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Studie zum Sozialverhalten von Online-SpielernFreunde fürs Zweite Leben

Vereinsamen Fans von Computerspielen? Quatsch, sagt eine Studie der Uni Leipzig. Allerdings zeigt sie auch, dass viele Spieler Angst haben süchtig zu werden.

Besucher bei der Games Convention in Leipzig: Der Austausch mit anderen ist der Studie zufolge der entscheidende Grund, warum Jugendliche sich den Spielen zuwenden. Bild: dpa

Schummriges Licht fällt in den Raum, die leeren Pizzakartons stapeln sich. Seit Stunden, Tagen, Wochen sitzt ein junger Mann vor seinem Computer. Zu Freunden und Verwandten hat er kaum Kontakt, nur noch zu Orks und Elfen auf dem Bildschirm.

So sieht es aus, das Klischee vom sozial isolierten Online-Spieler. Doch pünktlich zur Games Convention in Leipzig stellt eine neue Studie dieses Bild auf den Kopf. Spieler seien keineswegs vereinsamte Problemfälle, sagt Bernd Schorb, Professor für Medienpädagogik an der Universität Leipzig. Im Gegenteil: Die virtuellen Welten schaffen sogar neue Freundschaften.

367 Jugendliche im Alter von zehn bis 22 Jahren haben die Forscher der Uni Leipzig im Vorjahr auf der Games Convention einen Fragebogen ausfüllen lassen. 78 Prozent von ihnen gab an, Online-Spiele gemeinsam mit Freunden aus Schule, Uni oder Nachbarschaft zu spielen. Zwei Drittel der Befragten sagten, dass sie die virtuellen Spielewelten besonders schätzen, weil sie dort Leute kennen lernen können. Die Hälfte der Spieler hat bereits über Spiele neue Freunde gefunden. Der Austausch mit anderen ist der Studie zufolge der entscheidende Grund, warum Jugendliche sich den Spielen zuwenden. "Für die Jugendlichen macht es einen Unterschied, ob sie gegen den Computer spielen oder ein Gegenüber haben, das sich selbst Neues ausdenken kann", sagt der Medienpädagoge Matthias Kießling, Mitautor der Untersuchung. Im Vordergrund stehe der sportliche Wettkampf. Besonders gefragt sind deswegen Spiele, bei denen Aufgaben im Team gelöst werden müssen und sich die Spieler mit anderen messen können. Das Lieblingsspiel der Befragten ist das Online-Rollenspiel "World of Warcraft", bei dem schätzungsweise bis zu zehn Millionen Spieler registriert sind.

Clans und Gilden, in denen sich viele Spieler organisieren, bieten über das Spiel hinaus sozialen Halt. "In der Gilde ist die Atmosphäre sehr offen und man wird mit offenen Armen empfangen", berichtete ein 16-Jähriger den Forschern. "Wir haben auch ein paar Schicksale mitgekriegt, zum Beispiel dass jemand seine Arbeit verloren hat." Die 21-jährige Mirinda erzählte den Wissenschaftlern, ihren Freund bei "World of Warcraft" kennen gelernt zu haben. In Medienberichten war sogar schon davon die Rede, dass Online-Spieler später geheiratet hätten.

Wie weit die Freundschaften in der Regel aber reichen, ist für die Leipziger Wissenschaftler schwer nachzuvollziehen. Je nach Studie investieren die Spieler weit über 20 Stunden wöchentlich in ihr Hobby. Wie viel Zeit da bleibt, um sich bei Problemen jenseits der Computerwelten zu unterstützen, ist offen. Viele Online-Spiele sind außerdem so angelegt, dass sie rund um die Uhr weitergehen. Längere Auszeiten kosten Punkte.

Viele Spieler beklagen sich über eine besondere Art von Sozialstress: Für neun Prozent ist der Zeitaufwand der Spiele ein Problem. 15 Prozent kritisieren die Kosten. Bei vielen Angeboten wie "World of Warcraft" sind monatliche Mitgliedsbeiträge fällig. Wer mehr investiert, kann seine Spielchancen verbessern.

Ob Online-Spiele süchtig machen, ist unter Experten strittig. Besonders interessant an der Leipziger Studie: Viele Spieler problematisieren von sich aus die Suchtgefahr ihres Hobbys. Forscher Kießling sieht das positiv: Die Jugendlichen seien sehr reflektiert. Einen Schwachpunkt, das gibt Kießling offen zu, habe die Befragung der Messebesucher: Spieler, die tagelang im Zimmer sitzen, erwischt man so natürlich nicht.

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