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Subversiv Einst machten Dandys Köche zu Stars. Die Autorin Melanie Grundmann beschreibt, warum ihre Perspektive auf den Teller wieder Beachtung finden sollte„Der Dandy schwimmt gegen den Strom“

Wie Schildkröten im Panzer verstecken sich Dandys vor der würdelosen Außenwelt Foto: Reinhard Dirscherl/Waterframe

Interview Jörn Kabisch

taz: Frau Grundmann, Ihr Buch beginnt ausgerechnet mit einem Rezept für Schildkrötensuppe. Und das im Jahr 2015. Musste das sein?

Melanie Grundmann: Ich gebe zu, ein so verbotenes und dekadentes Gericht an den Anfang zu stellen, hat mich gereizt. Wenigstens Leute zum Nachdenken zu bringen, es wieder zu kochen, hat etwas Subversives. Was passt besser zu einem Dandy-Kochbuch?

Aber warum gerade die Schildkröte? Hätten es nicht auch ­Insekten oder Frösche sein können?

Der große Bohemien Theophile Gautier hat sie einmal als „transzendentale Suppe“ bezeichnet: Der Dandy versteckt sich wie die Schildkröte mit ihrem Panzer vor seiner würdelosen Außenwelt in einer kühlen Attitüde der Unnahbarkeit. Und auch ihre Langsamkeit ist dem hektischen Treiben der modernen Gesellschaft entgegengesetzt. Diese Sicht gefällt mir.

Es ist nicht das erste Buch, in dem Sie sich mit dem Dandytum beschäftigt. Sie haben darüber auch promoviert. Was reizt sie an dem Thema?

Am meisten, dass der Dandy gegen den Strom schwimmt. Er will nicht so sein wie alle anderen. Und je mehr man sich damit beschäftigt, umso reizvoller wird das Thema. Die Facetten werden immer zahlreicher.

Wir kennen den Dandy vor allem als Figur des 19. Jahrhunderts: Baudelaire, Oscar Wilde, Hermann von Pückler-Muskau. Aristokratische Ausreißer und vorbürgerliche Avantgardisten.

Der Dandy ist vor allem eine Figur der Opposition. Er ist einer, der sich gegen seine Zeit stellt. Unter den historischen Dandys gab es sowohl Adelige wie auch Bürgerliche. Aber trotzdem setzt sich der Dandy vom Bürgertum ab, vom Profanen. Auch vom Geld, das macht abhängig. Es ist das schöne Leben, das im Mittelpunkt steht. Und solche Persönlichkeiten gibt es auch heute, auch wenn wir sie nicht sofort als Dandy bezeichnen, weil sie vielleicht sogar sehr konträr zu historischen Vorbildern sind.

Aber man verbindet mit dem Dandy doch schon eine modisch-exaltierte Erscheinung, einen sehr zu Schau getragenen arroganten Snobismus?

Aber so waren nicht einmal alle die historischen Dandys des 19. Jahrhunderts. Es gab darunter auch ganz umgängliche Zeitgenossen. Nein, der Dandy ist ein intellektuelles Phänomen. Man muss die Pose, die Maske aus dem Blick nehmen und sich mit dem Denken, mit dem Individuum beschäftigen. Wegen des Anspruchs auf Orginalität ist ja kein Dandy wie der andere.

Was sind denn die Unterschiede und welches die Gemeinsamkeiten?

Früher konnten Dandys auch von nichts leben, insofern sie nicht aus begüterten Umständen kamen, es aber verstanden sich durchzuschmuggeln. Heute funktioniert das kaum mehr. Aber gleich geblieben ist, dass der Dandy sich mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt. Und das auch im Essen sucht. Man findet Dandys heute im künstlerisch-kreativen Milieu. Und man findet auch Köche, die sich als Dandys verstehen. Oder Dandys, die kochen. Essen und Kochen werden mehr und mehr zu einer Kunst.

Dass sie gekocht haben, ist von den historischen Dandys, soweit ich Ihr Buch gelesen habe, nicht überliefert.

Nein, aber diese Menschen haben schon außergewöhnlich viel Wert auf gutes Essen gelegt. Und sie haben Köche als Künstler gefeiert. Sie haben die ersten Starköche erkoren: etwa Marie-Antoine Carême, der zu seiner Zeit Kunstwerke aus Zuckerfäden aufbaute und von einem Königshof zum nächsten weitergereicht wurde.

Aber warum soll ein Dandy heute kochen? Eine Zwiebel zu hacken oder eine Suppe umzurühren, ist doch etwas sehr Profanes?

Aber es ist nicht so profan, wie eine Dose zu öffnen, eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben oder beim Lieferdienst anzurufen. Es gibt da einen zweifachen gesellschaftlichen Wandel. Im Unterschied zum 19. Jahrhundert wollen und können sich viele Menschen nicht mehr leisten, Hausangestellte zu haben. Auf der anderen Seite haben wir aber trotzdem Wege gefunden, so kurz wie möglich in der Küche zu stehen oder es fast aufzugeben.

Foto: Hoffotografen
Melanie Grundmann

35, ist Kulturwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Sie betreibt den Blog dandysmus.de und hat bereits mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht. „Das Dandy-Kochbuch: Originalrezepte für Männer mit Stil“ ist soeben im Verlag Rogner & Bernhard erschienen (256 Seiten, 39,95 Euro).

Sie meinen, kochen wird eine exklusive Beschäftigung. Und, dass der Dandy es als schöne Art entdeckt, um Zeit zu verschwenden.

Kochen und Essen sind von Verzicht geprägt: Wir sparen uns Zeit, Vegetarismus und Veganismus, die gerade sehr modern sind, haben asketische Momente. Aber es gibt eine Gegenbewegung. Das Schwelgerische, die Feier des Genusses, all das, was beim Essen über die Bedürfnisbefriedigung hinaus geht – genau da fand und findet man den Dandy. Essen als Genuss und die Suche nach dem Besonderen sind Teil der Lebenskunst, die der Dandy betreibt. Es ist für den Dandy, der sich ja stets inszeniert, auch eine Möglichkeit seine Originalität zum Ausdruck zu bringen.

Wenn man die historischen Quellen, die Sie zitieren, als Vorbild nimmt, dann gehört dazu auch Völlerei. Da wurden ja Unmengen aufgetischt.

Aber man muss wissen, für wie viele Menschen das gedacht war. Ein Dandy ist selten so dekadent, sich mit einem Teller Austern vor den Fernseher zu setzen. Essen ist Bestandteil der Tischgesellschaft, es soll zu einem guten Miteinander, zu guten Gesprächen animieren. Und da muss alles stimmen. Wir können es uns heute kaum anders vorstellen. Und es ist uns daher nicht mehr bewusst, wie sehr diese Art zu essen Abende und Gespräche in die Länge ziehen und befruchten kann.

Wir reden hier immer von Männern. Gibt es auch Frauen unter den Dandys?

Natürlich, wir nennen sie nur nicht so. Im 19. Jahrhundert gab es sogar eine Bewegung der Dandyzettes. Aber deren Geschichte muss noch geschrieben werden.

Die Essecke: Jörn Kabisch befragt auf dieser Seite jeden Monat Praktiker des Kochens. Außerdem im Wechsel: Philipp Maußhardt schreibt über seinen offenen Sonntagstisch, Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, und unsere KorrespondentInnen erzählen, was man in ihren Ländern auf der Straße isst.

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