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Studie über Klang-Identität in RapmusikWer den Beat macht, gibt den Ton an

Haben Rapper oder Produzenten beim Sound die Oberhand? Hamburger Mu­sik­wis­sen­schaft­le­r haben mit Maschinenlernen eine Antwort gefunden.

Wer an den Reglern sitzt, bestimmt den Sound ei­ne:r Rap­pe­r:in Foto: Andreas Arnold/dpa

In der Welt der Rapmusik gibt es zwei zentrale Akteure: Rap­pe­r:in­nen und Produzent:innen. Der:­die Pro­du­zen­t:in schafft die instrumentalen Grundlagen, die Beats, und der:­die Rap­pe­r:in mit Texten und Stimme die performative Essenz. Aber wer hat die Oberhand, wenn es um die Klanggestaltung geht? Darüber wird schon lange gestritten.

Nun hat eine Studie von Tim Ziemer, Nikita Kudakov und Christoph Reuter vom Institut für Systematische Musikwissenschaft an der Uni Hamburg, veröffentlicht im Februar im Journal of the Audio Engineering Society, das Ganze mit wissenschaftlicher Präzision beleuchtet. Dabei haben die Mu­sik­wis­sen­schaft­le­r modernste akustische Analysemethoden und maschinelles Lernen benutzt, um die Klangprofile bekannter Hip-Hop-Produzenten und ihre Zusammenarbeit mit bekannten Rappern zu entschlüsseln – untersucht wurden ausschließlich Männer.

Die Studie an der Schnittstelle von Musikwissenschaft, Akustik und Datenanalyse konzentriert sich auf drei der einflussreichsten Produzenten des Genres: Dr. Dre, Rick Rubin und Timbaland. Diese drei haben nicht nur die Entwicklung des Hip-Hop maßgeblich geprägt, sondern auch mit einer Reihe prominenter Rapper zusammengearbeitet, unter anderem mit Eminem, Jay-Z, LL Cool J und Nas.

Unverwechselbares Klangprofil

Zimer, Kudakov und Reuter fragen, ob Produzenten ein unverwechselbares Klangprofil besitzen und inwieweit dieses Profil die Zusammenarbeit mit Rappern bestimmt. Darüber hinaus untersuchen sie, wie stark sich die eigenen Produktionen der Rapper – sofern sie selbst als Produzenten aktiv sind – an den Stil ihrer Mentoren anlehnen.

Um diese komplexen Fragen zu beantworten, greifen Ziemer und seine Kollegen auf zwei akustische Analysewerkzeuge zurück: das Goniometer und die Mel-Frequenz-Ceps­tral-Koeffizienten (MFCC). Das Goniometer, ein in Tonstudios verbreitetes Instrument, misst Lautstärke, Dynamik und Stereobreite eines Musikstücks. Es visualisiert die räumliche Verteilung des Klangs und bietet so einen Einblick in die Produktionstechniken, die ein Produzent anwendet. „Mit dem Goniometer können wir zum Beispiel herausfinden, ob die Instrumente dicht gedrängt klingen wie bei einem Kammerorchester oder weit verteilt wie bei Mahlers Sinfonie der Tausend“, erklärt Ziemer.

Die aus der Sprachanalyse stammenden Mel-Frequenz-Cepstral-Koeffizienten (MFCCs) wiederum erfassen die spektrale Verteilung und damit die Klangfarbe eines Stücks – ein Merkmal, das sowohl die Arbeit des Produzenten als auch die Stimme des Rappers widerspiegelt. Mit diesen Werkzeugen haben die Musikwissenschaftler selbstorganisierende Karten trainiert – sogenannte Self-Organizing Maps, SOMs, eine Form neuronaler Netzwerke, die hochdimensionale Daten in eine zweidimensionale Darstellung überführen.

Karten für den Klang

Analysiert haben sie so 77 Songs von Dr. Dre, 45 von Rick Rubin und 106 von Timbaland, wobei Kollaborationen mit den genannten Rappern zunächst ausgeschlossen blieben. Die Ergebnisse der ersten Analysephase sind eindeutig: Jeder Produzent besitzt ein eigenständiges Klangprofil. Beim Goniometer zeigen sich klare Unterschiede in Lautstärke und Stereoverteilung, während die MFCCs eine erkennbare Individualität in der spektralen Gestaltung zeigen. Dr. Dre etwa bevorzugt eine markante Stereobreite, Rick Rubin setzt auf rohe, laute Klänge ohne viel Nachhall, und Timbaland integriert komplexere rhythmische Strukturen.

Im zweiten Schritt wurden die Kollaborationen mit Eminem, Jay-Z, LL Cool J und Nas auf die trainierten SOMs projiziert. Dabei zeigte sich ein interessantes Muster: Die Mehrheit der Songs fällt in die jeweilige Region des Produzenten auf der Karte.

Dr. Dre ist besonders dominant – 51 von 63 untersuchten Kollaborationen liegen in seinem Goniometer-Profil. Rick Rubin ist flexibler: Während seine Songs mit LL Cool J weitgehend seinem Profil entsprechen, weichen Kollaborationen mit Eminem stark ab und bewegen sich in Richtung von Dr. Dres Klangraum. Timbaland liegt zwischen beiden Polen – seine Produktionen mit Nas und Eminem bleiben seinem Stil treu, Songs mit Jay-Z und LL Cool J weichen teilweise ab. Statistische Tests bestätigen diese Dominanz der Produzenten über die Rapper.

Tool für Streamingdienste

Besonders interessant ist die Analyse von Songs, die von Rappern selbst produziert wurden. Eminem, der seine Produzentenlaufbahn unter Dr. Dre begann, ist dessen Klangprofil sehr nah: 14 von 15 seiner Songs fallen in Dr. Dres Region auf der Goniometer-Karte. LL Cool Js Produktionen erinnern stark an Rick Rubins Stil. Jay-Z und Nas wiederum sind unabhängiger: Ihre Produktionen streuen über die Karten und lassen keine klare Bindung an einen Produzenten erkennen.

Damit können Zimer, Kudakov und Reuter nicht nur ihre Frage klar beantworten: Produzenten dominieren in der Rapmusik den Klang. Sie können auch zeigen, wie wichtig Mentorenschaft dabei ist. Der Einfluss eines Produzenten geht also weit über die unmittelbare Zusammenarbeit hinaus und kann die kreative Identität von Rappern formen.

Die Autoren betonen, dass es sich um eine Fallstudie handelt, deren Ergebnisse nicht ohne Weiteres aufs gesamte Genre übertragbar sind. Aber sie legen einen Grundstein für weitere Forschungen, etwa zur Entwicklung von Klangprofilen über die Karriere eines Künstlers hinweg oder zur Untersuchung anderer Genres. Sein Tool hat das Team öffentlich zugänglich gemacht. „Ich gehe davon aus, dass eine Empfehlung durch Streaming-Plattformen, basierend auf ähnlichen Produzenten, für Hörerinnen und Hörer interessant sein könnten“, sagt Ziemer, „und eventuell sogar relevanter als solche, die auf ähnlichen Interpreten basieren.“

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