: Südtirol: Kein Friede in Sicht
■ Nach Abschluß der letzten Autonomieregelungen für Südtirol zwiespältige Empfindungen und Bombenanschläge / Die italienische Minderheit sieht sich mit Dynamit zum Gehen aufgefordert
Aus Bozen Alexander Lange
Sechs Bomben gingen in einer einzigen Nacht in Bozen und längs der Brennerbahn hoch. Sie gaben kurz nach dem Abschluß des „Südtirolpakets“ zu verstehen, daß damit in Südtirol noch längst kein Fride einkehrt. Daraufhin machte sich in Bozen vor allem unter Italienern neue Verbitterung breit. „Wir nehmen sowieso schon um vier Personen pro Tag ab - und jetzt wollen sie uns noch mit Dynamit zum Gehen auffordern“, konnte man hören, obwohl die Urheber der Anschläge gar nicht so eindeutig auszumachen sind: „Jetzt haben wir ihnen ein großzügiges Autonomiepaket gegeben, und noch immer ists ihnen nicht genug. Da sieht man, wohin es führt, wenn der Staat die Hosen herunterläßt.“ Die Anschläge auf italienische Wohnhäuser und Einrichtungen - darunter auch auf den deutschsprachigen staatlichen „Bozner Sender“, der manchen als zu kompromißbereit gilt - haben für Klimaverschlechterung und neues Mißtrauen zwischen den beiden größeren Sprachgruppen des Landes gesorgt und defensiv–chauvinistische Gefühle bei manchem Sidtirol–Italiener ausgelöst, von denen heute schon ein gutes Drittel die neofaschistische MSI wählt: „Damit die Italiener in Südtirol sich nicht selbst aufgeben müssen!“ Der vergangene Woche zwischen der italienischen Regierung und der SVP–Spitze vereinbarte Kompromiß über die letzten Details einer seit 1969 dauernden Autonomiereform für Südtirol hat zunächst Erleichterung auf allen Seiten hervorgerufen. Mit der vorliegenden Endfassung der Sprachenregelung, der Schuleinschreibungsordnung und einiger über das Autonomiestatut hinausgehender Regelungen haben die deutschsprachigen Südtiroler ein außergewöhnlich hohes Maß an Minderheitenautonomie erhalten - vergleichbar nur noch mit jener der schwedischen Minderheit in Finnland. Aber richtig glücklich ist niemand. Die SVP ist im Zweifel, ob sie nicht doch noch mehr hätte herausschlagen können, und muß sich vom kleinen „Selbstbestimmungsflügel“ um den Südtiroler Heimatbund vorwerfen lassen, sie hätte sich endgültig mit der Brennergrenze abgefunden. Auch parteiintern wurden gewichtige Stimmen laut, die sich von der Autonomie eine noch weitergehende Rückverdeutschung Südtirols erhofften. Auf italienischer Seite rufen vor allem jene Autonomiebestimmungen Bedenken hervor, die es der SVP–Mehrheit im Lande möglich machen, die gesamte Wirtschaftsentwicklung, den Arbeits– und Wohnungsmarkt im Einklang mit ihrem „Volkstumskampf“ gegen die italienische Bevölkerung zu steuern. Viele befürchten, daß sich Südtirol immer stärker zu einem „italienischen Kossovo“ entwickeln könnte, in dem sich die „dominierende Minderheit“ der deutschsprachigen Südtiroler - hier mit gut zwei Dritteln in der Mehrheit - vom Staate abkoppelt und den Italienern, die seit rund 60 Jahren zugewandert sind, das Leben schwer macht. Was bei dieser in 19 Jahren zäher Verhandlungen erkämpften Lösung von der SVP versäumt wurde, ist die Herausbildung einer echten Interessengemeinschaft mit den im Lande lebenden Italienern. Nur kritische Minderheiten haben systematisch jene „Verbrüderung“ angestrebt, die von der SVP stets mißtrauisch als „Vermischungspolitik“ diffamiert wurde.
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