasgrüne" Regierungserklärung: Ministerpräsident Oettinger Bild: dpa

Die Sätze könnten auf einem Grünen-Parteitag so beschlossen werden. "Wir brauchen eine neue Art des Wachstums", heißt es, "ein Wachstum, das die Bedürfnisse nachfolgender Generationen ernst nimmt und sicherstellt." Es folgen Begriffe wie "Niedrigenergiebauweise" und "ökologische Marktwirtschaft". Die Worte "Nachhaltigkeit" oder "nachhaltig" fallen 13-mal und am Ende fehlt eigentlich nur der Hinweis, dass die 15 Seiten doch bitte auf Recyclingpapier ausgedruckt werden sollten.

Die Südwest-CDU

Regierungspartei: Die CDU stellt in Baden-Württemberg seit 1953 ununterbrochen die Regierungschefs. Manchmal regierte sie allein, zwischendurch mit der SPD und zurzeit mit der FDP. Ministerpräsident Günther Oettinger führte 2006 zwei Sondierungsgespräche mit den im Land starken Grünen, doch es wurde nichts aus Schwarz-Grün. Mächtige: Oettinger ist zugleich CDU-Landesvorsitzender. Generalsekretär Thomas Strobl gehört zu seinen Getreuen, erarbeitet sich aber allmählich eine eigene Machtposition. Durch Abgrenzung von Oettinger inszeniert sich Stefan Mappus, Chef der Landtagsfraktion. Merkels wichtigste Vertraute in der Landespartei: Annette Schavan, Bundesbildungsministerin, und Volker Kauder, Unions-Chef im Bundestag. Wolfgang Schäuble begibt sich selten in die Niederungen der Landespolitik, genießt aber hohes Ansehen.

Das grüne Papier stammt von der CDU Baden-Württemberg - genau jenem Landesverband, der immer wieder als besonders konservativ auffällt, wenn es um Themen wie Atomkraft oder Kinderbetreuung geht. Doch gerade deshalb kann man an der Schrift ablesen, wie die Partei zurzeit darum ringt, im Jahr 2007 anzukommen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der zweitgrößte Landesverband eine grüne Operation eingeleitet, bei der sich Parteimitglieder die Augen reiben.

In den nächsten Tagen soll das Papier mit dem futuristischen Titel "Wachstum 2.0 - Nachhaltige und generationengerechte Politik für Baden-Württemberg" an die Kreisverbände verschickt werden. Im November soll ein Parteitag das Schreiben als Leitantrag beschließen. Die Schwerpunkte: Schuldenabbau, Klimaschutz, Umweltschutz sowie "Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Arbeitswelt", worunter auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fällt.

Gerade bei der Kinderbetreuung geht es CDU-Politikern aus Baden-Württemberg bisweilen zu schnell. Stefan Mappus, Chef der Landtagsfraktion in Stuttgart, schießt schon mal gegen ein "blindes Streben nach Modernität" in der Familienpolitik. Und Volker Kauder, Chef der Unionsfraktion im Bundestag, mahnt regelmäßig, die Hausfrauen dürften nicht vergessen werden. Kauder hat seinen Wahlkreis am Rande des Schwarzwalds.

Barbara Fink wohnt im Schwarzwald - 46 Jahre alt, CDU-Mitglied, katholisch, vier Kinder. Genau so eine, die die Konservativen in der Union vorgeblich beschützen, wenn sie gegen die neumodische Familienministerin Ursula von der Leyen (auch CDU) aus Berlin wettern. Doch Barbara Fink sagt: "Wir haben einen Nachholbedarf bei der Betreuung. Und das Familienbild hat sich geändert, ganz klar."

Kinder in die Kita

Fink hat an dem Leitantrag mitgearbeitet, denn sie sitzt im Landesvorstand der CDU. Sie ist Fachärztin für Radiologie und hat mit ihren vier Kindern alle Modelle durch: Während der Facharztausbildung übernahmen Großeltern und eine Tagesmutter die Betreuung, beim dritten Kind legte sie eine Familienphase ein und im Kindergarten waren ihre Kinder auch. Sie sagt, dass sie mit allen Varianten ein gutes Gefühl gehabt habe. Sie hört sich vor allem pragmatisch an. "Es sollte einfach Wahlfreiheit bestehen." So steht es auch im CDU-Leitantrag. Er verlangt zwar eine bezahlbare, arbeitsplatznahe und zeitlich flexible Kinderbetreuung und bei Bedarf Ganztagsbetreuung in Kindergärten und Schulen.

Solche Aussagen wären vor fünf Jahren in einem Richtungspapier noch undenkbar gewesen. Der Leitantrag fordert aber auch, die Hausfrau solle gesellschaftlich und finanziell gleichgestellt werden. Dazu passt sogar das von der CSU vorgeschlagene Betreuungsgeld. Kauder und Mappus können zufrieden sein.

Das ist der Trick der Operation "Nachhaltigkeit": Sich durch Themenwahl und Akzentuierung für moderne Wählerschichten hübsch machen, im Detail aber die Traditionsklientel mitnehmen - denn die sorgen immer noch für satte Mehrheiten.

Beispiel Atomkraft: Die Kernenergie wird zwar plötzlich als Übergangstechnologie eingeführt und die Konzerne sollen in einen Fonds für die Erforschung erneuerbarer Energien einzahlen. Zugleich wird allerdings gefordert, dass die Kraftwerke länger laufen dürfen als im Atomausstiegsgesetz festgelegt.

Beispiel alternative Energien: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, nach dem die Netzbetreiber den Windrad-, Solaranlagen und Biogasanlagenbetreibern Strom zum Festpreis abnehmen, wird zwar gelobt. Aber die Festpreise sollen durch Marktpreise plus Bonus ersetzt werden - ein Modell, das in Italien dafür sorgt, dass es mit den erneuerbaren Energien nicht vorwärts geht.

Beispiel Autos: Die Deckelung von CO2-Werten für Autos klingt im Daimlerland Baden-Württemberg zwar wie eine Frechheit. Doch zugleich wird den Autobossen versprochen, dass die CDU nach Fahrzeugklassen unterscheiden werde, "da sonst höherklassige Fahrzeuge quasi verboten würden".

Allerdings werden auch Forderungen aufgestellt, die deutschlandweit gesehen für CDU-Verhältnisse ungewöhnlich grün sind. Die Zersiedelung der Landschaft stoppen, im Staatsbudget dem Klimaschutz mehr Priorität einräumen, energiesparende Regierungsgebäude errichten, Kraft-Wärme-Kopplung beim Modernisieren von Kraftwerken vorrangig behandeln. Bemerkenswert ist die Forderung, den Flugverkehr so schnell wie möglich in den europäischen Emissionshandel einzubeziehen. "Als Übergangslösung fordern wir die Erhebung einer Ticketabgabe auf alle Flüge", heißt es. "Der Leitantrag soll ein Umdenken in der Partei herbeiführen", sagt Strobl zur taz. "Dass wir nicht mehr so weitermachen dürfen wie bisher."

Grüne sind skeptisch

"Das ist nicht nur ein grünes Geplapper", sagt Winfried Kretschmann, der Grünen-Chef im Stuttgarter Landtag über den Leitantrag. "Wenn das ernst gemeint ist, wäre das ein Fundament für Schwarz-Grün."

Kretschmann ist allerdings auch vorsichtig. Schon vor 20 Jahren habe die CDU eine grüne Charta beschlossen. Viel passiert sei nicht. Und nachdem Ministerpräsident Günther Oettinger vergangenes Jahr eine "grasgrüne" Regierungserklärung abgeliefert habe, sei er mit der Keule dagegen angegangen, dass Autos nur noch 120 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen. Im Leitantrag sollen nun 130 Gramm verankert werden - dies ist nicht ehrgeiziger als die Vorgabe der EU. Der Grünen-Chef fragt sich, warum die CDU so etwas macht. "Entweder, weil es jetzt gerade wieder in ist. Oder weil Klimaschutz und Ökologie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind."

Hinter dem Papier steckt Thomas Strobl, der 47 Jahre alte Generalsekretär des Landesverbandes. Der Jurist zählt zu den Vertrauten von Ministerpräsident Oettinger. Doch auch CDU-Politiker, die sich nach Oettingers Vorgänger Erwin Teufel zurücksehnen, nennen Strobl einen "anständigen Kerl".

Strobl baut seine Position aus. Als Oettinger nach der Filbinger-Trauerrede im April und dem Schlamassel um das rechtslastige Studienzentrum Weikersheim durch die Landschaft taumelte, griff der Generalsekretär durch und verlangte klare Abgrenzungen. Er kann sich das leisten. Als Bundestagsabgeordneter setzt er auf eine Karriere in Berlin, nicht in Stuttgart. Zudem zählt er als Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble zu Baden-Württembergs Parteiadel.

Natürlich wissen sie in der CDU, dass sie eine Runderneuerung nötig haben. Bei der Landtagswahl 2006 schnitt die Partei auf dem Land stark ab, in den Großstädten jedoch schwach. Die mickrigsten Ergebnisse holte sie in Freiburg, Stuttgart, Mannheim und Heidelberg, während sie im Allgäu, in Oberschwaben oder im Main-Tauber-Kreis glänzte. Kaum anders sah es bei der Bundestagswahl aus. "Wir verlieren in den Großstädten die Leute", sagt ein CDU-Politiker.

Mit der Begrünung versucht Strobl, junge, urbane Wähler aus der Mitte zu gewinnen. Für die Traditionsbataillone inszeniert er Aktionen, die nicht viel kosten. Neulich warb er beim Bundestagspräsidenten dafür, dass alle Abgeordneten in ihre Büros eine Deutschlandflagge stellen - so wie er selbst.

Schwarz-Rot-Gold und Grün dabei - das Spektrum im zweitgrößten Landesverband der CDU ist breit. Mitglied im Parteipräsidium ist der ehemalige Sozialminister Andreas Renner, der schon die Schirmherrschaft für den Christopher Street Day in Stuttgart übernahm.

Schwarz-Rot-Gold-Grün

Am selben Tisch sitzt der Bundestagsabgeordnete Georg Brunnhuber, der Oettingers verzerrende Filbinger-Rede als Meisterstück feierte. In der Trauerrede für den NS-Marinerichter Filbinger hatte Oettinger gesagt, dass "Hans Filbinger kein Nationalsozialist war". Oettinger hätte nichts gegen eine schwarz-grüne Koalition, sein Fraktionschef Mappus würde dagegen grundsätzlich immer die derzeitigen Partner von der FDP vorziehen.

Obwohl sie Vielfalt gewohnt sind, hat der Südwest-Landesverband Mühe, alles zu schlucken, was Angela Merkel der CDU verordnet. Der Ausbau der Kinderbetreuung oder die Bezeichnung von Deutschland als "Integrationsland" im Grundsatzprogramm der Bundespartei - da zucken immer noch einige. Strobl müsse mit seinem Leitantrag vorsichtig zu Werke gehen, heißt es. "Das kann sehr erfolgreich zünden", sagt ein CDU-Mann. "Es kann aber auch unseren Dachstuhl anzünden. Wir sind ja nicht gerade der Motor der Linksliberalisierung der CDU Deutschlands."

So würde sich auch Wolfgang Freiherr von Stetten nicht verstehen. Der Chef von Baden-Württembergs Senioren-Union gehört zum Konservativsten, was die CDU im Land zu bieten hat. "Ökopartei - das ist mir zu wenig", sagt der 66-Jährige. In 15 Seiten Leitantrag habe er 9 Seiten zu Umwelt, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Landverbrauch gezählt. Schule, Wirtschaft und Verkehr - davon sei zu wenig die Rede. Auch das Heimatland kommt von Stetten zu kurz. Die Aufbauleistung der Nachkriegsgeneration, die bewährte Politik aus 50 Jahren CDU-Regierung im Land: "Ich hätte gern ein bisschen mehr Baden-Württemberg drin."

Genau diesen Spagat will Generalsekretär Strobl eigentlich hinkriegen. Das Thema Klimaschutz soll Zukunft und Tradition verbinden. Er fordert die regionale Vermarktung von Produkten als Klimaschutzmaßnahme, was die Biogenießer in den Städten ebenso freut wie die Landwirte auf der Schwäbischen Alb. Er plädiert dafür, Urlaub im eigenen Land zu machen - das passt in die Interessen der dörflichen CDU-Klientel, passt zum Klimaschutz, passt zu konservativen Heimatpflegern. Strobl versucht dem C im Parteinamen Genüge zu tun: "Für uns Christdemokraten heißt Klimaschutz: Bewahrung der Schöpfung."

Parteiveteran von Stetten ist das "ein Touch zu wenig an christlichen Werten". Aber im Grunde ist er einverstanden. Einige Sitzungen noch und selbst die Senioren-Union kommt in der begrünten Südwest-CDU an.

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