piwik no script img

Sturm auf die Gaza-HilfsschiffeAlle Aktivisten freigelassen

Israel kommt der türkischen Aufforderung nach Freilassung nach und verzichtet auf eine strafrechtliche Verfolgung. Nun tobt auch dort der Streit über die Rechtmäßigkeit des Angriffs.

Die Aktivisten der Gaza-Soliflotte werden mit Bussen zum Ben-Gurion-Airport gebracht. Bild: rtr

JERUSALEM taz/apn | Zwei Tage nach dem blutigen Militäreinsatz gegen eine Hilfsflotte für den Gazastreifen will Israel alle noch festgehaltenen Aktivisten - darunter auch zwei Deutsche - freilassen und abschieben. Auf eine strafrechtliche Verfolgung der insgesamt fast 700 Menschen, die vorübergehend festgesetzt worden waren, werde Israel verzichten, sagte Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein. Israel kommt mit der Freilassung einer Aufforderung der türkischen Regierung nach. Die Mehrzahl der pro-palästinensischen Aktivisten stammt aus der Türkei.

Das türkische Parlament forderte Israel unterdessen zu einer offiziellen Entschuldigung für die Kommandoaktion in der Nacht zum Montag auf, bei der neun Aktivisten getötet wurden. Außerdem müsse Israel den Hinterbliebenen eine Entschädigung zahlen und die Verantwortlichen für den Einsatz vor Gericht stellen, heißt es in der am Mittwoch verabschiedeten Deklaration.

Die türkische Regierung wird darin zu einer umfassenden Überprüfung des Verhältnisses zwischen beiden Ländern auf allen Ebenen aufgefordert. "Die Türkei soll versuchen, durch nationale und internationale Rechtsinstitutionen Gerechtigkeit gegen Israel zu erwirken", hieß es weiter.

Israel hatte am Mittwoch zunächst 200 Türken zum Flughafen gefahren, während mehr als 120 Menschen aus arabischen Ländern mit Bussen nach Jordanien gebracht wurden.

Die israelischen Streitkräfte veröffentlichten Videoaufnahmen, die zeigen, wie die Soldaten von Aktivisten mit Metallstangen und Brandbomben angegriffen werden. Die israelischen Behörden erklärten, die Aktivisten hätten auch Messer, Schlagstöcke und zwei Pistolen gegen die Soldaten eingesetzt.

Angesichts der Empörung der Türken über den israelischen Militäreinsatz forderte Israel die Angehörigen seiner Diplomaten in der Türkei zum Verlassen des Landes auf. Das israelische Außenministerium habe eine entsprechende Anweisung herausgegeben, berichteten Rundfunksender und Zeitungen. Die Diplomaten dürften dagegen bleiben. Ein Sprecher des Ministeriums wollte die Berichte weder bestätigten noch dementieren.

An der Hilfsaktion nahmen auch Bundestagsabgeordnete der Linkspartei teil. Der israelische Botschafter in Deutschland kritisierte die Teilnahme der Abgeordneten. "Die Absicht bestand nicht in humanitärer Hilfe, sondern darin, die Blockade zu brechen", sagte Yoram Ben-Zeev laut der Süddeutschen Zeitung. Nur so sei zu erklären, warum die Aktivisten das Angebot ausgeschlagen hätten, die Hilfslieferungen im Hafen von Aschdod löschen und unter Aufsicht nach Gaza bringen zu lassen.

Ägypten lockerte am Mittwoch die Blockade des Gazastreifens. Mehrere hundert Palästinenser verließen das Gebiet über den Grenzübergang Rafah. Im Gegenzug reiste eine kleinere Menschenmenge in den Gazastreifen ein. Außerdem wurden Hilfsgüter wie Decken, Zelte und Stromgeneratoren eingeführt.

Israels Kommandoaktion gegen die Schiffe der Hilfsflotte für Gaza sorgt auch in Israel selbst für heftige Debatte. "Israels Ziel war es, so viele wie möglich zu töten", resümierte die Knesset-Abgeordnete Chanin Soabi von der arabischen Liste "Balad", die selbst auf dem türkischen Flaggschiff war, als die Soldaten die "Mavi Marmara" kaperten. Für "derartig lügnerische" Aussagen, kommentierte die Zeitung Maariw, müsse Soabi bestraft werden, es handele sich um "Landesverrat" und "abscheuliche Manipulation".

Abscheulichkeiten allerdings waren auch aus dem radikalen Lager der israelischen Nationalisten zu vernehmen - dort hieß es, man sei enttäuscht, dass nicht noch mehr pro-palästinensische Aktivisten getötet worden waren.

Um zu erfahren, was wirklich vor und während der Operation passiert ist, wünschen sich rund die Hälfte der israelischen Bevölkerung eine Untersuchungskommission. Einer am Mittwoch vom Maariv veröffentlichten Umfrage zufolge halten es 46,7 Prozent für sinnvoll, die Pannen der Operation zu überprüfen. Die Hauptverantwortlichen, Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak, werden, so glauben drei Viertel der Befragten, indes ungeachtet der Untersuchungsergebnisse doch weiter in ihren Ämtern bleiben.

Weitgehender Konsens herrscht in Israel darüber, dass der Konvoi aufgehalten werden musste. Die allgemeine Beklommenheit betrifft die vielen Opfer, aber auch die eigenen Soldaten, die sich noch am Seil hängend verprügeln lassen mussten. Über die vielen Ratschläge, die rückwirkend auf die Armee einprasseln, mokiert sich die auflagenstärkste Tageszeitung Yediot Achronot: "Wir wussten immer schon, dass es in Israel auf die Einwohnerzahl umgerechnet die meisten Anwälte weltweit gibt. Jetzt ist klar, dass das auch auf die Zahl der Experten für das Aufhalten feindlicher Schiffe auf hoher See zutrifft".

Großen Raum in der öffentlichen Debatte nimmt das ramponierte Image im Ausland ein. In Israel mache sich zunehmend das Gefühl breit, "dass die Goyim (Nicht-Juden) ohnehin alle gegen uns sind, egal was wir tun", meint Dr. Ronen Bergmann, Moderator beim Ersten Fernsehkanal. Das sei eine "gefährliche Entwicklung" warnt Bergmann und rät der Regierung zu besserer Öffentlichkeitsarbeit. Das rechte, aus Anzeigen finanzierte Blatt Israel Hajom ging unterdessen zum Gegenangriff über. Der türkische Premier Tayyip Erdogan habe "die Schiffe für Hamastan organisiert", schrieb die Zeitung. Er unterstütze den "radikalen politischen Islam, der darauf aus ist, alle modernen Errungenschaften der arabischen und islamischen Gesellschaften zunichtezumachen", um die islamische Welt "zurück ins 7. Jahrhundert zu führen".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • VO
    verena oberschmied

    susi lustig_das es dir nicht zu bloed ist,solch einen SCHEISS zu schreiben!

  • M
    Martin

    @ Thomas: ja, wem nützt es, Menschenrechtler mit gezielten Kopfschüssen zu erschiessen? Sehr gut auch Ihr Hinweis auf das diesbezügliche Schlachtvieh. Die Abschlachtung von Menschen durch staatlichen Mord. Und auch der Hinweis auf Notwehr sollten wir beachten. Es gibt ein Notwehrrecht gegen Massenmörder laut StGB.

  • SL
    susi lustig

    Lieber Thomas,

    du hast ja so recht,warum kümmern sich diese Gutmenschen überhaupt um die Einwohner des Gaza-Streifens.

    Außerdem finde ich es ok wenn hier und da mal ein Schiff mit Gutmenschen angegriffen wird.

  • T
    Thomas

    Der interessanteste Aspekt erscheint mir die alte immergute Frage zu sein: Wem nützt es? Eines mag man den Demonstranten in diesem Zusammenhang wirklich vorhalten: Sich instrumentalisieren zu lassen in Zusammenhängen, die sie gar nicht durchblicken können. Gerade auch die deutsche Linke, gutmenschelnd und dabei auch mal gerne latent antisemitisch, taugt hier besonders als potentielles Schlachtvieh. Die israelischen Behörden sind für derartige Provokationen aber auch ein verlässliches Ziel.

    Kann mir denken, dass in Israel mancher Hardliner die "Friedensflotte" genutzt hat, um den einen oder anderen Widersacher loszuwerden und die Situation eskalieren zu lassen.

  • M
    Martin

    Fassen wir die offiziellen Meinungen des Staates Israel zusammen: Israel hat alles Recht der Welt, Schiffe eines Staates der NATO auf internationalen Gewässern militärisch zu entern und den Widerstand mit gezielten Kopfschüssen zu beenden. Immerhin wurden Stangen, Messer und Steinschleuder gegen Elitesoldaten eingesetzt. David mit Steinschleuder gegen einen Atombombenstaat: da ist es doch klar, dass der Atombombenstaat in Notwehr handelte mit Kopfschüssen. Und die NATO? Kein Bündnisfall? Liebe Leute, was soll Deutschland in der NATO, wenn wir nicht einmal Sicherheit haben, dass militärische Angriffe von Atombombenstaaten auf Schiffe von NATO-Staaten den Bündnisfall auslösen? Wo gibt es eine Sicherheit gegen Atombombenangriffe eines völlig durchgeknallten Staates? Bei der NATO?

  • TK
    Thorben Kaufmann

    Bei solchen oder ähnlichen Geschehnissen, auch in der Vergangenheit, sollte sich der Staat Israel als proklamierter "Staat der Juden" und dessen Beführworter (hier Zionisten) einmal überlegen, was sie der großen Menge friedlicher und friedliebender Juden weltweit mit ihrem Verhalten antuen. Schnell wird hier ein friedliebender Mensch mit solchen Unmenschlichkeiten in Verbindung gebracht - wie es auch bei radikal-islamistischen Gruppen und den vielen friedliebenden Muslimen geschieht. Der Weg zu einem modernen und anerkennbaren Staat ist m.E. für Israel noch sehr weit und sehr lang, und dies liegt nicht etwa nur an den bösen Nachbarn.

    Aber ich nehme natürlich alles zurück, wenn der Angriff wenigstens mit den aus Deutschland gelieferten Kriegsschiffen gefahren wurde. Dann war dieser Akt der Gewalt wenigstens "qualitativ hochwertig".

  • G
    Gan-Chan

    Die TAZ Schlagzeilen sind unserioes. Es hat sich definitiv um keine 'Hilfsschiffe' gehandelt! Das 6. Schiff, welches die Blockade absichtlich und wissentlich durchbrochen hat, hatte Waffen an Bord, die Menschen haben widerliche Hassparolen gebruellt und dann die IDF-SoldatInnen angegriffen.

     

    Diese durchgehend einseitige Betrachtungsweise (egal um was es geht - gegen Israel) ist voellig inakzeptabel und legt eine Gesinnung offen, die ich nicht fuer moeglich gehalten haette. Zumindest nicht bei Menschen, die nicht von Geburt an mit Hass geimpft wurden, wie die Araber in Gaza beispielsweise.

  • M
    Markus

    Ich verstehe eines nicht und zwar warum es heißt die Aktivisten hätten die Soldaten angegriffen und die Soldaten hätten sich drauf hin nur verteidigt.

     

    Einpaar Schiffe, die Hilfsladungen für die Menschen in Gaza an Bord haben fahren Richtung Gaza mit rund 700 Aktivisten. Gleichzeitig ist es ihr Ziel zu versuchen die Blockade zu durchbrechen um die Welt aufmerksam auf das Leid in Gaza zu machen. Und dann GREIFEN israelische Kommandos, ohne eine Völkerrechtliche Grundlage(!!!) ein Schiff auf internationalen Gewässern an. Die Aktivisten wehren sich mit Stöcken und Stangen und am Ende heißt es die Soldaten hätten aus Notwehr gehandelt. Bei all dem Massaker die das israelische Militär schon angerichtet hat, hätte ich mich auch gewehrt und mich nicht kampflos ergeben, aus Angst um mein Leben. Wie man jetzt im Nachhinein sitzt, hätte ich zurecht Angst um mein Leben haben müssen.

     

    Wenn ich also bei jemandem einbreche, der Hausbesitzer mich drauf hin attackiert und ich ihn danach abknalle, ist es Selbstverteidigung???

     

     

    Bis vorgestern war ich immer eher PRO-Israel aber langsam habe ich echt genug!