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"Stuttgart 21" nach Geißlers UrteilKeine schlichte Deutung

Die Gegner von Stuttgart 21 müssen nach dem Schlichterspruch ihre Rolle neu definieren. Und die Grünen müssen nachlegen.

Für die Gegner von "Stuttgart 21" heisst es jetzt: Überwintern im Schlossgarten. Bild: dpa

STUTTGART taz | Mit einem Stuttgart-21-Button an der Jacke und Glühwein in der Hand standen am Dienstagabend noch mehrere Befürworter des Bahnprojekts vor dem Stuttgarter Rathaus und feierten. "So sehen Sieger aus, sha-la-la-la-la", sangen sie gemeinsam. Die Projektgegner beurteilen die Lage anders. Unmittelbar nach Geißlers Votum hat damit in Stuttgart die Schlacht um die Deutungshoheit begonnen.

Auch wenn sich im Vorfeld angedeutet hatte, dass Geißler sich nicht für den Erhalt des Kopfbahnhofes aussprechen würde, hatten sich die Gegner des Projekts mehr von dem Vermittler erwartet. Nun stehen sie als Verlierer da und müssen wieder aus der Defensive kommen.

Vor allem die Grünen sind unter Erfolgsdruck. Stuttgart 21 spülte sie in den Umfragen nach oben, und sie gewannen das Gefühl, bei der Landtagswahl im März tatsächlich für einen Politikwechsel sorgen zu können. Doch zuletzt waren auch für die CDU die Umfragewerte wieder gestiegen. Das Schlichtungsende könnte für die Union einen Wendepunkt bedeuten.

Der Grünen-Spitzenkandidat für die baden-württembergischen Landtagswahlen, Winfried Kretschmann, kündigte neue Proteste an. "Die Schlichtung hat ja gezeigt, dass unser Konzept Kopfbahnhof tatsächlich machbar und realisierbar ist", sagte Kretschmann am Dienstagabend in der ARD. Bahn-Chef Rüdiger Grube lehnte einen Baustopp ab. "Das Schöne ist, Herr Geißler hat bestätigt, dass Stuttgart 21 gebaut werden soll. Das machen wir jetzt weiter", sagte Grube dem Bayerischen Rundfunk.

Die Grünen sehen allerdings Bahn wie Landesregierung in der Bringschuld. Der Stresstest - eine Simulation, die Engpässe bei einer Auslastung überprüfen soll - müsse erst einmal bestanden, die Verbesserungsvorschläge müssen finanziert werden. Auch müsse die Landesregierung jetzt beweisen, ob sie den Geist der Sachschlichtung "ohne Geißler im Nacken" weitertragen kann, sagte die Landeschefin der Grünen, Silke Krebs, zur taz. "Wenn man diesem Geist gerecht werden will, muss man einen Volksentscheid durchführen", fordert sie. Darüber hinaus glauben die Grünen eine generelle Wechselstimmung im Ländle wahrzunehmen, die weit über Stuttgart 21 hinausgehe. Überhaupt war das Thema Volksentscheid nach der Schlichtung in aller Munde. Dass Geißler diesen ausgeschlossen hatte, enttäuschte die Gegner wohl am meisten. Viele hatten gehofft, dass Geißler einen Volksentscheid zwar juristisch ausschließt, dafür aber einen Vorschlag für eine rechtlich anders angelegte Befragung der Bürger aus dem Hut zaubert. Mit seinem Nein habe Geißler "die Neutralität des Schlichters aufgegeben", sagte gar SPD-Landeschef Nils Schmid im Südwestrundfunk. SPD und Grüne versprechen weiterhin, einen Volksentscheid durchzuführen, sollten sie an die Macht kommen. Inwiefern das rechtlich tatsächlich möglich ist, darum hatte es bereits einen Gutachterstreit in Stuttgart gegeben.

Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) versuchte, seine betont selbstkritischen Äußerungen mit Taten zu untermauern. Er kündigte ein 7-Punkte-Programm an. Unter anderem soll eine Enquetekommission im Landtag eine moderne Ausgestaltung der repräsentativen Demokratie prüfen. Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) äußerte im Deutschlandfunk Zweifel an der Notwendigkeit des geforderten Baus von zwei weiteren Gleisen. Gönner sagte, das mit dem Stresstest betraute Schweizer Unternehmen habe bereits gesagt, "sie sehen nicht das neunte und zehnte Gleis als notwendig an".

Unterdessen versucht auch das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, seine neue Rolle zu finden. Entscheidend wird wohl sein, die Menschen neu zu mobilisieren, dabei aber nicht zu hohe Erwartungen zu schüren. Den meisten ist klar, dass der "Protestsommer" so leicht nicht zu wiederholen ist. "Wir werden ganz klar weiterdemonstrieren, aber natürlich aufgrund der Jahreszeit und der Witterung auch dosierter vorgehen, um die Leute nicht zu überfordern", sagte der Regionalvorsitzende des BUND, Gerhard Pfeifer. Zudem bezweifelt das Aktionsbündnis noch stark, dass Stuttgart 21 den Stresstest bestehen kann. "Die Bahn ist jetzt auch in einer moralischen Verpflichtung und muss erst mal liefern", so Pfeifer. Mit Druck von der Straße will das Bündnis daran erinnern, dass die Bürger weiterhin genau hinschauen werden, wie sich Regierung und Bahn jetzt verhalten.

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12 Kommentare

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  • H
    Hanna

    zu BW21

     

    Stuttgart 21 ist kein Projekt, dass mit einer linken Geisteshaltung machbar ist, weil es sich hier um ein gigantisches Immoblienprojekt handelt, von dem private Anleger profitieren, aber kein Gemeinwesen.

    Die Parkvergrößerung ist eine Lüge der Projektmacher, die Gestaltung des neuen Stadtviertels ist zum Fürchten langweilig und tot, abgesehen davon dass der Innenstadt die Luftzufuhr durch die Bebauung abgeriegelt wird. Und die Luft in Stuttgart ist ohnehin schon beschissen!

    Weiterhin sind die Projektbefürworter jeden ernsthaften Beweis, dass dieses Projekt einen Nutzen hat, schuldig geblieben. Auch Ihr Kommentar besteht aus einer provokativen Frage und bietet keinerlei Argument für dieses Projekt.

  • A
    Andrea

    Liebe Jana,

     

    es kamen mitnichten alle Fakten auf den Tisch, die Bahn ist eine lange Liste von geforderten Dokumenten schuldig geblieben.

     

    Beurteilen Sie selbst nichts, was Sie nicht selbst gesehen haben.

  • C
    Confusius

    also, wenn ich mir mal ein Haus bau, dann bestell ich mir einen Stararchitekten und erwarte :

    1) es wird mir ein Plan präsentiert, der schon mal 100 Tsd. Euro kostet, mindestens,

    2) dann wird mir eröffnet, dass sich das Leben im neuen Haus hauptsächlich im Kellergeschoss abspielen wird, denn das ist der neue Trend und wahrer Fortschritt,

    3) erwarte ich, dass mir der Architekt eröffnet, dass er schon mal die Bäume auf meinem Grundstück hat fällen lassen und die Nordwand vom alten Haus eingerissen wurde ( obwohl meine Frau heftig protestiert hatte),

    4) wünsche ich mir, dass mir der Architekt dann sagen wird, dass er jetzt aber doch vorsichtshalber mal einen Stress-Test machen möchte, ob nicht vielleicht ein paar Details vergessen wurden (von der Dramatik eines Einsturz wollen wir absehen),

    5) erwarte ich, dass man schüchterner Wunsch, 'auszusteigen', damit beantwortet wird, dass der Ausstieg dann aber 250 000 Euro kosten wird,

    mindestens,

    - denn zusammenfassend und

    6) erwarte ich - wenn ich mir mal ein Haus bau - etwas wirklich aussergewöhnliches: grosse Klasse und Stuttgarter Stil !

     

    Literaturhinweis: Asterix Band 2, Asterix und Kleopatra, wo der ägyptische Architekt sich bei TaGa äh Kleopatra mit den Worten empfiehlt: 'Viele meiner Häuser sind NICHT eingestürzt'.

  • M
    Mirko

    @BW21: Schon mal auf die Idee gekommen, dass S21 vielleicht völlig überteuerter Murks ist?

    Oder ist das mit einer rechten Geisteshaltung nicht machbar?

     

    So, und nun genug dumme Polemik. Bei den Demonstranten sind auch genug liberale und rechte dabei, und höchstwahrscheinlich gibt es auch linke Befürworter.

     

    Und es ist ja auch nicht so, als wäre an S21 alles schlecht. Größerer Park, neues Stadtviertel, neue Bibliothek und Konzerthallen, bessere Durchlüftung vom Park her, wo früher der Bahnhof als "Wind-Auffangbecken" wirkte, ...

    Vieles von dem, was richtig schlecht war, wird jetzt ja auch nachgebessert, v.a. die Verwendung des neuen Stadtviertels und die Leistungsengpässe.

    Dennoch wäre angesichts der enormen Kosten für S21 die Alternative K21 vielleicht doch besser gewesen. Nach einem halben Jahr Bau und vergebenen Aufträgen auszusteigen (und es war ja nicht zu erwarten, dass sich die Landesregierung ernsthaft bis zur Wahl aufhalten ließe), würde aber wohl wirklich zu teuer.

    Es bleiben aber auch noch andere Gründe, gegen S21 zu sein. Seien es die paar Bäume, die nicht verpflanzt werden können, oder das Restrisiko beim Tunnelbau.

  • D
    daweed

    @BW21

     

    schon mal überlegt, das 4/5 des Bundesbudgets für einen Bhf. ca. 10 Jahre lang in Stuttgart gebunden sind.

     

    Noch dazu ist die Strecke nach Tübingen nicht genehmigt bis jetzt.

     

    Wer aus Leipzig kommt kennt sicher auch den City-tunnel, der 2006 fertiggestellt sein sollte.

    Heute ist 2010 und es dauert wohl noch 2 jahre.

     

    Preissteigerung bei dem Projekt? ca. 100%.

     

    Schon mal überlegt, das S21 ein politisch gewolltes Projekt ist, dessen Nutzen nur begrenzt ist.

  • K
    kamy

    Bin sehr gespannt auf die nächste, repräsentative Umfrage. (die letzte - während der Schlichtung - zeigte ungefähren Gleichstand mit einer leichten Mehrheit FÜR S21)

     

    Ich denke, wenn sich jetzt die Gegner zu sehr daneben benehmen und den Stuttgartern mit Blockaden und Krawall auf den Wecker gehen, wird es wohl nix mit dem Regierungswechsel im März.

     

    Also: Meinung sagen ja, aber bitte nicht kindisch werden.

  • J
    Jana

    Also bitte, jetzt sind doch alle Fakten auf den Tisch gekommen, jeder konnte alles Fragen, alles wurde abgewägt, ein salomonisches und kompetentes Urteil gefällt, wie kann es sein, dass die ersten Reaktionen im Rathaus wieder das "Lügenpack"-Geschreie der K-21-Befürworter war. Und wie kann es sein, dass ihr als Redaktion dass einfach nicht schreibt? Ihr seid, sorry, wenn ich das sage, in eurer Berichterstattung parteisch!

  • J
    j.e.s

    ich war seit beginn der schlichtung nicht mehr auf einer demo gegen s21. schließlich hatten wir ja einiges erreicht: bahn und land mussten aus ihrem geheimen kämmerlein herauskommen und aller welt zeigen, was sie bisher zustande gebracht hatten, und ihre planungen der bevölkerung erläutern.

    überzeugt hat es nicht...

    demnächst werde ich wieder auf demos dabei sein.

  • N
    nico

    und wenn der Stresstest nicht bestanden wird, werden

    halt zwei Gleise mehr verlegt. Wo ist das Problem?

    Bei rasch steigendem Wirtschaftwachstum sehen die

    Finanzen nicht mehr so pessimistich aus.

    Die Grünen haben jetzt schlechte Karten.

    Der Tübiger OB muß jetzt rasch die Windeln wechseln.

    Sonst schwimmt das Kind davon.

  • S
    S-West

    Tja, seit gestern stehen in Lagerhallen am Stuttgarter Hafen anscheinend wieder Wasserwerfer bereit. Des Weiteren soll am Freitag um 5 Uhr mit neuen Baumfällarbeiten begonnen werden; die daran beteiligten Firmen stehen wohl schon unter Polizeischutz. Die Infos kommen irgendwoher - soll ja z.B. intelligente Leute beim LKA geben oder sonstige engagierte Bürger - und haben sich bisher noch nie als falsch erwiesen.

    Gestern hat schon ein Polizist einen Demonstranten am Kragen hochgezogen weil er mit (Zitat) "wirklich sehr hellem Licht" aus einer Taschenlampe angeleuchtet wurde. Ich selbst wurde von einer jungen Blondinde mit MP5 und kugelsicherer Weste vor dem Bahnhof gebeten, doch bitte von der Straße zu gehen. Ich habe einen Lachanfall bekommen, denn lachen kann man auch wenn alles Scheiße ist. Wären wir Baden-Württemberger in der Politik so stark wie in der Wirtschaft - es wäre wahrlich ein Schlaraffenland.

    PS: Das Captcha für diesen Beitrag lautete "baum".

  • R
    Rioreißer

    Ich sach nur : Alle Macht dem Volk. Das werden die noch schmerzhaft lernen müssen.

    10 leere Flaschen Wein, können schnell 10.....

    Der Protest in welcher Form auch immer muß weitergehen?

    Was haben eigentlich die Araber, die Mercedes zum größten Teil gekauft haben, damit zu tun? Hat da mal jemand drüber nachgedacht.

  • B
    BW21

    Schon mal auf die Idee gekommen, dass S21 vielleicht eine gutes und richtiges Projekt ist?

     

    Oder ist mit einer linken Geisteshaltung nicht machbar?