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Südkoreas Regierungspartei verliert Wahlen

■ Die Demokratische Gerechtigkeitspartei des Präsidenten Roh Tae Woh erhielt nach ausgezählten 90 Prozent der Stimmen 130 Sitze und ist die erste Regierungspartei ohne Mehrheit im Parlament

Seoul/Berlin (taz/ap/dpa/rtr) - Bei den Parlamentswahlen in Südkorea verpaßte die Regierungspartei „Demokratische Gerechtigkeitsparetei“ des Präsidenten Roh die von allen politischen Beobachtern erwartete absolute Mehrheit. Zu vergeben waren 224 Direktmandate in den einzelnen Wahlbezirken. Weitere 75 Sitze wurden nach einem Bonussystem unter den Parteien verteilt. Nach der Auszählung von 90 Prozent der Stimmen entfallen auf die Demokratische Gerechtigkeitspartei (DJP) 130 Sitze, auf die Oppositionsparteien der beiden Kims zusammen 128 Mandate und 35 Sitze und auf die rechtsradikale Neue Republikanische Demokratische Partei (NRDP) des ehemaligen Geheimdienstchefs Kim Jong Pil. Die DJP ist damit die erste Regierungspartei in der Geschichte des Landes, die im Parlament nicht über eine Mehrheit verfügt. Dennoch kann sich die Regierung Roh mit der Unterstützung der Ultrarechten auf eine 55prozentige Mehrheit im Parlament stützen, während die Kim–Parteien über 43 Prozent der Mandate verfügen. Im Oppositionslager ist durch die Wahl von Kim Dae Jung, der fortschrittlichere der beiden Kims gestärkt worden. Seine Partei erhielt 70 Sitze. Der bei den Präsidentschaftswahlen noch erfolgreichere Kim Young Sam kann sich nur auf 58 Mandate stützen. Insgesamt haben die Zerstrittenheit der Opposition und die Machtkämpfe zwischen den zwei Kims wohl einmal mehr einen Wahlsieg der Opposition vereitelt. Nachdem im politischen Frühling im Winter 1987 noch Hunderttausende die Wahlveranstaltungen der Kontrahenten besuchten, war der Wahlkampf diesmal von allgemeinem Desinteresse der 26 Millionen stimmberechtigten Wähler geprägt. Die Wahlbeteiligung lag mit 72 Prozent weit niedriger als noch im Dezember. Die Schlacht um die Wählerstimmen spielte sich diesmal eher in Restaurants und Tavernen ab: Mit Wein, gutem Essen und kleinen Präsenten versuchte vor allem die regierende DJP, sich die Gunst der Wähler zu erkaufen. Einig waren sich die Oppositionsparteien nur darin, ihre Sprecher schon vorzeitig über einen „nie dagewesenen Wahlbetrug“ klagen zu lassen. Am Montag abend hatten Mitglieder von Oppositionsparteien in einem Postamt südlich von Seoul 4.296 Briefe abgefangen. Jede Sendung soll 20.000 Won Bargeld (etwa 50 Mark) und Wahlwerbung für die Regierungspartei enthalten haben. Den Oppositionsparteien fehlte es allerdings an alternativen politischen Konzepten, nachdem Roh Tae Woo die Hauptforderungen der Opposition übernommen hatte. Während die Grabenkämpfe im Oppositionslager die öffentliche Diskussion bestimmten, war der Machtkampf um den Führungsanspruch in der „Gerechtigkeitspartei“ zwischen dem ehemaligen Diktator Chun Doo– Hwan und Roh Tae Woo längst beendet. Roh hat sich als Gallionsfigur eines moderaten politischen Kurses durchgesetzt und Chun als Inkarnation des Unrechtsregimes aus allen wichtigen Positionen gedrängt. Die Auszählung der Stimmen wurde in vielen Landesteilen durch Proteste der Opposition begleitet. In Kwangju, der Hochburg des Oppositionsführers Kim Dae Jung, standen rund 1.500 Studenten Polizeieinheiten gegenüber. In Seoul ging die Polizei mit Tränengas gegen die Studenten vor, die der Regierung Computermanipulation am Wahlergebnis vorwarfen. se

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