taz-Serie: Weltbank: Tanz der Vampire: Strukturen der Anpassung
■ Die Weltbank verändert nicht nur Dritte–Welt–Länder, sondern auch sich selbst / Kleine Weltbank–Geschichte seit Bretton Woods
Im Juli 1944, auf der Konferenz von Bretton Woods, wurde ein Institutionengefüge aus der Taufe gehoben, das vorrangig die Handschrift der US–Nachkriegsplaner trägt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sollte das Syste andere Rolle zugedacht: neue, langfristige Kapitalexporte für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Länder Europas und die Entwicklung der Dritte–Welt– Länder zu stimulieren. Die weiterreichenden Neuordnungspläne Großbritanniens, die auf eine Stärkung von Schuldnerländern abzielten, waren für die USA als reichste Gläubigermacht nicht nur völlig unakzeptabel, mehr noch, die einseitige Anpassung der Schuldnerländer wurde im Bretton–Woods–System festgeschrieben. In ihrer Organisationsstruktur weist die Weltbank deutliche Analogien zu einer Privatbank in Form einer Aktiengesellschaft auf. Die Stimmerverteilung richtet sich nach der eingezahlten Quote, mit der Folge, daß die westlichen Industrieländer etwa zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinigen (die USA sicherten sich sogar eine Sperrminorität), während die über 120 Dritte–Welt–Staaten sich bis heute mit den restlichen Stimmen begnügen müssen. Seit ihrer Gründung ist die Mitgliedschaft in der Weltbank an den Beitritt zum IWF gekoppelt. Die Weltbank startete mit einem eingezahlten Grundkapital von 10 Milliarden US–Dollar. Nach mehreren Aufstockungen sind es heute 174 Milliarden Dollar. Den überwiegenden Teil ihrer Finanzmittel beschafft sich die Weltbank durch eigene Anleihen auf den internationalen Kapitalmärkten. Bis heute genießen die Schuldverschreibungen der Weltbank ein besonders hohes „Kredit– Rating“ - sie werden mit „AAA“ als erstklassige Anlage eingestuft. In den ersten Jahren ihrer Geschäftstätigkeit vergab die Weltbank ihre Darlehen hauptsächlich für den Wiederaufbau Westeuropas; nach dem Anlaufen des Marshall–Plans im Jahre 1948 entfiel diese Aufgabe. Die Weltbank wurde ganz auf die Finanzierung von Entwicklungsvorhaben umgestellt und avancierte damit zur einfußreichsten multilateralen Entwicklungs–Institution. Bis zum Ende der 50er Jahre richteten sich die Weltbank–Akti vitäten hauptsächlich darauf, in den einzelnen Staaten ein günstiges Investitionsklima für private und ausländische Direktinvestitionen herzustellen. Zu diesem Zweck wurde die Vergabe von Darlehen anfänglich bewußt niedrig gehalten (“strategic non–lending“). In Einzelfällen wurden sie mit dem Hinweis auf ungeregelte Schulden gegenüber der US–Finanzwelt sogar verweigert (Chile, Brasilien, Bolivien, Ecuador). Die ersten Maßregelungen Mit Beginn des Kalten Krieges dehnte die Weltbank ihr Darlehensvolumen wie auch die technische Hilfe an die Dritte Welt deutlich aus und steigerte augenfällig ihre Aktivitäten im Grenzbereich zu den sozialistischen Staaten. Der Löwenanteil der Darlehen wurde damals für Infrastruktur– Projekte vergeben: etwa zwei Drittel der Finanzmittel flossen in die Sektoren Transport/Verkehr und Energiewesen. Mit diesen „Preinvestment“–Projekten verband die Weltbank regelmäßig ihre unverhohlene Mißbilligung oder Ablehnung öffentlicher Unternehmen. In Einzelfällen wurde die Kreditvergabe an Reprivatisiserungsmaßnahmen gekoppelt - etwa in Indien, Pakistan oder Ko lumbien. Nationalisierungen bzw. Verstaatlichungen ausländischer Konzerne wie auch andere unorthodoxe Wirtschaftspolitiken waren der Weltbank stets Grund genug, die Dritte–Welt–Regierungen zu maßregeln oder gegebenenfalls mit einem Kreditstop zu sanktionieren: Indonesien (1964), Brasilien (1960–64), Chile (1973/74), Afghanistan (1979 bis heute), Vietnam (1980 bis heute), Nicaragua (seit 1982). Um Privatinvestitionen direkt zu fördern, gründete die Weltbank bereits 1956 die Internationale Finanzkorporation (IFC). Diese wirkt seither als erfolgreicher Katalysator für die Zusammenführung einheimischen und ausländischen Kapitals in „joint ventures“, Gemeinschaftsunternehmen. Die IFC ist ein international geschätzter Berater für multinationale Konzerne. Kurz nach ihrer Gründung wurde der IFC die Federführung für die gesamten Weltbankaktivitäten im industriellen Sektor übertragen. Mit dem endgültigen Sieg über die direkte Kolonialherrschaft während der 60er Jahre wurden die Weltbank–Aktivitäten sprunghaft ausgedehnt. Das Grundkapital war inzwischen bereits verdoppelt worden, und für den afrikani schen Kontinent wurde das Darlehensvolumen bald verdreifacht. Die anfänglich umstrittene Gründung der IDA - diese Weltbank– Tochter vergibt Kredite zu besonders günstigen Konditionen - wurde als westlicher Kompromiß, gegen eine finanzielle Stärkung des UN–Systems, zugestanden. Insgesamt folgte die Entwicklungsfinanzierung jetzt auch einer präziseren Konzeption: Die Infrastruktur–Investitionen wie auch die Unterstzützung für die Produktion von Fertigwaren wurden auf die bestehende internationale Arbeitsteilung zugeschnitten. Kampf der Armut–nicht der Weltwirtschaftsordnung Zu Beginn der Siebziger Jahre wurde das Scheitern der bisherigen Entwicklungsstrategie immer offenkundiger; die Dritte–Welt– Länder stellten immer nachdrücklicher ihre Forderungen nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung. Da kündigte - 1973 - der seinerzeit amtierende Weltbankpräsident McNamara in seiner berühmten Nairobi–Rede einen „radikalen“ Wandel der Weltbank– Politik an: „Kampf gegen die weltweite Armut und Befriedigung der Grundbedürfnisse“ hieß die neue Devise. Das Hauptaugenmerk sollte fortan den ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung gelten, und bei der länderspezifischen Verteilung sollten die ärmsten Dritte– Welt–Länder besonders berücksichtigt werden. Gleichzeitig wurde das Darlehensvolumen rasant ausgedehnt: Von 1973 bis 1980 stieg die Summe um das Vierfache! Das Hauptanliegen der Dritte–Welt–Länder, die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung, wurde bei der Weltbank, ganz im Gegensatz zu den UN–Organisationen, nicht einmal diskussionswürdig. Das gigantische Darlehensprogramm während der 70er Jahre - die Armutsstrategie eingeschlossen - war nicht zuletzt begünstigt durch die enorme Liquidität auf den internationalen Kapitalmärkten. Als weltweit agierender Finanz–Vermittler mußte selbstredend auch die Weltbank den verstärkt anlagesuchenden Investoren attraktive Möglichkeiten schaffen. Die entwicklungspolitischen Ziele konnten demgegenüber kaum realisiert werden. Die ärmsten Drittwelt–Länder blieben wie zuvor auf die beschränkten IDA– Kredite angewiesen - die viel propagierten armuts–orientierten Projekt–Kredite machten nur einen Bruchteil der allgemeinen Darlehensvergabe aus. Etwa 75 Prozent der Finanzmittel wurden weiterhin nach traditionellem Muster vergeben. Die Zauberformel: „Strukturanpassung“ Nichtsdestotrotz ging diese Strategie den seit Beginn der 80er Jahre tonangebenden orthodox–liberlane Kreisen in den USA bereits zu weit. Die McNamara– Strategie „Umverteilung mit Wachstum“ verschwand kommentarlos aus den Weltbank–Dokumenten. An ihre Stelle trat seither eine neue Zauberformel: Strukturanpassung. Mit dem akuten Ausbruch der Verschuldungskrise trat die Weltbank vorübergehend in den Hintergrund. Das als kurzfristig angesehene Krisenmanagement wurde der rigiden Politik des IWF überlassen. Erst als diese „Anpassung mit der Brechstange“ immer offenkundiger ein wirtschaftliches „overkill“ hinterlassen hatte und die Weltbank mit einer breit gefächerten Palette neuer Instrumente für das Schuldenmanagement zurechtgeschneidert worden war, gewann sie sichtlich wieder an Bedeutung. Vor allem die Struktur– und die Sektoranpassungsdarlehen signalisieren ein deutliches Abrücken der Weltbank von ihrer traditionellen Projektorientierung zugunsten umfangreicher gesamtwirtschaftlicher Interventionen. Die Strukturanpassungen werden im „Dialog“ mit den Regierungen der Dritte–Welt–Länder „ausgehandelt“ und in einem „Letter of Development Policies“ fixiert - ganz ähnlich den IWF– „standbys“. Als Eckpfeiler gelten: Rückstellung der Produktion für den Binnenmarkt zugunsten forcierten Exports, Abbau staatlicher Interventionen in Produktion und Handel und die sogenannte Effizienssteigerung des öffentlichen Sektors - andere Worte für die Privatisierung von Staatsunternehmen. Absolute Priorität dieser „basics“ ist die Verbesserung der Zahlungsbilanz. Im Unterschied zu den üblichen IWF–Stabilisierungsabkommen sind die weltbankeigenen Struktur– und Sektoranpassungsdarlehen jedoch auf einen längeren Zeitraum angelegt - zum Teil bis über ein Jahrzehnt. Sie zielen auf tiefgreifende Umstrukturierungen in der Industrie, Landwirtschaft und im Energiesektor. Einzelmaßnahmen werden bis in empfindlichste Details festgelegt, etwa steuerliche Anreize oder die Preisgestaltung für bestimmte Waren. Flankiert werden sie durch spezielle Programme im Rahmen der (politikorientierten) technischen Hilfe. Die geballte Macht des Gläubiger–Kartells Sämtliche Strukturanpassungsprogramme wurden bislang an den vorherigen Abschluß eines IWF– Abkommens gekoppelt und waren darüberhinaus in der Regel Bestandteile eines umfassenden Finanzirungspaketes unter Beteiligung öffentlicher bilateraler Geber sowie privater Geschäftsbanken. Wie nie zuvor sehehn sich die Dritte–Welt–Länder damit der geballten Macht eines internationalen Gläubigerkartells konfrontiert. Die Resultate blieben dennoch nach weltbankeigenen Analysen weit hinter den Erwartungen zurück. Weltweite Erfolge stellt die Weltbank mit sichtlicher Genugtuung immerhin bei der Einführung marktgerechter Preise fest. Nicht selten stieß sie auf Widerstände und eine mangelnde Bereitschaft bei Dritte–Welt–Regierungen, die ausgehandelten „Reformen“ effektiv umzusetzen. Nicht minder wurde aber die hier verordnete Anpassungspolitik durch weltwirtschaftliche Schwankungen, protektionistische Praktiken in den kapitalistischen Ländern wie auch die Politik der Geschäftsbanken konterkariert. Die Rechnung dieser verfehlten Strukturanpassung zahlt bis heute die Masse der Bevölkerung in der Dritten Welt: Verarmung und Arbeitslosigkeit, Unterernährung und Kindersterblichkeit sind seit Beginn der 80er Jahre drastisch angestiegen. Bisheriges Fazit der Weltbank: 1987 wurde eine Sonderarbeitsgruppe „Armut“ installiert, die sich seither den Kopf über diverse Varianten marktkonformer Almosenprogramme zerbricht.
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