: Stunk über den Stunk
■ Stresemannstraße: Heute vor zwei Jahren starb Nicola Die Strese-Ini gibt keine Ruhe Von Ulrike Winkelmann
„Der Dampf ist nie raus“, sagt Gisa Mahnke von der Stresemannstraßen-Initiative. „Wir geben keine Ruhe“, meint auch Kurt Schröter, ebenfalls „Stresi“, provozierend. Aus den Erfahrungen der bekanntesten Verkehrs-QuerulantInnen Hamburgs ließe sich ein Leitfaden „Wie bastele ich eine erfolgreiche BürgerInnen-Initiative“ stricken. Seit zwei Jahren produziert die Strese-Ini unablässig Stunk über den Stunk in der Stresemannstraße – und hört gar nicht mehr auf.
Zwei Wochen im Herbst 91: Am Nachmittag des 27. August 1991 wird die neunjährige Nicola auf dem Fußgängerüberweg an der Ecke Julius-/Stresemannstraße von einem bei Rot über die Kreuzung bretternden LKW überfahren. Der tragische Tod des Mädchens ist der Anstoß zu einer Protestwelle, wie es sie vorher und nachher in deutschen Landen nicht gegeben hat. Am Tage des Unfalls versammeln sich AnwohnerInnen auf der Straße und beschließen, sie für den Verkehr nicht wieder freizugeben, bis der Senat etwas geändert hat.
Wochenlang ist die für den Fernverkehr wichtigste Verbindung zwischen den Autobahnen A1 und A7 quer durch die Stadt gesperrt, täglich ab 16 Uhr. Es herrscht Ausnahmezustand, Kinder üben sich im Barrikadenbau, Mütter werden renitent. Nach den ersten vergeblichen Räumungsversuchen wird die Polizei zurückgepfiffen. Am 10. September 1991 geben Innen- und Baubehörde nach: Die Stresemannstraße wird als erste Bundesstraße Hamburgs zur Tempo 30-Zone, zwei Busspuren treten an die Stelle der äußeren Fahrspuren.
Seitdem hat sich nach Meinung der Stresis in der Verkehrsbewegung eine Menge geändert. „Wenn jetzt irgendwo in der Stadt wieder ein Kind totgefahren wird, stehen sofort Leute auf der Straße“, sagt Gisa Mahnke. Die Strese-Ini hat gegenüber anderen Gruppen einen entscheidenden Vorteil: Sie profitiert vom Schutz ihrer Popularität. Statt sie zu behindern, spricht sich die Polizei mit den AktivistInnen ab. „Wir sind aber auch bürgerlich“, gibt Gisa Mahnke zu, „mit der Polizei anlegen wollen wir uns gar nicht.“
Allerdings hätten sie sich den Presse-Ruhm auch verdient, meint Gisa Mahnke, „wir haben einfach gute Ideen, unsere Aktionen sind fotogen, und wir haben Spaß dabei.“ Kurt Schröter: „Da stecken harte Arbeit und Phantasie hinter“. Die Schauspielerei sei wichtig – wie sie sich zum Beispiel mit Nachthemden nachts mitten auf der Straße ins Bett gelegt hätten, oder als sie einen Unfall mit einem Gefahrenguttransporter simulierten. Bitten um Ideen-Beihilfe könnten sie nicht immer nachkommen. „Wir sind doch keine Verkehrsberuhiger vor dem Herrn“, so Kurt Schröter bescheiden. Auch von Parteien hielten sie sich fern. „Neulich wollte uns eine Partei für den Wahlkampf einspannen. Da winken wir natürlich ab.“
Geändert hat sich auch die Situation auf der Stresemannstraße. Statt 42.000 (Verkehrsbehörde) bis 60.000 (andere Angaben) rollen nur noch 27.000 Fahrzeuge täglich durch die Asphaltschneise. Dies ist laut Umweltbehörde der Grund dafür, daß auch die Schadstoffbelastung an der ehemals „giftigsten Straße Europas“ zum Teil um die Hälfte zurückgegangen ist. Die Zahl der LKWs, 6.000 bis 8.000 pro Tag, davon 10 Prozent Gefahrenguttransporte, ist jedoch kaum geschrumpft.
Das Gestaltungskonzept der Verkehrsbehörde vom Januar dieses Jahres, wonach die Busspuren teils wieder entfernt werden sollen, stößt deshalb bei der Initiative auf Ablehnung: „Wir wollen den Schwerlast- und den Gefahrengutverkehr 'raus haben“, sagt Kurt Schröter, „die Busspur muß bleiben, wir brauchen sie als Puffer zwischen Fußweg und Fahrbahn.“ Die Fahrspur würde nach dem Konzept von 3,00 auf 4,50 Meter verbreitert werden. „Das reicht für zweispurigen, sprich mehr Verkehr“, so Gisa Mahnke. Jürgen Asmussen, Sprecher der Verkehrsbehörde, betont hingegen Kooperationsbereitschaft. Alle Einzelmaßnahmen würden mit den AnwohnerInnen diskutiert. „Die Betroffenen werden alle zu Wort kommen“, verspricht er, „wir werden noch in diesem Jahr ins Gespräch einsteigen“.
Bis dahin haben die Stresis schon wieder etwas Neues ausgebrütet. Am 10. September, dem zweijährigen Jubiläum der Busspur, wollen sie nach dem Motto „Wir setzen um, was der Senat versprochen hat“ wieder mit einer Überraschungsaktion aufwarten. Heute, am zweiten Todestag der kleinen Nicola, rufen sie zur Demonstration an der Ecke Stresemann-/Bernstorffstraße auf. Wie immer um 16 Uhr – zum selben Zeitpunkt, an dem Nicola sterben mußte.
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