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Stunde der Demagogen in Serbien

Belgrader Eltern demonstrieren gegen den Krieg/ Söhne sollen vor Bürgerwehr geschützt werden  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

„Gebt uns unsere Kinder wieder“ brüllte eine aufgebrachte Menge Belgrader Eltern am Montag Abend und stürmte gewaltsam das serbische Parlament. „Nieder mit den Roten, die unsere Söhne in den Krieg schicken.“ Es war die erste Anti-Kriegs- Demonstration, der erste Protest gegen das unmenschliche Vorgehen der Bundesarmee gegen unser „freies Slowenien“, kommentierten in einer ersten Reaktion die slowenischen Medien.

Sie übersahen dabei aber Details und berichteten diese erst später. Seit Anfang der Woche bringen die serbischsprachigen Zeitungen Südjugoslawiens große Reportagen über angeblich unmenschliche Greueltaten slowenischer „Terrorbanden“, vor allem gegenüber serbischen Rekruten in der Bundesarmee. Keine Zeitung in Belgrad, die keine „Exklusivberichte“ kennen würde, wie „slowenische Terroristen“ Kasernen umstellten und die einfachen Soldaten darin ausdursten und aushungern ließen, wie Verletzte angeblich weder medizinische Versorgung noch Hilfe zugestanden bekämen. Und selbst „Alternativzeitungen“ und Studentenblätter blasen mit Kommentaren ins gleiche Horn. Die schwerfällige Bundesarmee sei unfähig, „serbische Interessen zu schützen“, meint beispielsweise der charismatische Oppositionsführer Vuk Drasković. Slowenien solle in Ruhe gelassen werden, denn dort lebten ja auch keine Serben. Für Drasković, aber auch viele andere serbische Intellektuelle, ist Jugoslawien bereits als Staat gestorben, „doch Serbien müsse neu erwachen“.

Als die demonstrierenden Serben das Parlament besetzten, sah auch der serbische General Blagoje Adzić seine Stunde gekommen. Er trat mit einer dramatischen Rede im Fernsehen auf, erkärte unter anderem, die Bundesregierung unter Ante Markovic habe der Bundesarmee zu wenig Spielraum gelassen, um in Slowenien wieder Ruhe herzustellen. Sie allein sei für die Menschenverluste verantwortlich zu machen.

Diese Sätze wurden über Fernsehmonitore im serbischen Bundesparlament live übertragen. Doch die aufgebrachten Mütter und Väter der eingezogenen Rekruten gaben nicht nach. Über Stunden wurde im Parlamentsgebäude heftig diskutiert, gestritten und vereinzelt auch handgreiflich zugegriffen. Dann kam Adzić persönlich, sprach väterlich zu den aufgebrachten Eltern. Sprach im Namen Serbiens. Und wörtlich: „Liebe Eltern, liebe serbische Patrioten, Sie wissen, daß unser Land seit einigen Jahren immer mehr herunterkommt. Dieses Land wurde von vielen Feinden angegriffen, sie sind innerhalb unserer jugoslawischen Völker und vor unseren Grenzen. Sie wollen unser Land zerstören und haben als Ziel Vorstellungen von starken Staaten wie aus der historischen Vergangenheit.“ Mit anderenWorten: Slowenen und Kroaten träumen von der österreich-ungarischen Monarchie. Und Adzić hatte Erfolg mit seiner Demagogie. Er versprach den Eltern, daß sie ihre Söhne am kommenden Mittwoch in Slowenien persönlich abholen könnten, dies habe er mit dem slowenischen „Gegner“ aushandeln können. Von nun an würden nur mehr „Freiwillige“ und Berufssoldaten in den Kämpfen mit Slowenien teilnehmen. Ein klarer Hinweis, Adzić denkt nicht an einen Frieden — ein klarer Hinweis, Serbien erklärt Slowenien den Krieg.

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