Studie über Organtransplantationen: Verdacht der Zweiklasssenmedizin
Ein Lübecker Sozialmediziner untersuchte, ob Privatpatienten bei der Verteilung von Organen bevorzugt werden. Sein Ergebnis: Die Beteiligten kommen ihrer Berichtspflicht nicht nach.
Bevorzugen Transplanteure privat versicherte Patienten? Diese Frage steht öffentlich im Raum, seitdem das Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie im Dezember 2007 festgestellt hatte, dass Privatpatienten knapp 15 Prozent jener menschlichen Organe erhielten, die in den Jahren 2004 und 2005 hierzulande verpflanzt wurden. Die Kölner Forscher hatten Berichte über die Tätigkeit aller 46 deutschen Zentren ausgewertet, die auf der Homepage der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zeitweilig veröffentlicht waren.
Einen vergleichsweise hohen Anteil von Privatpatienten wiesen zum Beispiel die Transplantationszentren in Berlin, Essen, Hannover und München aus. Auffällige Zahlen gab es auch aus Kiel, wo - laut DSO-Bericht - mehr als jeder vierte Empfänger einer fremden Niere privat versichert gewesen sei.
Anlass genug für Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Gitta Trauernicht (SPD), "dem Vorwurf einer Zweiklassenmedizin nachzugehen" und ein Gutachten bei dem Lübecker Professor Heiner Raspe in Auftrag zu geben. Der Sozialmediziner wertete Patientenakten und Datenbanken zu allen 446 Transplantationen von Nieren, Herzen und Lebern aus, die in den Jahren 2004 bis 2006 in Kiel und Lübeck stattfanden.
Ende April präsentierte der Lübecker Professor das Kernergebnis: "Unsere Untersuchung", so Raspe, "fand 11,6 Prozent der Patienten privat versichert. Dies ist weniger, als es ihrem Anteil im Bundesgebiet (rund 12,1 Prozent) entspricht."
Dass die von ihm ermittelten Zahlen völlig anders aussehen als die Zahlen, welche die DSO wohl aus Kiel bekommen und veröffentlicht hatte, erklärt Raspe unter anderem so: "Das Transplantationszentrum Kiel legte uns zusätzlich korrigierte Tabellen zum Versichertenstatus der Patienten für die Jahre 2005 und 2006 für alle transplantierten Organe vor."
Dies deutet auf frühere Fehler bei der Dokumentation im Klinikum hin, das ja - wie jedes deutsche Transplantationszentrum - vertraglich verpflichtet ist, jeweils zum 31. Januar eine korrekte Bilanz an die DSO weiterzuleiten. Doch Raspes Gutachten liefert auch zahlreiche Indizien für Fehlleistungen anderer Institutionen, die am Organspende-Management beteiligt sind. So habe die DSO es seit Jahren versäumt, einheitliche Vorgaben für die Erfassung des Versichertenstatus zu definieren, obwohl das Transplantationsgesetz (TPG) dies vorsieht.
Da die von der Koordinierungsstelle DSO veröffentlichten Berichte "in sich nicht schlüssig sind, scheinen Plausibilitätsprüfungen seitens der DSO unterblieben zu sein", benennt Trauernichts Ministerium einen weiteren Mangel.
"Erschwerend" komme hinzu, dass die niederländische Stiftung Eurotransplant (ET), die für die Vermittlung von Organen zuständig ist, "entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung der DSO keine Daten für die Tätigkeitsberichte zur Verfügung gestellt hat". Allerdings ließen die Ergebnisse des Raspe-Gutachtens den Schluss zu, "dass die DSO anscheinend diese Datenübermittlung wohl auch nicht angefordert hat".
Angesichts solcher Merkwürdigkeiten und Schwarze-Peter-Spiele sieht Trauernicht "Handlungsbedarf": DSO, ET und Transplantationszentren müssten zu "allen ihnen möglichen Datenprüfungen verpflichtet werden". Diese Forderung solle auch bei der nächsten Gesundheitsministerkonferenz Anfang Juli zur Sprache kommen.
Gleich mit zu klären wäre, wer die eigentlich so selbstverständlichen Pflichten praktisch durchsetzen soll, kann und auch will. Eine zentrale Verantwortung kommt dabei sicherlich den Vertragspartnern von DSO und ET zu, also den Spitzenverbänden der Krankenkassen, Bundesärztekammer und Deutscher Krankenhausgesellschaft.
Bislang haben diese Organisationen zu den offensichtlichen Fehlern und Transparenzdefiziten einfach geschwiegen. Laut TPG müssen sie aber die Einhaltung der Vertragsbestimmungen "gemeinsam überwachen".
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