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Die Konkurrenz annonciert großspaltig, doch Altmeister Pete Sampras ist nicht geneigt, den Centre Court in Wimbledon für Nachmieter zu räumen

„Wimbledon kommt, die Säfte beginnen zu fließen, hoffentlich kann ich es tun.“

aus Wimbledon MATTI LIESKE

Das Eröffnungsspiel von Wimbledon gegen den Titelverteidiger zu bestreiten ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Man bekommt die Chance, auf dem ehrwürdigen Centre Court der berühmtesten Tennisanlage der Welt vor einem Millionenpublikum aufzutreten – aber man trifft auf Pete Sampras. Und darf nach einer kleinen Lektion im Rasentennis gleich wieder nach Hause fahren.

Das dürfte dem Spanier Francisco Clavet heute nicht anders ergehen, auch wenn Pete Sampras in diesem Jahr bisher so müde wirkte wie selten zuvor in seiner Karriere. Seit dem obligatorischen Wimbledonsieg im Vorjahr hat Pete Sampras kein Turnier mehr gewonnen, nur einmal erreichte er ein Finale (Indian Wells gegen Agassi), viermal schied er in der ersten Runde aus. Sein Versuch, endlich einmal die French Open in Paris zu gewinnen, endete diesmal mit einer kläglichen Zweitrundenniederlage gegen den Spanier Galo Blanco, nicht gerade ein Gigant im Tenniszirkus. Mit noch hängenderen Schultern als sonst trottete er danach schwer niedergeschlagen von der Anlage im Bois de Boulogne. „Ich war total am Boden“, gibt der 29-Jährige zu, doch sobald er ein paar kurz geschorene Grashalme unter seinen Füßen spürt, wirkt er plötzlich, als habe er in Drachenblut gebadet. Unverwundbar, energiegeladen, siegesgewiss.

„Wimbledon“, so sagte Sampras vor zwei Jahren, „ist ein Turnier, von dem ich sicher bin, dass ich es auch mit 32 noch gewinnen kann.“ Er hätte auch 40 sagen können, und jeder hätte ihm geglaubt. In den letzen acht Jahren hat Sampras von 54 Matches im Londoner Tennis-Elysium bloß ein einziges verloren. Hätte ihn der Niederländer Richard Krajicek 1996 nicht in einem schwachen Moment erwischt, würde der US-Amerikaner in diesem Jahr den neunten Sieg hintereinander ansteuern. So aber muss er sich damit begnügen, Björn Borgs Rekord von fünf Triumphen in Folge zu jagen und seine eigene Bilanz auf acht zu schrauben. Weit entfernt zwar von den 34 Wimbledontiteln, die der Professor Bernard Neal im Croquet sein eigen nennt, aber einer mehr als sein Vorläufer William Renshaw noch im 19. Jahrhundert sammelte.

Boris Becker jedenfalls, der einst den hübschen Satz vom Centre Cort als seinem Wohnzimmer prägte, hatte den Schlüssel schon vor Jahren rausgerückt: „Das ist das Haus von Pete.“ Der freche Hausbesetzer selbst weiß, dass sein hart erkämpfter Mietvertrag nicht ewig läuft, für dieses Jahr ist er aber noch guten Mutes.

Sein Tennisleben hat er radikal verändert, seit er 1999 sein großes Ziel, das Jahr zum sechsten Mal hintereinander als Weltranglistenerster zu beenden, erreicht hatte. „Um die Nummer eins sollen sich jetzt andere schlagen“, meint er und reduzierte die Zahl seiner Turniere drastisch. Anders als Becker, der am Ende seiner Karriere die zweiwöchigen Grand Slams mied, weil sie ihm zu stressig waren, sind es für Sampras gerade diese Highlights, die ihn noch interessieren. „Es gibt keinen Grund aufzuhören“, weist er anzügliche Fragen nach einem möglichen Ruhestand von sich, „ich habe immer noch genug Gründe und Leidenschaft, der Beste sein zu wollen.“ Allerdings nicht mehr die ganze Saison hindurch, sondern dann, wenn es wirklich zählt.

„Da draußen ist immer noch eine Menge Stolz“, sagte der streng konservative junge Mann, der mit seiner altmodischen Artigkeit so gut wie kein anderer nach Wimbledon passt, in bewährter John-Wayne-Manier. Dass seine Heirat mit der Schauspielerin Bridgette Wilson im letzten September etwas damit zu tun haben könnte, dass seine Erfolge auf dem Tennisplatz rar geworden sind, bestreitet Sampras vehement. Für die Vorbereitung auf die French Open etwa habe er „viel Training, viel Konzentration, viel Energie“ aufgewendet, umso härter traf es ihn, dass er so schnell verlor und dabei auch noch miserabel spielte. Zum Glück stand Wimbledon vor der Tür – „unsere Super Bowl“ –, und wer sich dafür nicht motivieren könne, „der sollte wirklich nicht spielen“.

Schon beim Vorbereitungsturnier im Londoner Queen’s Club wirkte Sampras wie ein sportiver Lazarus, verlor zwar im Halbfinale gegen den Australier Lleyton Hewitt, war aber dennoch hoch zufrieden mit seinem Tennis. „Wimbledon kommt, meine Säfte beginnen zu fließen, und hoffentlich kann ich es tun“, fiebert er wie ein verknallter Teenie dem angestrebten achten Titel entgegen. Wenn es nach den Buchmachern geht, kann Sampras es tun. Er ist klarer Favorit in den Wettbüros, und auch die umstrittene Setzkommission des All England Club wollte da nicht zurückstehen.

In der ATP-Setzliste, die der alten Weltrangliste entspricht, ist Sampras nur noch die Nummer vier, für Wimbledons Patriarchen jedoch eindeutig die Nummer eins. „Ich habe ein bisschen mehr Aura, wenn ich nach Wimbledon komme“, sagt der Kalifornier selbstbewusst, die jungen Aufsteiger, die ansonsten ihren Respekt vor ihm verloren haben, fürchten ihn auf Gras wie Imhotep, die Comeback-Mumie.

Die meisten Youngsters seien ohnehin Grundlinienspieler, sagt Sampras, zudem sei es im Rasentennis hilfreich, wenn man viel Erfahrung hat. „Andre und ich“, spielt er auf seinen ein Jahr älteren Dauerrivalen Agassi an, der auch in Wimbledon wieder gut und gerne der Endspielgegner sein könnte, „wir haben eine Menge Waffen, die es uns erlauben, effektiv zu sein, ohne unseren Körper zu sehr fordern zu müssen.“ Andererseits: „Wenn jemand einen Spitzentag hat und ich nicht so gut spiele, ist Rasen der Boden, auf dem man schnell weg sein kann.“

Glauben tut er an solch ein Missgeschick nicht. Er respektiere seine Gegner, meint Sampras, wisse aber gleichzeitig: „Ich bin besser.“ Patrick Rafter, Lleyton Hewitt, Agassi, der zuletzt auf Rasen bärenstarke Schwede Thomas Johansson, Englands ewige enttäuschte Hoffnungen Henman und Rusedski scheinen am ehesten in der Lage, das Gegenteil zu beweisen, vielleicht auch der Protagonist der nächsten US-Generation, Andy Roddick. „Wenn der mich in Wimbledon schlägt, könnte ich denken, es wäre Zeit, die Schläger weg zu legen und etwas anderes zu tun“, sagt Sampras vorsichtig. Aber auch daran glaubt er nicht.

„Es ist ein großartiger Job“, sagt er. „Ich treibe Sport für meinen Lebensunterhalt, und eine Menge Leute, die vielleicht in einem Büro arbeiten, würden das liebend gern tun.“ Vor allem wenn sie auf diese Weise, wie Sampras bis jetzt, 100 Millionen Mark allein an Preisgeldern verdienen könnten. Francisco Clavet wäre vermutlich schon mit dem Preisgeld für einen Sieg am heutigen Nachmittag mehr als zufrieden. Wunder allerdings sind in Wimbledon selten.

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