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SüdamerikaGeld und Spiele

Was in Europa passiert, interessiert die Menschen in Südamerika nur am Rande. Außer es geht um Fußball

Jürgen Vogtaus Buenos Aires

In Südamerika ticken die Jahreszeiten anders. Geht Europa in den Frühling, beginnt in der Region der Herbst, zumindest in den Ländern, in denen es überhaupt richtige Jahreszeiten gibt. Wohl auch deshalb freuten sich im Mai die südamerikanischen Fußballfunktionäre auf das Treffen des Fifa-Exekutivkomitees in Zürich. Doch die Schweiz ist für sie kein sicherer Drittstaat mehr.

Gleich zweimal griffen die eidgenössischen Strafverfolgungsbehörden im ablaufenden Jahr zu, als das Fifa-Exekutivkomitee zusammentreten wollte. Unter den Verhafteten befanden sich nicht weniger als vier Funktionäre aus Südamerika.

Was in Europa passiert, interessiert die Menschen hier nur am Rande. Die Flüchtlingskrise ist weit weg, auch wenn sich der ein oder andere Syrer herverirrt. Mit Argentinien und Venezuela hat der Subkontinent mindestens zwei eigene Griechenlands. Aber was in der von Europa aus gesteuerten Fußballwelt passiert, das wird aufmerksam verfolgt.

Den brasilianischen Winter verbrachte José Maria Marin, einer der Verhafteten, bis Anfang November in der Schweiz. Dann wurde er an die USA ausgeliefert. Dass es den Exchef des brasilianischen Fußballverbandes einmal erwischen würde, ist für viele BrasilianerInnen ein Akt der späten Gerechtigkeit, denn der heute 83-Jährige galt lange schon als korrupt.

Tradition und Korruption sind bei brasilianischen Sportfunktionären fast schon Synonyme. Marins Vorgänger trat nach massiven Korruptionsvorwürfen zurück und dem einst mächtigen Fifa-Chef João Havelange wurde letztlich der Fifa-Ehrenvorsitz entzogen. Mehr als verwunderlich ist es deshalb, dass die Vergabe der WM 2014 an Brasilien bisher keine negativen Schlagzeilen verursachte. Vor diesem Hintergrund wurde hier der Wirbel um das deutsche Sommermärchen von 2006 wahrgenommen.

Das war Europa 2015 – der Blick unserer KorrespondentInnen

Europa: Was für ein Jahr: In Griechenland spielte ein monatelanger Krimi um die neue Linksregierung, Währungskrise und Verhandlungen mit der Troika. Paris musste zwei islamistische Terroranschläge erleben. Und vor allem beschäftigten uns Menschen, die von jenseits des Mittelmeers nach Europa kommen. Der Umgang mit dieser „Flüchtlingskrise“ entzweite auch die Mitglieder der EU.

Sichtweise: Wie schaute die Welt auf Europa in diesem Krisenjahr? Wir haben die taz-Auslandskorrespondenten in China, Russland, Südamerika, den USA und Westafrika gebeten, mit der Brille ihres Berichtsgebiets auf 2015 zurückzublicken. Welches Bild wurde dort von Europa gezeichnet? Welche Nachrichten spielten eine besondere Rolle, welche gar keine? Was bewegte die Menschen?

Was würde passieren, fragt die Zeitung Folha de S.Paulo, wenn sich herausstellt, dass die Wahl Brasiliens nicht nur an der Schönheit der Natur lag und der Leidenschaft für den Sport, sondern auch an dubiosen Rücküberweisungen an Funktionäre? „Das wäre ein immens größerer Schock als das 7:1, das Deutschland Brasilien zufügte.“ Aber wäre es wirklich eine Überraschung?

Für den Fall, dass sich beim brasilianischen Wintermärchen von 2014 ein Abgrund auftun sollte, baute Staatspräsidentin Dilma Rousseff vor: „Ich finde alle Weltmeisterschaften müssen untersucht werden.“ Sie selbst muss sich mit Korruptionsskandalen herumschlagen und weiß: Sollte ihr in Sachen WM etwas angehängt werden können, droht ihr tatsächlich die Amtsenthebung.

Welchen immensen Stellenwert der Fußball in der Region hat, zeigt auch der frisch gekürte argentinische Präsident Mauricio Macri. Wäre er nicht Vereinspräsident der Boca Juniors gewesen, wäre er niemals zuerst Bürgermeister von Buenos Aires geworden und dann Präsident. Denn Charisma hat er keines. Weil er kein Führungsspieler ist, revolutioniert er gerade die politische Kultur des Landes: der Star ist jetzt die Mannschaft. Genau so wie beim deutschen Fußball.

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