■ Stückemarkt: „Jagdzeit“ von Gundi Ellert
Deutsche Männer im romantischen Wald. Angeführt vom Bürgermeister, bewaffnet mit Gewehr und Knüppel, liegen sie auf der Lauer, machen Jagd auf „Tierchen“. So nennen sie die Vandalen, die ihren Grenzort verunsichern und die Wähler potentiell in gegnerische, radikalere Parteien treiben. Weil niemand – nicht mal das Militär! – hilft, helfen sie sich selbst. Zum Beispiel mit Fuchsfallen. Was die tapfer sich ängstigende Bürgerwehr erst spät entdeckt: Sie verfolgen ihre eigenen Kinder. Mit schwarzer Farbe fremdländisch angestrichen, gehen diese auf Beutezug, rauben, schlagen, plündern, ergehen sich in offener Gewalt, vor der ihre Eltern noch zurückschrecken. Doch soll man sie nicht einbinden, statt sie auszugrenzen? Der Bürgermeister weiß am Ende demokratischen Rat: Man schließt einen Kompromiß. Die Kinder werden in die Familie wieder aufgenommen, ihre Opfer eingemauert (Leichen im deutschen Wald!), schuld sein können doch nur – die Fremden. Auf Ehrenwort? Ehrenwort.
Nun gibt es viele Stücke über „Jugend und Gewalt“. Von Christian Martin „Amok“, Trevor Griffiths „Skins“, „Heimat los“ vom Grips- Theater. Alle moralisch einwandfrei, präsentieren sie die Wirklichkeit schonungslos und betroffen machend. Geben Denkklischees mit Lösungsansätzen. Die Dramatikerin Gundi Ellert (die als Schauspielerin auch in „Wolken.Heim“ aus Hamburg zu sehen ist) hüpft mit „Jagdzeit“ über diese Hürden der Wohlanständigkeit hinweg. Sie nennt zwar auch die typischen Erklärungsmuster für Gewalt, als da sind: Elternhaus, Arbeitslosigkeit, Sozialisation, deckt Hierarchien und gruppendynamische Prozesse auf, doch ihr Stück ist mehr als Sozialpädagogik mit Theatermitteln. Vor der gutgemeinten Didaktik flüchtet sie in die Groteske. Zeigt das Häßliche so lachhaft, bis das Lachen häßlich wird.
Die Bürger sind folglich trottelig, korrupt, feig. Ihre Brut egoistisch, brutal, gefühllos. Doch was bei den Alten scheinbar harmlos als Posse beginnt, führen die Jungen dramatisch in die Katastrophe: den Haß auf alles Fremde, den Kampf jeder gegen jeden; selbst der Schwache findet zum Quälen noch einen Schwächeren. So verschwimmt die Grenze zwischen Gut und Böse, wer wollte da noch moralisieren? Genau hier liegt die Qualität von Gundi Ellert. Sie hat nicht nur ein Thema, sondern auch eine Form. Die Ungeheuerlichkeiten des Lebens werden in ihrer Geschichte nicht gelöst. Es gibt weder ein happy noch ein bloody ending, der Zustand ist dauerhaft. Und sie findet eine Sprache dafür. Reflektiert die Phraseologie des Alltags in Kunst-Prosa: knappe Sätze, rhythmisch, stockend, geschliffen. Bei den Alten entlarvt das die Lächerlichkeit ihres Seins, bei den Jungen die Leere und Verlorenheit. Die Wirklichkeit erscheint im Zerrbild. Dauerhaft schrecklich. Dauerhaft komisch?Dirk Nümann
Die Lesung findet am 14.5. um 16 Uhr im DT-Foyer statt.
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