Studie über akademische Migranten: Frau Doktor gilt als ungelernt
Die Regierung will hoch qualifizierte Migranten nach Deutschland locken. Doch dürfen viele Akademiker, die eingewandert sind, hier nicht arbeiten. Ihr Abschluss wird nicht anerkannt
LOCCUM taz Der Pakistaner kam als Flüchtling nach Deutschland. Als er längst im Asylverfahren war, startete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seine Greencard-Initiative, mit der er IT-Spezialisten ins Land holen wollte. Der Mann aus Pakistan ist ein solcher Spezialist. Doch als Asylbewerber durfte er nicht arbeiten - und für die Greencard bewerben durfte er sich ebenfalls nicht. Dafür hätte er das Asylverfahren abbrechen und aus dem Ausland einen Antrag stellen müssen.
"Wir haben viele solcher Geschichten gehört", sagt die Duisburger Soziologieprofessorin Anja Weiß. Sie ist Mitglied der internationalen Studiengruppe "Kulturelles Kapital in der Migration", die in den vergangenen drei Jahren die Bedingungen des Übergangs hoch qualifizierter Migranten in den Arbeitsmarkt untersucht hat. Das wichtigste Ergebnis: Deutschland verschleudert Ressourcen, weil das Potenzial der Migranten, die bereits hier leben, ungenutzt bleibt. "Hoch qualifizierte Spätaussiedler, Flüchtlinge und Einwanderer, die über den Familiennachzug kommen, geraten durch die Greencard-Debatte aus dem Blick", sagt Oliver Schmidtke, Politikprofessor im kanadischen Victoria.
Mehr als 200 narrative Interviews haben die Mitglieder der Studiengruppe, der neben Weiß und Schmidtke auch Wissenschaftler aus Hamburg und Siegen angehören, mit Betroffenen geführt: mit Akademikern, die mit fertigen Abschlüssen eingereist sind, und solchen, die ihren akademischen Titel in Deutschland erworben haben.
In den vergangenen drei Tagen hat die Studiengruppe erste Ergebnisse in der Evangelischen Akademie Loccum präsentiert und mit Fachleuten aus der Praxis diskutiert.
Die Hemmnisse, warum die Migranten nicht ihrer Qualifikation gemäß arbeiten, sind vielfältig: Da ist die Spätaussiedlerin aus Russland, deren Abschluss als Ärztin nicht anerkannt wird. Die Bosnierin, die vor dem Bürgerkrieg floh und in Deutschland jahrelang nicht arbeiten durfte, bis sie schließlich niemand mehr als Ingenieurin einstellte, weil ihr Wissen veraltet war. Da ist der Doktorand aus Lateinamerika, der zur Promotion nach Deutschland kam, und dem man hier sagte, sein Studienabschluss würde nicht anerkannt, was schlicht nicht stimmte.
Falsche oder nicht ausreichende Beratung sei ein großes Problem, sagt der Hamburger Erziehungswissenschaftler Arnd-Michael Nohl. 320 Stellen bundesweit seien damit beschäftigt, berufliche und akademische Abschlüsse anzuerkennen. Die Richtige zu finden, sei ein echtes Problem. Zudem seien die Entscheidungen häufig völlig intransparent, sagt Nohl. Auch mangele es an passenden Angeboten zur Weiterqualifikation für jene, deren Abschlüssen nicht anerkannt werden oder die schon lange nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet haben.
Auch bei der Beratung in aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Fragen gibt es massive Probleme. "Die meisten Berater sind für diese komplizierten Fragen nicht ausreichend qualifiziert", sagt Norbert Grehl-Schmitt von der Caritas in Osnabrück. Er fordert mehr Qualifikation, aber auch eine Vereinfachung des Rechts. Das Arbeitsverbot für Flüchtlinge müsse fallen, so Grehl-Schmitt: "Wer legal im Land lebt, sollte automatisch Arbeitsmarktzugang haben."
Schlecht sieht es auch bei der Beratung durch die Arbeitsagenturen aus. Das Computerprogramm der Agentur sieht ausländische Bildungsabschlüsse nicht vor. So landen alle Hartz IV-Empfänger, für deren Abschluss es kein anerkanntes deutschen Äquivalent gibt, schlicht in der Kategorie "ungelernt". "Wenn wir ein Angebot für diese Kunden hätten, würden wir sie nicht finden", sagt Mechthild Leinenweber von der Arge in Saarbrücken. Dort gibt es nun ein Pilotprojekt, mit dem auch ausländische Abschlüsse erfasst werden.
Auch in anderen Bereichen tut sich was. So bietet die Otto-Benecke-Stiftung seit 2006 an einigen Hochschulen Weiterqualifizierungsprogramme für ausländische Akademiker an. 350 Teilnehmer gibt es bis jetzt, nach Abschluss der ersten Maßnahme fanden mehr als die Hälfte eine Stelle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“