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Struwwelpeter ein Skinhead

Gesichter der Großstadt: Manfred Bofinger / Der Autor von über 300 Kinderbüchern aus dem Osten zeichnet für tapfere kleine und große Menschen  ■ Von Dorthe Ferber

Mit „Kotze, Eiter, Ketschop, Sempf und Popel“ hat Sefah die einzelnen Schichten seines gezeichneten Häufchens säuberlich beschriftet, darunter wünscht er Manfred Bofinger noch „Fiel glük“.

Anlaß der Hommage eines Drittkläßlers war „Das Gänsehautbuch“ des Ostberliner Kinderbuchautors, im Untertitel als „ABC des Grauens für tapfere Kinder und Eltern“ beschrieben. Nicht nur Sefah fand das im vergangenen Jahr erschienene Buch ganz toll, sondern auch die Kritiker.

Die norddeutschen Kinderbuchläden verliehen Bofinger gerade dafür ihren „Schnabelsteher- Preis“. Dennoch ist das Buch kein kommerzieller Renner. Texte wie „Kellerasseln, diese Süßen, krabbeln flink mit Käsefüßen, kuscheln sich an Kindleins Kopf, kriechen in den blonden Schopf“ bringen zwar die kleinen Leser zum erschauernden Lachen, doch ihre Eltern bevorzugen eben prinzipiell eher „Liebliches“.

Über mangelnden Erfolg braucht sich Bofinger dennoch nicht zu beklagen. Rund 300 Kinderbücher, so schätzt er, tragen mittlerweile seine Handschrift, als Autor, Illustrator oder Cover-Gestalter. Manfred Bofinger macht Kinderbücher und sieht genauso aus, wie man sich einen Kinderbuchautor vorstellt: eine gemütliche Erscheinung mit runder Brille und ergrautem Vollbart, gewandet in ein lustiges Hemd mit gezeichneten Elefanten und Giraffen.

In seiner schönen Treptower Altbauwohnung stapeln sich Bücher über Bücher, auf Regalen und Schränken stehen, liegen oder hängen Stofftiere, Marionetten und Blechspielzeug. Hier wohnt ein Bücher- und Kinderfreund, und einer, der die Kids ernst nimmt.

„Kinder kann man nicht beschummeln“, lautet Bofingers Credo. In seinen Büchern wird die Umwelt der kleinen Leser nicht geschönt oder verkleistert. Und weil es ihm um das Abbild der realen Welt geht, könne er sich nicht einfach hinsetzen und ein Buch über Teddybären und Piepmätze machen. Vielmehr greift er in ironischer Form alle Themen auf, die Kinder beschäftigen. Folglich ist sein Struwwelpeter ein moderner böser Bube, der als Skinhead mit dem Baseballschläger hantiert.

Bofingers Realitätsbezug hat auch einen ganz pragmatischen Grund: „In den Läden ist ja sowieso alles drin, Kinder haben alle Medien zur Verfügung und können sich jeden Horrorscheiß reinziehen.“ Selbstverständlich spielt auch seine kleine Tochter Luise mit kitschig rosa Barbiepuppen. Aber es sei eben wichtig, zu dieser beliebigen Kaufhauswelt ein Äquivalent anzubieten. Und ein solches Äquivalent bietet der 53jährige mit seinen Büchern.

Achtzig Prozent seiner derzeitigen Arbeit haben etwas mit Kindern zu tun, aber allein die verbleibenden zwanzig würden manch anderem genügen, um vollauf beschäftigt zu sein. Lakonisch vermerkt die Kurz-Vita „viele ,Schönste Bücher‘ und ,Beste Plakate‘“ als Auszeichnungen.

Im Gespräch mit Bofinger wird auch ohne Aufzählung aller Meriten schnell klar, welche ungeheure Produktivität in dem Mann steckt. Ohne Punkt und Komma erzählt er von vergangenen und zukünftigen Arbeiten, schnell springt er von der Gestaltung der „Öko- Welt“ im ZDF über das Bühnenbild für das „Theater des Westens“ zu seiner neuesten Buchidee „Grünkohl, Braunbär, bunter Specht“.

Bofinger ist geboren, aufgewachsen und wohnhaft in Berlin. Die Stadt ist für ihn noch immer Motor für sein kreatives Schaffen, und das nicht nur, weil als Provinzautor Verlegerkontakte schwieriger sind. Obwohl er die Bücher seines Kollegen Janosch schätzt, ist es für ihn unvorstellbar, wie dieser auf einer Mittelmeerinsel zu arbeiten. Um ein „stimmendes“ Werk zu verfassen, dürfe man nicht die Flucht vor der Welt ergreifen, denn: „Ich kann mir nicht dauernd die Poesie aus den Fingern saugen, auch wenn es noch so schön klingt.“

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