■ Südafrika ist der größte Goldproduzent der Welt. Der dramatische Preisverfall des ehemals krisensicheren Edelmetalls stürzt die Minenindustrie in die Krise. Tausende Kumpels sollen nun ihren Job verlieren Aus Johannesburg Martina Schwikowski: Das Ende der goldenen Zeiten
Der Eisenkäfig sackt in die Tiefe, die Gitter vibrieren. Dumpfe Geräusche dringen herauf. Es ist eng im Fahrstuhl, und der Weg ins Erdreich scheint unendlich. Mit jedem Meter wird die Luft heißer und stickiger. 15 Männer stehen dicht gedrängt auf der Plattform, sie fahren ihrer Schicht in den East Rand Proprietary Mines (ERPM) entgegen. Nach ein paar Minuten kommt der Lift mit einem Ruck in zwei Kilometer Tiefe zum Stehen, federt kräftig nach und entläßt die Arbeiter in die Unterwelt.
Abel Nyoni rückt seinen Helm gerade, die Kegel der Lampen erhellen den Hauptschacht. Für den 36jährigen Swasi beginnt ein normaler Arbeitstag. Seit 13 Jahren fährt er unter Tage. Wie lange noch, ist allerdings ungewiß. Südafrikas älteste Goldmine steht nach 106 Jahren vor dem Aus.
Der anhaltende Goldpreisverfall hat der Mine den Todesstoß versetzt. Großbritanniens jüngste Goldverkäufe – 25 Tonnen – verschärften die Krise und brachten die ganze Misere ans Licht. Der Goldpreis fiel und fiel. Der turbulente Sturz endete gestern vorerst bei 255 Dollar pro Unze – Kurse, die die Johannesburger Börse als die tiefsten seit 20 Jahren notierte.
Mißmanagement macht Abel für den Konkurs seiner Mine verantwortlich. Zuwenig Gespräche zwischen Bossen und Kumpels, keine langfristige Planung für finanzielle Probleme. „Gold gibt es genug dort unten“, sagt er. „Und von heute auf morgen müssen wir gehen – nach all den Jahren.“ Es gab Vorwarnungen. Die Mine kämpfte schon lange um Rentabilität. Die Regierung hatte eine Finanzspritze spendiert und Hauptanteile übernommen. Jetzt steht ERPM komplett zum Verkauf.
Das alles macht für Abel wenig Sinn. „Meine Frau wird im September in Swasiland unser erstes Kind zur Welt bringen. Ich fühle mich schlecht. Manchmal kann ich gar nicht denken – mein Kopf ist einfach leer.“ Daheim warten sieben Verwandte auf seine Postüberweisung aus Johannesburg. 1.200 Rand (cirka 400 Mark) bleiben im Monat für seine Knochenarbeit nach den Abzügen übrig. Wird kein Geld auf die Reise geschickt, steht das Überleben der Familie Nyoni auf dem Spiel.
Abel kriecht über eine einfache Holzleiter in einen schmalen, niedrigen Seitentunnel. Gummistiefel und Anzüge schützen vor Schmutz und Nässe, doch es ist unerträglich heiß. Die Kühlung wurde ausgeschaltet – eine zweifelhafte Sparmaßnahme.
Ein weitverzweigtes Tunnelnetz zieht sich unterhalb der Erzgürtel entlang, die mit handbetriebenen Maschinen angebohrt und gesprengt werden. Eine Bahn transportiert die Gesteinsbrocken in den Hauptschacht, an der Oberfläche werden sie Schritt für Schritt zu feinem Staub zerkleinert und geschmolzen.
Abels Kumpel Elliot Maneli arbeitet unter Tage als Lokführer. Das Reden fällt ihm schwer. Die Sorgen schnüren ihm den Hals zu. „Jeder braucht Arbeit, seit 15 Jahren bin ich bei ERPM“, sagt er schließlich. „Und alles, was wir jetzt bekommen, sind 2.500 Rand zum Abschied. Falls genug Geld aus der Konkursmasse vorhanden ist.“
Die Postanweisung des 36jährigen geht in die Provinz Eastern Cape. In King William's Town lebt Elliots Mutter mit acht Familienangehörigen, die von ihm abhängig sind. Und so ist es bei den meisten der 5.000 ERPM-Kumpel: Im Schnitt müssen von den Löhnen, die zum letzten Mal vor sieben Jahren erhöht wurden, sieben bis zehn Menschen leben.
Sechs weitere Minen rund um Johannesburg, Südafrikas wirtschaftlichem Zentrum, ringen verzweifelt um Lösungen: 12.000 Jobs stehen akut auf der Kippe.
Südafrika ist der größte Goldlieferant der Welt; 40 Prozent der Reserven liegen noch im Land. Die Minenindustrie beschäftigt eine halbe Million Menschen, Tausende stammen aus den Nachbarländern Botswana, Mosambik, Swasiland und Lesotho. Etwa 240.000 Menschen arbeiten im Goldbergbau. 80.000 Stellen sind insgesamt derzeit in Gefahr.
Während in Komitees und Gesprächsrunden weiterhin nach Lösungen gesucht wird, ist eine südafrikanische Delegation aus Minenbesitzern, Ministern und Gewerkschaftsführern in Großbritannien eingetroffen, um die verheerenden sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen deutlich zu machen.
„Es ist nicht nur ein südafrikanisches Problem“, erklärte George Molebatsi, Sprecher der National Union of Mineworkers (NUM) in Johannesburg. „Auch Ghana, Mali und Tansania produzieren in erster Linie Gold, und unsere ärmsten Nachbarländer treffen Entlassungen in den Minen sehr hart.“
Die Regierung von Südafrikas Präsident Thabo Mbeki hat die Verkäufe in London heftig kritisiert. Sie sollten vertagt werden, bis sich der Preis stabilisiert habe, so ihre Forderung. Großbritannien zeigte sich von diesen Forderungen bisher unbereindruckt. Der Preisverfall weltweit sei für wirtschaftliche Engpässe in südafrikanischen Ländern verantwortlich, hieß es. „Wir versuchen, in stärkerer Zusammenarbeit mit Unternehmern, Regierung und Arbeitervertretern soziale Pläne aufzubauen“, sagt Gewerkschafter Molebatsi.
Doch das wird nur in denjenigen Minen funktionieren, die nicht schon jetzt vor dem Ruin stehen. Für Abel, Elliot und die gesamte Belegschaft der ERPM wird es keine Umschulungen oder Neuanstellungen in anderen Minen geben.
In Lesotho, im ärmsten Königreich der Welt, zählt der Bergbau seit Generationen zur wichtigsten Einnahmequelle. Die grünen Malutiberge bilden das Dach zum Himmelreich, doch die Menschen sind bitterarm. Während die Männer in Südafrikas Goldminen schuften, bleiben ihre Familien in den Dörfern zurück.
Ma Cecilia Makheta versteht wenig von Politik, von Petitionen und Lobbyismus in Europa. Das Leben der 74jährigen Frau in Matsieng, der Stadt ihres Königs Letsie III., ist vom Gold in Südafrika geprägt worden. „Mein Mann hatte Tuberkulose, er ist zum Sterben nach Hause geschickt worden.“ Ihre beiden ältesten Söhne verloren die Arbeit in den Minen, nun hängt das Auskommen der Familie von Lebakeng, dem jüngsten Sohn, ab.
Auch Abels Mutter Touko wartet besorgt auf das Wochenende. Wenn der Fahrstuhl ihren Sohn und seine Kollegen am Freitag wieder ans Tageslicht bringt, soll eine Entscheidung über ERPM gefallen sein. Die Angst geht um.
Viele Hoffnungslose finden normalerweise bei Frauen wie Abels Mutter Linderung. Sie ist eine traditionelle Sangoma, eine Wunderheilerin. Touko mixt seit Jahren Muti – Heilkräuter –, behandelt kranke Seelen und wirft Knochen, um die Zukunft ihrer Kunden zu erforschen. Doch für diese Probleme weiß sie kein Rezept. Am Goldpreis und der Entlassung ihres Sohnes können auch die mächtigen Geister der Ahnen nichts ändern.
„Meine Frau bringt unser erstes Kind zur Welt. Manchmal kann ich nicht denken. Mein Kopf ist leer“, sagt Abel Nyoni
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