Sturm auf die „zwei Hüte“ des Präsidenten

Der Abschied von der absoluten Macht fällt den Herrschenden im ostafrikanischen Tansania schwer/ Nach dem Rückzug von Julius Nyerere aus der Politik stellt sich erneut das Problem der Einheit des Landes/ Spekulationen über die Einführung eines Mehrparteiensystems sind vorerst vom Tisch  ■ Aus Dar-es-Salaam J. Klußmann

Nur langsam scheint der Wind der Veränderung aus Ostafrika auch in Ostafrika einzutreffen. Mühsam trennen sich die Mächtigen von liebgewonnenen Machtideologien. In Kenia wehrt sich ein Potentat mit allen Mitteln gegen einen Machtwechsel, brutale Gewalt mit eingeschlossen, in Uganda erholt man sich noch von den Folgen des Bürgerkrieges und in Tansania hat sich der Präsident gerade mit 95,5 Prozent der Stimmen des Wahlvolkes wiederwählen lassen. Am 3.November war es amtlich: Präsident Mwinyi war für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt worden. Damit, so scheint es, sind alle Spekulationen über die Zulassung eines politischen Pluralismus in Tansania erst einmal vom Tisch, nachdem das Land monatelang eine Demokratisierung erhofft hatte.

Angefangen hatte alles mit einer Pressekonferenz des Expräsidenten Julius Nyerere am 21.Februar. An diesem Tag tat der frühere starke Mann und Vater der Unabhängigkeit Tansanias erstaunten Journalisten kund, daß es keine Sünde mehr sein dürfe, über die Einführung eines Mehrparteiensystems nachzudenken. Nyerere vollzog damit eine Kehrtwendung, die selbst seine ärgsten Kritiker nicht von ihm erwartet gatten. Noch Mitte der achtziger Jahre hatte er öffentlich verkündet, daß Tansania sich den „Luxus“ von mehreren Parteien nicht leisten könne. Unerbittlich hatte er jede Beeinflussung von außen als schädlich abgewiesen und versucht, Tansania in einen autonomen afrikanisch-sozialistischen Staat zu verwandeln. Die Vision scheiterte an den harten ökonomischen Realitäten.

Inzwischen konnte sich Nyerere aber im Land selbst als Querdenker profilieren. 1985 hatte er Ali Hassan Mwinyi das Präsidentenamt überlassen und konnte sich als Vorsitzender der Einheitspartei CCM ganz deren interner Umgestaltung widmen. Auf der außerordentlichen Parteikonferent im August trat Nyerere auch von diesem Amt zurück; eine Ära geht damit zu Ende. Ob die Zeit ausgereicht hat, eine Basis für eine Neuorientierung zu schaffen, wird sich erst in den kommenden Monaten herausstellen. Präsident Mwinyi hat nun auch den Vorsitz der Partei übernommen und ist somit, wie einst Nyerere, mit den „kofia mbili“, den zwei Hüten des Partei- und Staatschefs ausgerüstet. Damit besitzt er umfangreiche Machtbefugnisse, die ihm theoretisch jederzeit die Möglichkeit geben, das Parlament aufzulösen und als Alleinherrscher weiterzuregieren. Davon scheint Mwinyi jedoch weit entfernt zu sein. Er gilt als moderater und umgänglicher als sein Vorgänger. Doch eine Überlastung ist mit Übernahme der beiden Ämter auf jeden Fall vorprogrammiert.

Seit Anfang des Jahres hat eine Antikorruptionskampagne mehr und mehr Beweise für Unfähigkeit und Mißwirtschaft in der tansanischen Bürokratie an den Tag gebracht. Ständig wandern neue Arbeitsbereiche in die direkte Obhut des Präsidialbüros. Um den Mißbrauch halbwegs einzudämmen, hat der Präsident sogar eigens eine „Sprechstunde für jedermann“ ins Leben gerufen. Oftmals, so scheint es, ist diese für den geplagten Bürger die letzte Gelegenheit, sich Recht zu verschaffen.

Ein Streiflicht auf die Diskussion um politische Reformen in Tansania wirft ein Ereignis, das die Medien des Landes in zwei Lager getrennt hat. Als es im April dieses Jahres zu Unruhen an der Universität von Dar- es-Salaam gekommen war, brach ein Medienkrieg los, der die Distanz zwischen den privaten Zeitungen und der Regierungspresse verdeutlichte. Besonders die englischsprachigen Zeitungen 'Family Mirror‘ und 'Business Times‘ hatten die Regierung und deren Organe hart angegangen und das Thema als Aufhänger für notwendige politische Reformen benutzt. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung kam es zu wüsten Beschimpfungskampagnen seitens der Regierungspresse gekommen. Den Studenten, die die unerträglichen Zustände an der Universität und die zunehmende Totalitarisierung des Staates angeprangert hatten, wurde Verrat und Arroganz vorgeworfen. Die Universität wurde geschlossen, alle Studenten wurden in ihre Heimatorte geschickt mit der Auflage, sich dort von den lokalen Autoritäten Dossiers um ihre politischen Aktivitäten anfertigen zu lassen. Damit waren der Machbarkeit von Veränderungen deutliche Grenzen gesetzt.

Inwiefern Tansania bereit ist, sich dem wachsenden Unmut vor allem der Eliten des Landes zu stellen, bleibt fraglich. Dies illustriert auch der Umgang mit dem alten Problem der Einheit des Landes: Tansania ist eine Union von Tanganyika, auf dem afrikanischen Festland, und der semiautonomen, unter eigener Verwaltung stehenden Insel Sansibar (inklusive der Insel Pemba). Der ehemalige Chefminister Sansibars, Seif Hamed, sitzt seit 1986 ohne Verfahren in Haft. Er hatte als Vertreter Pembas innerhalb der Regionalregierung Sansibars die Vernachlässigung der kleineren Insel angeprangert und schon frühzeitig eine Liberalisierung gefordert. Seither fordern die Bewohner beider Inseln ein Referendum über die Union mit dem Festland, das ihnen angeblich zugesagt gewesen sein soll.

In diesem Jahr hat sich die Lage durch zunehmende Proteste auf Pemba wieder verschärft. Über 1.000 Personen sitzen inzwischen in Beugehaft. Dies ist wohl auch der Grund, warum sich völlig überraschend neben Nyerere auch Sansibars Präsident Idriss Wakil aus der aktiven Politik zurückgezogen hat. Der in aller Eile neu aufgestellte Kandidat, der bis dahin relativ unbekannte Dr. Salimin Amour, hat zusammen mit Unionspräsident Mwinyi eine schwere Aufgabe übernommen. In Tansania stehen die Zeichen auf Sturm.