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Südosten der TürkeiPKK will Waffen niederlegen

Nach den Kämpfen im Südosten der Türkei mehren sich die Forderungen nach einer politischen Lösung. Auch die türkische Armee soll sich zum Waffenstillstand bekennen.

Eine kurdische Frau, aufgenommen im Oktober 2009, zeigt das Victory-Zeichen. Bild: reuters

ISTANBUL taz | Am Kriegsschauplatz im Südosten der Türkei steht möglicherweise eine Ruhepause bevor. Wie die unabhängige Zeitung Taraf berichtete, plant die Kurdischer Arbeiterpartei (PKK), für die Dauer des am Montag begonnenen muslimischen Fastenmonat Ramadan einen Waffenstillstand auszurufen.

Mehrere zivile Organisationen aber auch die kurdische Regionalpartei BDP haben bereits mehrfach einen Waffenstillstand gefordert, zu dem sich allerdings nicht nur die PKK, sondern auch die türkische Armee bekennen soll. Nach Informationen von Taraf wollte der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan gestern seinen Anwälten auf der Gefängnisinsel Imrali, wo er seit 1999 inhaftiert ist, Instruktionen für einen Waffenstillstand geben.

Öcalan war es auch, der im Mai einen zuvor ausgerufenen einseitigen Waffenstillstand der PKK für beendet erklärt hatte. Seitdem war es in den kurdischen Regionen wieder zu schweren Kämpfen gekommen, bei denen mehr als 50 Soldaten und eine unbekannte Zahl von PKK-Mitgliedern getötet wurden. Öcalan hatte mit der Aufhebung des Waffenstillstands auf die gescheiterte "Demokratieoffensive" der Regierung reagiert, in deren Rahmen Ministerpräsident Tayyip Erdogan einen neuen Vorstoß zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage machen wollte.

Die PKK und die Türkei

Auftakt: Am 15. August 1984 stürmte eine Gruppe PKK-Militanter eine Station der Gendarmerie in Eruh, unweit der türkisch-irakischen Grenze. Das war der Auftakt zu einem Guerillakrieg, der mittlerweile mindestens 40.000 Tote gefordert hat.

Ursache: Anlass für die PKK, loszuschlagen, war die Repression der Militärdiktatur nach dem Putsch 1980. Die kurdische Sprache wurde in der Öffentlichkeit verboten, die Existenz der Kurden mehr oder weniger geleugnet.

Höhepunkt: Anfang der 90er Jahre war der bisherige Höhepunkt in der militärischen Auseinandersetzung. Die Guerilla kontrollierte ganz Gebiete, die Armee war in der Defensive. PKK-Chef Abdullah Öcalan wurde 1999 in Kenia bei einer Geheimdienstoperation mit der CIA geschnappt.

Nordirak: Die PKK zog sich anschließend in den Nordirak zurück, sie kann von dort aus jederzeit wieder losschlagen. Seit 2004 wechseln sich Krieg und Waffenstillstand ab. (jg)

Die Initiative kam jedoch zum Stillstand, nachdem das Verfassungsgericht im letzten Herbst die kurdische DTP, die Vorgängerpartei der jetzigen BDP, verbot. Schon zuvor war die Rückkehr einiger PKK-Kämpfer zu einem Debakel für Erdogan geworden, weil die kurdischen Parteien den "Ex-Terroristen" einen triumphalen Empfang bereiteten und damit heftige Proteste von vielen Türken hervorriefen.

Mit dem de facto Ende der politischen Initiative begannen im vergangenen Herbst wieder neue Kämpfe zwischen der PKK und der Armee. Auf eine dieser Auseinandersetzungen im September letzten Jahres hat die taz gestern mit ihrem Bericht über einen möglichen Giftgaseinsatz gegen eine Gruppe PKK-Kämpfer Bezug genommen. Anlass waren Bilder schwer verstümmelter Leichen getöteter PKK-Kämpfer, die vom Menschenrechtsverein in Diyarbakir veröffentlicht worden waren.

Anders als von der taz in Deutschland befragte Experten, die den Einsatz geächteter Chemiewaffen für möglich halten, wurde in der türkischen Öffentlichkeit eher die Verstümmelung der Leichen thematisiert. Ein bekannter Leitartikler, Cengiz Candar, beklagte die Verrohung und den Verlust zivilisatorischer Normen angesichts der grausam entstellten Leichen.

Nicht zuletzt solche Bilder führten aber jetzt dazu, dass die Debatte über eine politische Lösung des Konflikts wieder in den Vordergrund gerät. Osman Baydemir, Oberbürgermeister der größten, überwiegend von Kurden bewohnten Stadt Diyarbakir, hat in einer öffentlichen Rede vor wenigen Tagen in der bislang konkretesten Form die Forderungen der kurdischen Vertreter noch einmal auf den Punkt gebracht. "Warum", fragte er, "soll nicht vor dem Rathaus in Diyarbakir neben der türkischen Fahne auch eine kurdische Fahne wehen?" Baydemir plädierte für eine Umwandlung der zentralistisch regierten Türkei in einen föderalen Staat, in dem es neben einer selbstverwalteten kurdischen Region auch eine Schwarzmeerregion und etliche weitere Regionen mit einem eigenen Regionalparlament und eigener Fahne geben sollte.

Die Vorschläge lehnen sich stark an das spanische Modell an und wurden erwartungsgemäß von den meisten Politikern und Kommentatoren heftig kritisiert. Cemil Cicek, stellvertretender Regierungschef und Repräsentant des nationalistischen Flügels innerhalb der AKP, wies den Vorschlag als absurd zurück, und die zuständige Staatsanwaltschaft leitete gleich ein Ermittlungsverfahren wegen Hochverrats ein.

Es gab aber auch ganz andere Stimmen. Ertogrul Özkök, Ex-Chefredakteur der Hürriyet und immer noch einer der einflussreichsten Kommentatoren des Landes, plädierte dafür, über die Kurdenfrage endlich ohne die bisherigen Tabus zu diskutieren. Dazu müsse selbst die Gründung eines eigenständigen kurdischen Staats gehören. Stellvertretend für die liberalen Intellektuellen, die der AKP nahe stehen, setze sich Mustafa Akyol mit dem Vorschlag auseinander. Sein Hauptpunkt ist, dass er eine Einteilung nach ethnisch definierten "autonomen Regionen" ablehnt und befürchtet, dass eine solche Debatte die meisten Türken nur in die Arme der Nationalisten treiben würde.

Doch auch wenn die AKP und die anderen Parteien im Parlament ein föderales System ablehnen, bieten das Verfassungsreferendum im September und die Wahlen im kommenden Jahr reichlich Gelegenheit für weitere Diskussionen.

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9 Kommentare

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  • M
    ManfredMann

    Die PKK hat nie Interesse an einen Frieden mit der Türkei, solange es die Türkei gibt. Das sieht man an den vielen Friedensangeboten, Waffenstillstands Erklärungen und, und, und... die dann wegen fadenscheinigen Argumenten wieder einseitig gekündigt werden. Solche Angebote dienen der PKK nur um sich zu sammeln. Mann sieht auch mit den Drogen und Schmuggeltransporten in Europa und Iran, welche Milliarden sich verdienen lassen und deshalb doch nie an einen wirklichen Frieden interessiert ist. Millionen Kurden verdienen ihr Geld mit Asylgeldern und Staatlichen Hilfsgeldern die doch mit einbisschen Weinen leicht verdient sind. Die PKK hat ja dazu noch Tausende Firmen die nichts verkaufen aber immer noch gut sind um fantasie Beträge zu tippen, um ihr Geld zu waschen. Man schaut sich die vielen Döner Buden, Möbelfirmen, und so weiter an... Menschenleer aber werden immer grösser und grösser. Mit unterstützung der jeweiligen Staaten um auch an dem bisschen Geld ranzukommen. Der Anspruch der Kurden Archäologisch zu bekräftigen ist ein totaler Hirngespinst und überhaupt nie bewiesen. Kurden haben keine Beweise ihrer Herkunft oder Abstammung. Schon gar nicht in der heutigen Türkei. Es stimmt das die Türken aus Zentralasien hergewandert sind, aber vor den Türken waren Perser, Armenier, Aramäer, Römer, Israelis, Araber, ja sogar die Griechen dort heimisch! Also mit welchem Historischem Recht nimmt sich der Kurde einen Anspruch zu erklären. Die Karl May Bücher sind noch lange kein Beweis dafür. Sonst müsste jede SciFi-Geschichte als echt angeschaut werden. Die Kurden haben ja nicht mal eine Lobby wie die Armenier, was wollen die überhaupt...? Die PKK wollen die Türken nur schwächen mit ihren unmoralischen Aktionen, und abschauen der Türkischen Kultur, wie z.B. die Fahne der Seldschuken zu übernehmen um die Türken zudemotivieren. Die Armenier haben den Ararat auf ihren Hoheitszeichen, wie soll das nur gut gehen??

  • I
    Ibrahim

    Lieber Sami,

    Kurden sollten sich also leugnen lassen, nur damit die Türkei/Türken glücklich sind und mit der Illusion leben, Türkei gehöre nur den Türken? Und deshalb da auch nur Türken leben?

     

    Kurden fordern nichts von den Türken, sie fordern nur das, was ihnen universell zusteht, das keiner Diskussion bedarf!

     

    Und da leider zu viele Leute, vor allem viele wie Sami geben, hier eine kurze Erklärung:

     

    Kurden in der Türkei sind keine Ausländer/Eingewanderte und fordern nun etwas... Dort, wo Kurden leben, das ist das Heimat der Kurden... Dort lebten Kurden schon lange, als die Türken nach Kleinasien eingewandert sind. Und Kurden fordern nichts, was weltfremd wäre, sondern nur das, was jedem Menschen zusteht, nämlich die Freiheit, über sich selbst zu bestimmen.

     

    Und wenn der Türke, der Russe, der Deutsche, der Chinese ... und und und... über sich selbst bestimmen darf, was ja auch vollkommen legitim ist, dann ist die Frage: Warum sollen die Kurden über sich selbst nicht bestimmen dürfen? Welches universelles Recht verbietet den Kurden dieses Recht?

  • N
    Nadi

    @Mosul

    Mit den Türken in einigen Hamburger Stadtteilen argumentiert auch die NPD und natürlich die Neonaziszene, vielleicht ist das Beispiel nicht ganz passend zur taz? Vielleicht stimmt es gar nicht: Wie viele Türken leben denn in Hamburg?

    Und über den Investitionsbedarf der kurdischen Gebiete stand regelmäßig etwas in der taz - seit Ende der 1980er Jahre. (Bist Du wirklich taz-Leser??)

     

    Ich denke, dass diese Geste nicht beim Durchschnittstürken ankommt. Die PKK sagt das ja auch, um einen weiteren Schritt: Der gegenseitige Waffenstillstand auszulösen, aber dann hätte die Türkei die PKK-Aufständischen als Ansprechpartner akzeptiert und das kann selbst Erdogan momentan nicht machen. Vielleicht bewirkt es aber wenigstens international etwas - schließlich gesteht ein türk. Admiral gerade, dass Kurden vom Staat außergerichtlich exekutiert wurden und bestätigt damit Reports von amnesty international. Das sollte doch jedem Leser zu denken geben, wenn ein Land seine eigenen Bürger außerhalb des Rechtssystems exekutiert hat (und vielleicht auch nocht tut).

  • M
    Mosul

    In Hamburg gibt es Stadteile in denen insbesondere Türken die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Somit wäre es also auch richtig zu fordern, dass diese Gebiete fortan unter Türkischer Herrschaft stehen?

     

    Ebenso könnten sich Teile NRW´s von Deutschland abspalten und eine Islamische Republick gründen.

     

    Der Kurdenkonflikt bedeutet, eine radikale Terroroganisation fordert mit Wafengewalt die Abspaltung von einem souveränen Staat!

     

    Wobei die meisten Kurden dies garnicht fordern und auch die PKK nicht unterstützen, was aber immer gerne so dargestellt werden will.

    Die türkischen Kurden sind auch keine homogene Masse, sondern haben je nach Region eine andere Kultur, Glauben und Sprache. Die meisten Kurden jedoch leben schon lange nicht mehr in Süd-Ost-Anatolien sondern in den türkischen Großstädten. In wiefern es verboten ist Ihre eigene Muttersprache zu sprechen verstehe ich nicht, zumindest im öffentlichen Leben ist dies erlaubt. Dass Kurdisch als Amtssprache gilt, ist jedoch utopisch und eine nicht erfüllbare Forderung. Wenn man sich jedoch auf unrealistische und weltfremde Forderung festsetzt, dann erreicht man genau das gewollte Ziel, einen nie endenden Konflikt zu verursachen.

     

    Die Region braucht Investition, mehr nicht. Genau das wird jedoch durch die PKK torpediert! Vielleicht sollte die TAZ mal dadrüber schreiben?

  • H
    Huss

    Diese Waffenruhe ist letztlich kein Waffenstillstand, sondern besagt, dass die Türkei und die PKK-Aufständischen sich nicht einigen können. Die Türkei verhandelt eben nicht (direkt) mit der PKK. Irgendwann muss sie das aber mal machen (Siehe Sinn Fein, Nordirland), weil es anders nicht funktioniert. Und Wahlen und Abstimmungen über die Zukunft der Türkei und Kurdistan wären auch hilfreich, weil sonst die Legitimation fehlt.

    Das Vorbild Baskenland hat m.M. nach Charme, weil es ein Europäisches Vorbild ist. Und da will die Türkei ja hin, nach Brüssel. Problematisch ist das aber schon, denn die Türken und Kurden müssen auch innerlich Frieden schließen (können). Und dazu muss sich die Türkei verändern und wie schwierig das ist, sieht der Leser ja bei der demokratischen Initiative von Erdogan.

     

    @Sami

    Wenn eine Fahne Frieden bringt und das Töten beendet, wäre das doch eine wirklich günstige Lösung. Die Türkei als Zentralstaat mit einer militärischen Kontrolle über die Bürger ist ein Auslaufmodell.

  • F
    flueggus

    @von Sami: Wo liegt bei der Forderung nach der kurdischen Fahne das Problem liegen?

    In jedem förderalen Staat sind die Flaggen der Länder, Regionen, Bundesstaaten, wie auch immer sie sich jeweils nennen, selbstverständlich neben der Bundesflagge zu sehen.

    Und dass auch die kurdische Fahne eine Selbstverständlichkeit sein kann, sehe ich jedesmal, wenn ich arbeiten bin, nur ein paar Kilometer südlich der türkischen Grenze.

  • S
    Serhildan

    @ Sami

    Das Recht auf Muttersprache ist ein absolutes Recht das jedem Menschen zusteht.

    Was Herr Baydemir gefordert oder gewünscht hat ist nicht ein unabhängiger Kurdenstaat, sondern ein autonomes kurdisches Gebiet innerhalb der bestehenden Grenzen der Türkei. Und dies sollte nicht als Sonderregelung für die Kurden gelten sondern die ganze Türkei sollte sich föderalistisch organisieren wie die Bundesrepublik z.B.

    Die Sorge um andere Minderheiten ist etwas Neues. Seit wann erkennt die Türkei Minderheiten an?

    Die Kurden machen die größte aus mit 1/3 der Bevölkerung. Sie berufen sich auf das Slbstbestimmungsrecht der Völker.

  • S
    Sami

    Baydemirs Forderung nach der kurdischen Fahne ist gänzlich unverständlich und scheint, angesichts der anderen Forderungen wie Ausbildung in Muttersprache, keinen Nutzen zu bringen. Ein föderaler Staat wäre vielleicht recht am Platze, doch einen kurdischen Staat in der Türkei zu dulden, das kommt gar nicht in Frage. Und das ist absolut kein nationalistischer Staatspunkt, sondern ein gerechter, wenn man auch alle anderen ethnischen Gruppen in dem Lande vor Augen führt, die im Falle der Gewährung eines kurdischen Staates ähnliche Ansprüche erheben könnten.

  • JS
    Jack Stern

    es wird immer diskutiert dass die türken nationalisten sind oder in die arme der nationalisten getriebn würden ich frage mich wie soll man den die kurden definieren die pkk unterstützen?