: Sturmgewehre aus dem Haus!
SCHWEIZ Die Eidgenossen stimmen an diesem Sonntag über eine Volksinitiative zur Verschärfung des Waffenrechts ab. Frauen sind mit deutlicher Mehrheit dafür
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
Rund 20.000 junge Rekruten der Schweizer Milizarmee werden dieses Jahr mit einer persönlichen Armeewaffe ausgerüstet: Über 200.000 Sturmgewehre befinden sich derzeit in Privathaushalten Schweizer Soldaten, oft unverschlossen im Kleiderschrank, unter dem Bett oder an anderen auch für Kinder und Jugendliche leicht zugänglichen Orten. Eine Volksinitiative fordert, dass die Soldaten ihre Waffen nach den regelmäßigen Schießübungen künftig nicht mehr nach Hause mitnehmen dürfen, sondern im örtlichen Zeughaus einlagern müssen.
Zudem verlangt die Initiative, den bislang fast völlig ungehinderten privaten Erwerb von Schusswaffen zu erschweren. Bisher konnte jeder volljährige Eidgenosse, der noch keinen Eintrag im Strafregister wegen Gewalttaten oder -drohungen hat, Waffen und Munition kaufen. Künftig sollen Interessenten zunächst nachweisen, dass sie zwingenden Bedarf für eine Schusswaffe haben und auch fähig sind, damit verantwortlich umzugehen.
Getragen und unterstützt wird die Volksinitiative von über 85 Organisationen. Zu den Befürwortern gehören auch die Sozialdemokraten, die mit zwei MinisterInnen an der siebenköpfigen Regierung in Bern (Bundesrat) beteiligt sind, sowie die nur in der ersten Parlamentskammer (Nationalrat) vertretenen Grünen und Grünliberalen.
Die InitiatorInnen begründen ihre Forderung mit dem im europäischen Vergleich deutlich überdurchschnittlichen Anteil des Einsatzes von Schusswaffen bei Tötungsdelikten und anderen Gewalttaten. Über 80 Prozent der verwendeten Schusswaffen sind Armeegewehre oder -pistolen. Bei Selbstmorden sind es laut einer Ende Januar veröffentlichten Studie des Bundesgesundheitsamts (BGA) in Bern über 50 Prozent. Aus Ärger über die BGA-Studie ließ Verteidigungsminister Ueli Maurer von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) eine auf fragwürdiger Datenbasis beruhende Gegenuntersuchung veröffentlichen. Danach soll der Armeewaffenanteil bei Gewalttaten bei „nur 9 Prozent“ liegen.
Die SVP vertritt die Lobby der männerbündelnden alten Armeekader sowie der Militärsport- und Schützenverbände. Sie lehnt die Volksinitiative ab, ebenso wie die Christliche Volkspartei und die wirtschaftsliberale FDP. Im Bundesrat setzten die drei Parteien mit ihrer Mehrheit eine Regierungsempfehlung an das Volk durch, die Initiative bei der Abstimmung am Sonntag zu verwerfen. Doch dazu wird es laut den bisherigen Umfragen, die alle zumindest eine knappe Mehrheit für die Initiative ausweisen, nicht kommen. Denn an der Basis sowie in vielen Teilgliederungen der drei Nein-Parteien stößt die Initiative auf große Zustimmung. Insbesondere bei den Frauen. Der Frauenverband der CVP beschloss landesweit die „Ja-Parole“, ebenso wie die Frauenorganisation der FDP im Kanton Luzern.
Würden am Sonntag nur Frauen abstimmen, würde die Volksinitiative mit über 60 Prozent angenommen. Nach Überzeugung von Verteidigungsminister Maurer sind die Frauen allerdings „nur deswegen für die Initiative, weil sie nicht mit Waffen umgehen können“. Diese Äußerung des SVP-Politikers stieß auf scharfen Widerspruch bei seinem Parteifreund This Jenny, Mitglied des Ständerats (der zweiten Berner Parlamentskammer) aus dem Kantons Glarus : „Ueli Maurer verkennt, wie groß der Druck auf eine Frau sein kann, wenn sie weiß, dass ihr Mann ein Gewehr im Schrank hat“, so Jenny, der als einziger SVP-Politiker öffentlich und seit Beginn für die Volksinitiative eintritt. Auch „aus persönlichen Gründen“. Als kleiner Junge erlebte er im Haus seines Freundes, wie Mutter und Kinder vom Vater mehrmals mit einer Armeewaffe bedroht wurden: „Wenn Kinder in einen Gewehrlauf schauen und Angst haben müssen, sind sie traumatisiert.“
Für „total daneben“ hält Jenny auch Maurers Aussage, die Frauen könnten doch zur Polizei gehen, wenn sie sich bedroht fühlten. „Maurer hat keine Ahnung, wie viel es braucht, bis eine Frau zur Polizei geht und dort ihre Seelennot eingesteht“, sagt Jenny. Eifersucht und Alkohol spielten bei der Androhung von Waffengewalt eine große Rolle. Und ein Beil oder ein Messer sei nun mal nicht dasselbe: „Ein Gewehr hat eine ganz andere Dimension. Es ist endgültig. Das lässt die Frauen erstarren.“