Südafrikas Nationaltrainer schmeisst hin: Spekulation um Parreiras Rücktritt
Der Brasilianer Carlos Alberto Parreira schiebt familiäre Verpflichtungen vor, um als Fußball-Nationaltrainer von Südafrika zurückzutreten. Aber was steckt hinter der Entscheidung?
Die Verzweiflung muss gewaltig gewesen sein. So groß, dass die südafrikanischen Fußballfunktionäre Nelson Mandela anriefen, in der Hoffnung, der Friedensnobelpreisträger könne noch etwas retten. Doch auch Mandela vermochte es nicht, Carlos Alberto Parreira umzustimmen. Der brasilianische Trainer, der die darbende Nationalmannschaft für die WM 2010 in der südafrikanischen Heimat zu einem ambitionierten Konkurrenten modellieren sollte, gibt seinen Job auf. Das Thema füllte die Titelseiten der südafrikanischen Zeitungen, kurzerhand wurde die Situation zur "Krise" erklärt, und Verbandspräsident Molefi Oliphant sprach spontan von einem "Schock".
Doch Oliphant ist offenbar ein Mann des schnellen Handelns, denn verschiedenen Medienberichten nach haben sie bereits einen Nachfolger gefunden. Joel Santana, derzeit bei Flamengo Rio de Janeiro unter Vertrag, sagte dem brasilianischen Internetdienst globoesporte.com, "ich habe ein Angebot aus Südafrika erhalten, über das ich nicht lange nachdenken musste".
Sowohl finanziell als auch sportlich sei die Aufgabe so attraktiv, dass dem Brasilianer keine Wahl bleib. Parreira hat den 59-Jährigen empfohlen, weil er dem Kollegen zutraut, das begonnene Projekt vernünftig weiterzuführen.
Dennoch wirkte Parreira zutiefst betrübt, als er vor die Presse trat. Er sagte, es breche ihm das Herz, diese Mannschaft im Stich lassen zu müssen. "Aber meine Familie braucht mich, besonders meine Frau wünscht sich, dass ich nahe bei ihr bin", erklärte Parreira, "nach 36 Jahren Ehe kann ich nicht Nein sagen." Die Gattin soll an Krebs erkrankt sein, sie weilte im Winter länger im Krankenhaus. Offenbar hat sich ihr Zustand nun verschlechtert.
Allerdings kursieren auch Spekulationen über andere Motive Parreiras. Es gibt im Zusammenhang mit der WM 2010 ja stets den Reflex, alle Ereignisse irgendwie mit den vielen Schwierigkeiten rund um das Turnier zu verbinden. Zeitungen behaupteten sofort, dass der Trainer in Wahrheit zurücktrete, weil er Missstände wie die Alltagskriminalität im Land oder die allgegenwärtige organisatorische Unfähigkeit nicht mehr ertragen wolle. Zudem waren immer wieder wenig fundierte Kritiken in den Medien zu hören, zuletzt hatte Sportminister Makhenkesi Stofile prophezeit, dass er von Südafrikas Team beim Weltturnier einen "sehr peinlichen Auftritt" erwarte.
Solche Dinge haben Parreira sehr verärgert. "Ich mische mich auch nicht in die Politik ein, weil ich davon nichts verstehe", hatte der Weltmeistertrainer von 1994 entgegnet. "Es ist etwas ganz anderes, über einen Stierkampf zu sprechen, als dem Bullen in der Arena direkt gegenüber zu stehen." Die Stimmung ist seit langem schlecht, doch derlei Widrigkeiten dürften Parreira, der seinen Beruf vor 41 Jahren als Trainer der Nationalmannschaft Ghanas begann, kaum zur Aufgabe bewegen. Vielmehr hatte er schon bei seinem Amtsantritt erklärt, der Job sei "eine Entscheidung gegen den Willen" seiner Familie. Als kleiner Trost bleibt den gebeutelten Südafrikanern nur, dass Parreira sich nicht ganz aus seiner Verantwortung zurückzieht.
"Ich werde bereit stehen und helfen, einen möglichst sanften Übergang hinzubekommen", sagte der 65-Jährige. Das liege ihm am Herzen, denn die Mannschaft hatte nach Parreiras radikalem Umbruch, in dessen Mittelpunkt eine Verjüngung und eine Umstellung auf ein temporeiches Kurzpassspiel steht, nun erste Fortschritte offenbart. Beim Afrika-Cup im Januar war das Team zwar in der Vorrunde ausgeschieden, hatte aber zumindest phasenweise gezeigt, dass Potenzial in ihr steckt. Und im März hat Südafrika mit einem 3:0 gegen Paraguay erstmals seit dem Ende der Apartheid einen Gegner aus Südamerika besiegt. "Es schmerzt, den Vertrag genau jetzt zu brechen, wo es beginnt zu funktionieren", sagte Parreira, "es gibt in solch einer Situation keinen Gewinner." Außer natürlich Santana, dem die seltene Ehre zuteil wird, einen WM-Gastgeber zu betreuen.
Es ist indes völlig offen, ob der Trainer, der neben Engagements in der japanischen J-League und den Vereinigten Arabischen Emiraten seit 1980 diverse brasilianische Klubs betreute, einer solch großen Aufgabe gewachsen ist. Es fehlt ihm an internationaler Erfahrung. Die Fußballwelt kann da nur hoffen, dass die Südafrikaner beim 15. Trainer in 15 Jahren endlich einmal ein glückliches Händchen haben. Denn ein Großturnier ohne die besondere Euphorie, die mit Erfolgen der Heimmannschaft erzeugt wird, droht ein eher trostloses Ereignis zu werden.
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