Studie zum Fehmarnbelt: Ein Plädoyer für die Querung
Neue Studie schwärmt von "positiven Effekten": Pendler, Touristen und explodierende Immobilienpreise sagen Forscher der Unis Kiel und Kopenhagen voraus
LÜBECK taz | Norddeutschland blüht was. Eine gewaltige wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung der Region zwischen Hamburg und Kopenhagen sagt eine deutsch-dänische Studie eines Forscherteams der Universitäten Kopenhagen und Kiel über die Fehmarnbelt-Querung voraus. Das 438 Seiten starke Werk mit dem sperrigen Titel "Regionale Entwicklungsperspektiven" im Auftrag der dänischen Realisierungsgesellschaft Femern A/S wurde am Freitag in Lübeck präsentiert.
"Wir werden Wachstum und Fortschritt sowohl nahe der Querung als auch in den beiden Metropolen Hamburg und Kopenhagen erleben", erklärte der Leiter der Untersuchung, Professor Christian Wichmann Matthiessen von der Universität Kopenhagen bei der Vorstellung. Bis 2020 will Dänemark mit Tunnel oder Brücke eine Verbindung nach Schleswig-Holstein bauen. Die Kosten für die vierspurige Autobahn und zwei Bahngleise von mindestens 5,2 Milliarden Euro sollen über Mauteinnahmen refinanziert werden. Deutschland muss die Straßen und Schienen zwischen Fehmarn und Hamburg auf eigene Kosten ausbauen.
Die wesentlichen Konsequenzen des Vorhabens seien "positive Effekte auf den lokalen und regionalen Arbeitsmarkt", eine "markante Entwicklung des Pendlerverkehrs" und explodierende Immobilienpreise, sagt nun die Untersuchung voraus. Steigerungen von 7,5 bis 8,5 Prozent für Häuser und Wohnungen und in der Folge auch für Mieten ist eines der Szenarien unmittelbar nach Eröffnung der Verbindung. Brennpunkt seien Lübeck und die Urlaubsorte an der deutschen Ostseeküste in Ostholstein.
Die Region Fehmarnbelt umfasst Hamburg, Schleswig-Holstein und den Nordwesten Mecklenburg-Vorpommerns, den östlichen Teil Dänemarks und die südschwedische Provinz Schonen.
Fläche: Der deutsche Teil umfasst etwa 15 Millionen Quadratkilometer, der dänische neun und der schwedische elf Millionen. Zusammen entspricht das der Größe von Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg.
Einwohner: 9,3 Millionen Menschen, davon 5,6 im norddeutschen, 2,5 im dänischen und 1,2 Millionen im schwedischen Teil.
Metropolen: Der Großraum Hamburg mit 3,3 Millionen Einwohnern und die Öresundstadt (Kopenhagen, Malmö, Lund) mit 2,6.
Distanzen: Die Entfernung zwischen Hamburg und Kopenhagen beträgt knapp 290 Kilometer, über die kombinierte Tunnel-Insel-Brücken-Verbindung über den Öresund nach Malmö sind es weitere 20 Kilometer.
Tourismus: Der Fremdenverkehr ist vor allem im deutschen Teil der Region einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. 2008 verzeichnete die schleswig-holsteinische Ostseeküste zwischen Lübeck und Fehmarn fast 17 Mio. Übernachtungen. Im dänischen und schwedischen Teil waren es zusammen nur etwa ein Viertel.
Auch Berufspendler, aktuell unbekannte Wesen, soll es schon 2020 reichlich geben. Je nach Fahrtzeit und Fahrpreisen würden 1.400 bis 3.800 Pendler in Richtung Kopenhagen und 1.800 bis 5.900 in Richtung Hamburg erwartet.
Die Studie steht damit im Widerspruch zu einer Untersuchung der Hamburger Wirtschaftsberatungsfirma Hanseatic Traffic Consultancy (HTC). Diese kam im vorigen Juli zu dem Ergebnis, dass die Querung des Fehmarnbelts keine nennenswerten regionalwirtschaftlichen Effekte habe. Sie hätte "kaum Potenzial, zu einer wirtschaftlichen Belebung der Region Ostholstein in größerem Umfang beizutragen", heißt es in dem HTC-Gutachten im Auftrag der Handelskammern von Hamburg und Lübeck.
Stattdessen sagt die neue Studie "auch dem Tourismus eine positive Entwicklung voraus" - allerdings, ohne diese These zu belegen. Ein gesondertes Tourismus-Gutachten, das solche Behauptungen stützen könnte, lässt noch immer auf sich warten. Das hatte Femern A/S vor zwei Wochen bei einer Informationsveranstaltung auf Fehmarn einräumen müssen.
Deshalb empfiehlt die Studie, dass Hamburg "eine Marketingkampagne großen Ausmaßes" starten solle, um dänische und schwedische Touristen anzulocken.
Eben das bestätigt eher Befürchtungen, dass die Ferienregion zum Transitland degradiert würde. Kritiker befürchten, dass der Ausbau der Autobahn A 1 nördlich von Lübeck zu mehr Lärm in den Ostseebädern führe. Vor allem aber der Ausbau der Bahnstrecke weckt Ängste: Auf einer mehrgleisigen Trasse würden dann ICEs und ICs sowie Güterzüge von bis zu 800 Metern Länge durch die Seebäder rauschen. In einigen Orten verläuft die Strecke nur wenige hundert Meter vom Strand.
"Den Lärm würde man im ganzen Ort hören", fürchtet Volker Popp, der parteilose Bürgermeister von Timmendorfer Strand: "Das ist das Ende des Tourismus." Mehr als 90 Prozent der Wertschöpfung zieht das Ostseebad aus dem Fremdenverkehr, in den Nachbarorten ist die Lage ähnlich. "Volkswirtschaftliche Verluste von 400 bis 500 Millionen Euro im Jahr" wollen deshalb Gegner des Projektes errechnet haben.
Aber vielleicht meint Wichmann Matthiessen genau das, wenn er im Vorwort zur Studie schreibt: "Die Feste Fehmarnbeltquerung ist eines der systemverändernden Megaprojekte der Welt.
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