Studie zu rechter Gewalt: Sind die meisten Schläger unpolitisch?
Rund 85 Prozent der Täter seien eigentlich unpolitisch, schlagen allein aus Gruppenfeindlichkeit zu, so eine Studie. Muss rechte Gewalt neu definiert werden? Daran gibt es Zweifel.
Wenn rechte Gewalttäter zuschlagen, haben sie oft kein gefestigtes, politisches Weltbild. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. 85 Prozent der in Berlin begangenen rechtsextremen Gewalttaten basieren auf Vorurteilen und Hass gegenüber bestimmten Gruppen, 15 Prozent seien politisch-ideologisch motiviert, sagte am Dienstag Michael Kohlstruck, der die Studie erstellt hat.
Daraus leitet der Soziologe ab: "Wir müssen die spezielle Frontstellung gegen rechts aufgeben. In den Fokus müssen vielmehr Gruppenfeindschaften generell gerückt werden." Die 120 Seiten umfassende Studie, die im Auftrag der Landeskommission Berlin gegen Gewalt entstanden ist, ist eine Bestandsaufnahme der Arbeitsansätze in Berlin, die präventiv gegen rechte Gewalt wirken.
Als weitere Empfehlung leitete Kohlstruck aus den Ergebnissen ab, gegen diffuse Feindbilder schon in frühkindlicher Entwicklung zu sensibilisieren. So müsse etwa die interkulturelle Kompetenz von Kindern schon stärker in Kitas und Grundschulen gefördert werden, sagte Kohlstruck.
Im vergangenen Jahr registrierte das Berliner Landeskriminalamt 1.377 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Zwar waren das weniger als 2007, die Zahl der Gewaltdelikte darunter aber stieg von 74 auf 91 Fälle. Die Dunkelziffer liegt um einiges höher: Die Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt Reach Out etwa meldete im selben Zeitraum 148 Gewaltdelikte.
Kohlstrucks Folgerung, rechte Gewalttaten eher unter dem Begriff "gruppenbezogene Feindschaft" zu fassen, wurde von Fachleuten scharf kritisiert. Claudia Schmid vom Berliner Landesverfassungsschutz warnte vor einer Verallgemeinerung dieses Begriffs. Seit 2003 sei eine Professionalisierung autonomer rechtsextremer Gruppen zu beobachten, etwa bei der Rekrutierung neuer Mitglieder. "Das ist eine Entwicklung, die ernsthaft beobachtet werden muss."
Die Debatte um den Begriff "Rechtsextremismus" ist dabei nicht neu. Ideologische Grabenkämpfe würden darüber schon seit Jahren geführt, sagte Patrick Gensing, Betreiber des Internetprojekts NPD-Blog. Gensing verwendet bei seiner Arbeit häufig den Begriff "extrem rechts", den er auch als Hilfskonstrukt bezeichnet. Der Begriff "Rechtsextremismus" müsse mit Inhalt gefüllt werden, er beschränke sich zu sehr auf eine Gruppe. "Alltagsrassismus, wie er in Äußerungen von Koch oder Rüttgers vorkommt, wird damit komplett ausgeblendet", sagt Gensing.
Er verweist auf den Soziologen Wilhelm Heitmeyer, der als Kategorie für Einstellungsmuster in der Bevölkerung "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" eingeführt hat. "Damit wird viel klarer, wo das Problem liegt", so Gensing, "dass den Menschen die Würde aberkannt wird." Den Begriff Rechtsextremismus grundsätzlich zu überdenken, sei wichtig, denn nicht die "bösen Ränder" seien das Problem, sondern durchaus der gesellschaftliche Rahmen, der solche Straftaten zulässt.
Schon die Definition der Motivation für rechte Gewalt hält Robert Scholz vom Internetforum "Endstation Rechts" für problematisch. Die Trennung von Vorurteilen gegenüber bestimmten Gruppen und politisch-ideologisch motivierten Taten sei reichlich konstruiert. "Gewalt gegen Gruppen ist zwangsläufig politisch", sagt Scholz. Zudem gebe der Begriff "gruppenbezogene Feindschaft" keinen Aufschluss über die politische Zielrichtung der Gewalt: "Das ist ein inhaltsleerer Begriff."
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