Studie zu Neonazis im Netz: Sanfter Einstieg über Likes und Links
Mit nicht offensichtlichen rechtsextremen Themen ködern Neonazis im Netz Jugendliche, die so den Einstieg in die Szene finden. Eine Videoserie soll nun für Aufklärung sorgen.
BERLIN taz | Anders Breivik veröffentlichte ein mehr als 1.000-seitiges Manifest im Internet, bevor der Norweger im Juli 2011 77 Jugendliche erschoss. Auch die Morde der Terrorzelle NSU hinterließen Spuren im Netz. Im rechtsextremen Thiazi-Forum dokumentierte die Jugendschutzorganisation der Bundesländer, Jugendschutz.net, binnen drei Wochen nach Beginn der Berichterstattung mehr als 1.500 Beiträge, die unter anderem den rechtsextremen Terror bezweifelten, die Gewalttaten guthießen und die Opfer verhöhnten.
Rechtsextreme sind im Internet höchst aktiv. Mittlerweile ist das Social Web eines der wichtigsten Nachwuchs-Werbemittel der Neonaziszene. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Studie der Bundeszentrale für politische Bildung, der Online-Beratung Gegen Rechtsextremismus und von Jugendschutz.net. Vor allem Jugendliche werden in den sozialen Netzwerken geködert.
„Neo-Nazis werden immer gewiefter. Mit emotionalen Themen, wie sexueller Kindesmissbrauch werden vor allem Jugendliche angelockt“, sagt Stefan Glaser, Leiter des Bereichs Rechtsextremismus von Jugendschutz.net. „Der rechtsextreme Kontext wird anfangs verschleiert. Durch Links, oder Gefällt-Mir-Buttons werden die User zu rechtsextremen Seiten geführt. So beginnt oft der Einstieg in die Szene“.
Außerdem geben sich Neonazis sich in den sozialen Netzwerken mittlerweile radikaler, da sie sich laut Glaser sicher vor Strafverfolgung fühlen. „Neonazis schaffen auf den Plattformen ein Klima der Gewalt. Betreiber und die zivile Bevölkerung ist angehalten schnell etwas zu unternehmen, sobald rechtsextreme Propaganda auffällt.“
Laut der Studie gingen 2011 bei Jugendschutz.net 1.607 Beschwerden über rechtsextreme Inhalte ein, rund ein Drittel mehr als noch 2010. „Das liegt vor allem daran, dass die Bevölkerung dem Thema gegenüber sensibler geworden ist. Insgesamt wurden vergangenes Jahr rund 3.700 Videos, Profile und Kommentare rechtsextremen Inhalts gesichtet. Die Zahl der Twitter-Accounts von Neonazis hat sich binnen eines Jahres sogar verdoppelt.
Ein besonders heikles Thema ist Rechtsextremismus bei Jugendlichen. „Für Eltern ist es oft schwierig, die Lage richtig einzuschätzen. Oft erkennen Mütter und Väter nicht auf Anhieb, wenn ihre Kinder in die rechtsextreme Szene abdriften“, sagt Liane Czeremin von der Online Beratung gegen Rechtsextremismus. Mit einer Videoserie unter dem Titel „Familie Heidmann“ wollen sie und Jugendschutz.net die Internetuser stärker für rechtsextreme Hetze im Netz sensibilisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee