Stuttgart-21- Untersuchungsauschuss: "Völlig hilflos"
Der Untersuchungsausschuss zum "schwarzen Donnerstag" in Stuttgart will eine mögliche politische Einflussnahme auf die veränderte Polizeitaktik klären. Jetzt reden die Zeugen.
STUTTGART taz | "Panik", "Alptraum", "traumatische Erfahrung" - mit diesen Worten haben Demonstranten am Montag ihre Erfahrungen mit dem massiven Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschrieben. Diese Schilderungen waren ein deutlicher Kontrast beispielsweise zu den Schilderungen von Stuttgarts Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, der eine Woche zuvor Wasserwerfer als das "mildeste Mittel" und den Einsatz insgesamt als verhältnismäßig bezeichnet hatte.
Hundertschaften der Polizei waren am 30. September - dem so genannten "schwarzen Donnerstag - mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgegangen, um einen Teil des Schlossgartens abzusperren. In diesem Bereich wurden anschließend die ersten Bäume für das Bahnprojekt "Stuttgart 21" gefällt. Der Untersuchungsausschuss will vor allem eine mögliche politische Einflussnahme auf die an diesem Tag veränderte Polizeitaktik klären.
"Ich möchte Sie erinnern", sagte der Stadtdekan Michael Brock, "Es ging an diesem Tag ums Aufstellen eines Bauzauns, nicht um die nationale Sicherheit." Er kritisierte, dass die Szenerie von Anfang an falsch gewesen sei. Es sei eine Enge entstanden, die zu der Eskalation geführt habe. Gerade auf Jugendliche müsse die Szenerie mit den Hundertschaften der Polizisiten und den Wasserwerfern bedrohlich gewirkt haben. Brock selbst habe sechs Deeskalations-Versuche unternommen - alle seien gescheitert. Unter anderem habe er mit Polizeipräsident Stumpf telefoniert und ihn gefragt, ob er wisse, dass gerade 13-Jährige vor dem Wasserwerfer stehen. "Dann nehmen Sie sie doch heraus", habe Stumpf geantwortet. Brock: "Da hatt's mir die Sprache verschlagen." Auch sei es nicht gelungen, zur Einsatzleitung vorzudringen. "Wir haben uns völlig hilflos gefühlt."
Emotional sehr eindringlich schilderte auch die Frau des Schauspielers Walter Sittler, Sigrid Klausmann-Sittler, die Geschehnisse. Die Wasserwerfer hätten eine "brutale Kraft" gehabt - und nicht nur geradeaus auf die Leute gezielt, sondern seien auch zur Seite gedreht worden. Damit seien "Leute von den Stühlen gefegt" worden. "Die stehen da nur, die blockieren nicht aktiv", erzählte sie, als habe sie es erst gestern erlebt. Sie selbst habe erst mitblockiert, habe dann aber den Mut verloren. Genau in dem Moment, als sie sich am Rand in Sicherheit gewägt habe, "traf mich der Wasserwerfer schwer in den Rücken".
Sie habe auch gesehen, wie ein Demonstrant zusammengekrümmt am Boden lag und ein Polizist mit dem Knüppel auf ihn eingeschlagen habe. "Hören Sie auf!", habe sie geschrien. "Das sind die Bilder, die sich mir einprägen, und nicht mehr loslassen."
Verständnislos für die Härte der Polizei zeigten sich die meisten Zeugen vor allem deshalb, weil die Demonstrationen in den Wochen zuvor alle friedlich gewesen seien und auch die Polizei sich besonnen verhalten und auf Deeskalation gesetzt habe. "Ich habe das bis dahin sehr, sehr fair erlebt von der Polizei", so Klausmann-Sittler. Sie beschrieb eine weitere Szene, die die Einstellung der Demonstranten in Stuttgart verdeutlicht. Am 30.9. sei sie emotional so aufgewühlt gewesen, dass sie das Gefühl gehabt hätte, sie würde am liebsten einen Stein irgendwohin werfen. Stattdessen warf sie einen leeren Pappbecher ein paar Reihen nach vorne. Sofort darauf habe sich ein Demonstrant umgedreht und gesagt: "Das machen wir hier nicht."
Der Schriftsteller Wolfgang Schorlau sagte: "Ich frage mich bis zum heutigen Tage: Warum ging das nicht anders?" Der schlimmste Moment sei für ihn gewesen, als die Wasserwerfer auf Jugendliche im Baum gezielt haben. "Ich konnte keinen Grund erkennen, nur Mutwillen." Vielleicht sei es ein Wunder gewesen, dass an diesem Tag nicht mehr passiert ist.
Kein gutes Licht warfen die Zeugen auf die Organisation der Polizei, die teilweise desorientiert gewirkt habe. "Ich hatte das Gefühl, dass es keine Koordination oder Organisation gab", sagte Klausmann-Sittler. Auch habe sie das Gefühl gehabt, dass die jungen Polizisten überfordert waren. Ihnen habe sie in die Augen geschaut: "Die taten mir zutiefst leid." Auch Schorlau sagte, die Polizei habe eher den Eindruck gemacht, als wisse sie nicht, was sie tun soll. "Es war keine Strategie zu erkennen."
Wie die Polizei teilweise auf den Einsatz eingestellt worden war, schilderte der Polizeikommissar und Gewerkschaftsfunktionär Thomas Mohr aus Mannheim. Rein mental hätten er und seine Kollegen sich auf einen Mittagsdienst eingestellt, wie die bisherigen Einsätze am Nordflügel. Erst auf der Autobahn hätten sie dann die Information über Probleme im Schlossgarten bekommen. "Und dann waren wir mitten im Geschehen." Und quasi erst auf Zuruf hätten die Polizisten erfahren, was zu tun ist.
Gewalt ausgehend von den Demonstranten konnte auch er nicht bestätigen. Es habe sich um eine "ganz normale Bürgerschaft" gehandelt und nicht um das Publikum, mit dem sie sonst bei Einsätzen mit Gewaltpotenzial zu tun hätten. "Es hat keiner gegen uns geschlagen, getreten, noch sind wir beworfen worden." Die Polizei sei "von Null auf 300 hochgefahren". Das habe ihn irritiert. Und schließlich äußert Mohr die Vermutung, die SPD und Grüne mit dem Untersuchungsausschuss beweisen möchten: Es habe nahe gelegen, "dass da irgendjemand die Hand im Spiel hat". Jeder größere Einsatz mit politischer Dimension würde normalerweise "an höchster Stelle abgeklärt".
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