Südafrika-Kapitän Mokoena: Boipatongs berühmtester Sohn
Die Heimat des südafrikanischen Mannschaftskapitäns Aaron Mokoena fiebert mit ihrem Star. Aber für den Nachwuchs im Township Boipatong sind Aufstiegschancen nach wie vor rar.
BOIPATONG taz | "Thapelo" hilft, da ist sich Aaron Mokoena ganz sicher. "Meine Mutter hat mir das Beten beigebracht, seitdem habe ich nie aufgehört", sagt Südafrikas Mannschaftskapitän. Ein Lächeln liegt auf dem Gesicht der schlanken alten Dame neben ihm, ganz in Weiß gekleidet. Die Leute auf dem Hof jubeln, schwenken die bunte Landesfahne.
"Thapelo" heißt "Gebet" auf Sotho und hat Mokoena Reichtum beschert. Das steht noch aus für die meisten in Boipatong, dem ärmlichen Township im Süden des Großraums Johannesburg, aus dem er stammt. Aber wenn ein Sohn der Gemeinde zum Star aufsteigt, beten auch sie - für Aaron und seine Elf. In gelben Trikots, mit riesigen Filzhüten in Fußballform auf den Köpfen, bunt geschminkten Gesichtern und aufgeblähten Wangen haben sie sich vor der Gemeindehalle versammelt und blasen in ihre Vuvuzelas. "Feel it - it is here": Der Slogan der WM ist ihr Mantra für den Tag.
Der Kapitän steht auf dem Podium, sein Blick fällt unweigerlich nicht nur auf die Menschenschar, sondern auch auf die Schlote der Industrieanlagen ringsherum, die dunkle und helle Wolken in den Himmel stoßen. Nur einen Sprung entfernt in Blickrichtung kicken junge Spieler auf einem Bolzplatz an der Straßenkreuzung, ein Dreckhaufen, trockene Erde neben einem Autoschrottplatz. Sie lassen sich von der Feier und der Musik, die der Wind hinüberträgt, nicht beeindrucken. "Wir haben nur einen Ball", sagt Coach Sebapadi Tshabalala. "Keine Stulpen, wenig Ausrüstung, keine Unterstützung." Mit Begeisterung kicken die Fußballer der lokalen U17-Liga trotzdem. "Aber guck dir die Schuhe an: abgeschabt und zerrissene Schnürsenkel."
Von Agenten der Apartheid zerstört
Mokoena macht die Runde in brombeerfarbenen Hochglanz-Sportschuhen. Kirchenvertreter warten in blauen, grünen und weißen Gewändern. Der berühmteste Sohn Boipatongs schüttelt Hände, ein Zepter schenkt ihm den kirchlichen Segen. Sein Mutter Maria bebt vor Stolz. Er hat ihr ein Haus in der Stadt gekauft. Ein Ticket für die Eröffnung der WM hat sie natürlich auch. Mehr verrät sie nicht und wiegt sich zur Musik.
Ihre Nachbarin erinnert sich: "Dort auf dem Fußballfeld hat er gespielt. Er war jung", sagt sie und lacht aus ihrem zahnlosen Mund. Es war nicht einfach für die Familie, sie lebten in Armut, der Vater starb. Das alte Haus der Mokoenas liegt schräg gegenüber, ein brüchiger roter Steinbau. "In den Zeiten des Antiapartheidkampfes hat Mama Maria ihren Sohn manchmal in Mädchenkleider gesteckt, damit ihm nichts passiert", sagt die alte Frau. "Es war schrecklich."
Das war 1992, das Jahr eines Massakers in Boipatong während Südafrikas Übergang von Apartheid zu Demokratie. "Boipatong wurde von Agenten der Apartheid zerstört", erinnert sich Samuel Skozana, Veteran des militärischen ANC-Flügels Umkhonto We Sizwe. "Sie griffen an, wir kamen abends von Soweto und schossen zurück." Mit "Hippos", gelben Polizeifahrzeugen, waren Bewohner der Männerheime von Wanderarbeitern angerollt, Anhänger der Zulu-Partei Inkatha, angeblich ausgerüstet von der Apartheidregierung. 46 Menschen starben. "Genosse Mandela kam mit Chris Hani zu uns und verkündete den Zusammenbruch der Verhandlungen mit Präsident De Klerk", erinnert sich Skozana. Südafrika stand am Rand des Bürgerkrieges.
"Wir haben lange geschlafen"
Ein Denkmal gibt es in Boipatong bis heute nicht. In Sharpeville, dem berühmteren Ort für ein viel größeres Massaker 1960, nur zwei Kilometer entfernt, werden Opfer gewürdigt und unterstützt. Aber Boipatong liegt noch im Schatten der Entwicklung. "Nichts ist geschehen, keine Infrastruktur, keine Freizeitstätten, zu wenige Häuser", so Skozana. "Wir wissen, was damals passiert ist. Wir wollen ein Erbe hinterlassen. Die WM könnte dabei helfen. Wenn Geld übrig bleibt. Aber geht es zu den Bonzen, haben wir nichts davon."
Mlululeki Nkosi, beleibter Vertreter des Bürgermeisters mit WM-Schal vor dem Bauch, gibt zu: "Wir haben lange geschlafen. Aber wir sind so weit: Die Gedenkstätte wird am 17. Juni, dem Jahrestag des Massakers, eingeweiht." Für jedes Opfer wird es endlich einen Grabstein geben.
Boipatongs junge Generation kennt die alten Geschichten nur noch aus Erzählungen. Den Schülern in Aaron Mokoenas früherer Schule Lebohang High School geht es eher um die Zukunft. "Aaron Mokoenas Leute kamen in die Schule und haben mir ein Buch gegeben", strahlt Mpho Tsotetsi, eine 15-jährige Waise in Wollmütze und gelbem Bafana-Bafana-Trikot. Das war eine Inspiration. "Ich bin auch eine Inspiration", sagt Mpho und vergleicht sich selbstbewusst mit dem Kapitän: "Er hat erst später entdeckt, wer er ist und was er kann." Sie weiß, dass sie Ärztin werden will. Sie ist Klassenbeste.
Ein durchsschnittlicher Schüler
Für Boipatong bringt die WM nichts, meint Schulleiter Bhuti Kholomonyane. Die Menschen sind arbeitslos und ungenügend ausgebildet für die umliegenden Metall-Großbetriebe. Viele Eltern können die 100 Rand (10 Euro) Schulgeld pro Jahr nicht zahlen. Fast 60 Prozent der Schüler kommen aus gebrochenen Familien, oft fehlt der Vater, Omas erziehen ihre Enkel. Nur die Hälfte der rund 1.000 Schüler schafft das Abitur, die Klassen sind überfüllt. Der Rektor lässt auch schon mal die Polizei kommen, die Waffen, Marihuana und Messer rausholen. Disziplin ist sein Hauptjob. Essenspakete austeilen gehört auch dazu.
Die Pausenklingel und eine Vuvuzela schrillen gemeinsam. Jungs kicken einen alten Ball auf dem Schulhof neben einer Müllhalde. "Hier hat Aaron auch gespielt", meint sein ehemaliger Biologielehrer Tikki Raboroko und grinst in seinen Bart: "Er war ein durchschnittlicher Schüler."
Aaron Mokoenas Nichte Rosinah Mokoena geht mit Mpho in eine Klasse. Sie trägt ein T-Shirt des britischen Fußballvereins Portsmouth, wo ihr Onkel spielt. "Vielleicht kann ich auch mal ins Ausland gehen", hofft sie. Ihre Freundin Mpho liebt alles an ihm. "Ich bewundere ihn. Das schwarze Luxusmodell, das seine Frau in Boipatong fährt. Ich mag alles, was er hat." Aaron Mokoena ist einfach cool.
Inspiration vom Star
In der Gemeindehalle eilt der Kapitän durch die Fangemeinde, schreibt ein Autogramm auf eine Vuvuzela. "Ha, es gibt nichts Besseres als home", ruft Aaron. Aber was gibt er der armen Gemeinde zurück? "Ich habe meine eigene Stiftung." Dann entschwindet der 30-jährige Star im schwarzen BWM-Vierradantrieb.
Die in London ansässige Mokoena-Stiftung in seinem Name ist zwar aktiv in Boipatong, Mitarbeiter in Südafrika besuchen Schulen, bringen Trikots, Taschen und andere "Goodies". Ein Büro vor Ort gibt es aber nicht. "Sie machen etwas, aber wir sehen keinen großen Unterschied", meint der Schulleiter.
Mpho macht sich auf den Weg zur Hauptstraße. Dort lebt sie seit drei Jahren in einem kleinen, ordentlichen Mädchenheim, von der Kirche betreut. "Khanya Khaya - Haus des Lichts" steht am Tor. "Ein Waisenhaus, keine idealen Bedingungen für ein Kind", meint sie. "Ich bin aber lieber hier als zu Hause." Sie wollte den Schlägen ihres Stiefvaters entkommen. Ihre Mutter ist tot. Ab und zu besucht sie ihr Grab, das sie "Haus meiner Mutter" nennt. "Ich vermisse sie", meint Mpho. "Aber ich motiviere mich selbst."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!