piwik no script img

Südkorea Das Verfassungsgericht billigt endgültig die Amtsenthebung von Präsidentin Park. Ihre Fans sind fassungslos, Proteste fordern ToteRichter setzen Staatschefin ab

Pro-Park-Demonstrant in Seoul, Freitag Foto: Kim Hong-Ji/reuters

aus SEOUL Fabian Kretschmer

Ohrenbetäubende Marschmusik von den riesigen Lautsprechertürmen, Tausende Demonstranten heben ihre Südkoreaflaggen in den azurblauen Himmel und stimmen patriotische Schlachtgesänge an. Dann, mit einem Mal herrscht an diesem Freitag vor dem Seou­ler Verfassungsgericht ganz abrupt eine geradezu gespenstische Stille. Vielen Menschen in der Menge, darunter gestandene Senioren mit kalter Miene und Machogehabe, rinnen dicke Tränen die Wangen hinab. Eine Dame in schwarzem Pelzmantel bricht zusammen und stößt archaische Trauerschreie aus.

Seit diesem Moment am Freitag ist Park Geun Hye ist nicht länger die Präsidentin Südkoreas. Die 65-jährige Politikerin habe „über die gesamte Dauer ihrer Legislaturperiode die Verfassung verletzt“, die Wahrheit verheimlicht und Regierungskritiker unterdrückt, urteilte Verfassungsrichterin Lee Jung Mi. Dreizehn Vergehen wurden ihr zur Last gelegt, darunter Bestechung und Korruption. Einstimmig urteilten die acht Richter für die Amtsenthebung. Damit schreibt die erste weibliche Präsidentin des Landes erneut Geschichte: Noch nie wurde ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt Südkoreas gefeuert.

„Die Linken haben heute gewonnen“, sagt Lee Hyeon Cheol, ein untersetzter Mann in Camouflage-Uniform, verspiegelter Sonnenbrille und Baseballcap. Sein Gesicht ist mit dunkler Tarnschminke eingeschmiert, auf seiner Visitenkarte stellt er sich als Armeeveteran vor. Wenn man seinen Erzählungen zuhört, dann befindet sich sein Heimatland noch immer im Kalten Krieg: „Der nächste Präsident wird nun wahrscheinlich von der Opposition kommen – ein Kommunist. Dabei haben wir jahrzehntelang gegen den Kommunismus gekämpft.“ Heute Abend werde er mit seinen „Kameraden“ zurückschlagen, sagt Lee, bevor er in einer Seitenstraße verschwindet.

Was der Park-Anhänger damit gemeint haben könnte, lässt sich nur wenige Straßen weiter in einem U-Bahn-Eingang erahnen: Eine Gruppe Rentner geht auf einen Fernsehjournalisten los, der sich nur mit Mühe aus dem Gedränge befreien kann. An einer Straßenkreuzung werfen Demonstranten mit Sojuflaschen, andere schlagen die Fenster von Polizeibussen mit Stöcken ein. „Setzen wir das Verfassungsgericht in Brand“, lautet eine der Parolen, die fanatische Park-Loyalisten immer wieder grölen.

Laut Angaben der Nachrichtenagentur Yonhap sind zwei Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei gestorben. Viele der 21.000 mobilisierten Einsatzkräfte sind junge Wehrdienstleistende. Sie könnten die Enkel der rüstigen Se­nio­ren sein, die sie in Polizeibusse abführen.

Die fanatischen Park-Anhänger sind nicht zuletzt ein Produkt jahrzehntelanger ideologischer Gehirnwäsche. Bis in die 1980er Jahre durchdrang tiefe Paranoia die südkoreanische Gesellschaft an der Front des Kalten Kriegs. Der Feind Nordkorea lag direkt vor der Haustür. Für alle Übel wurde Pjöngjang verantwortlich gemacht – auch für innere Opposition.

Dieses Freund-Feind-Schema überdauert bei den Park-Anhängern bis heute. Hinter jeder linken Demonstration vermuten sie nordkoreanische Agenten. Die geschasste Präsidentin hingegen verkörpert die Nostalgie an eine Vergangenheit, als Südkorea aus den Ruinen des Koreakriegs emporstieg. Unter Park Geun Hyes Vater, dem Militärdiktator Park Chung Hee, verhieß die Zukunft Wohlstand und Nationalstolz.

Kaum einen Kilometer entfernt haben sich die Park-Gegner am Gwanghwamun-Platz versammelt. Sie schwenken Kerzen und lauschen Protestsongs. Auffällig viele junge Leute sind an diesem Abend gekommen und feiern ihren Sieg.

Die Kerzenscheindemonstrationen gegen Park Geun Hye, die morgen in ihre zwanzigste und letzte Runde gehen werden, haben eine als hedonistisch und materialistisch verschriene Jugend politisiert. Sie hat erfahren, dass sie, wenn sie handelt, etwas bewirken kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen