Stromausfall-Szenario für Deutschland: Wenn alle Lichter ausgehen
Aus einem bisher unveröffentlichten Bericht geht hervor, dass die deutschen Behörden auf einen Mega-Stromausfall kaum vorbereitet sind. Die Folgen wären fatal.
BERLIN taz | Das Szenario ist wenig wahrscheinlich. Aber das galt vor wenigen Wochen auch für die Vorstellung, ein Erdbeben könnte einen Super-GAU in einem japanischen Atomkraftwerk auslösen.
Der Katastrophenfall, der in einem als "vertraulich" gestempelten Bericht für den Bundestagsinnenausschuss beschrieben wird, ist ein anderer: Ein großflächiger Stromausfall von mehreren Tagen oder gar Wochen, ausgelöst durch eine Naturkatastrophe oder einen Terroranschlag.
Seit Ende 2010 liegt eine Analyse des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) vor, die bisher unter Verschluss gehalten wird. Das Fazit der Autoren ist klar: Deutschland ist auf einen solchen Fall schlecht vorbereitet. "Unterstellt man das Szenario eines mindestens zweiwöchigen und auf das Gebiet mehrerer Bundesländer übergreifenden Stromausfalls, kämen die Folgen einer Katastrophe nahe", heißt es in der 260-seitigen Studie, die der taz vorliegt. Diese wäre "nicht ,beherrschbar', allenfalls zu mildern".
Wie in Fukushima zu sehen, ist ein totaler Stromausfall in einem Atomkraftwerk fatal, weil die Kühlpumpen nicht mehr funktionieren. Auch in einem heruntergefahrenen AKW entwickelt der Reaktor enorme Nachwärme, die ohne Kühlung binnen Stunden zu einer Kernschmelze führen kann. Selbst aus dem Reaktor entfernte Brennstäbe müssen in Abklingbecken weiter gekühlt werden.
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In Deutschland sind grundsätzlich mehrere Sicherheitsebenen vorgesehen: Normalerweise liefert das Kraftwerk selbst den Strom für die Kühlung. Fällt es aus, sollte der Strom über zwei unabhängige Anschlüsse aus dem Stromnetz kommen. Sind auch die kaputt, gibt es mehrere Dieselgeneratoren, die anspringen können. Auch die können nicht ewig laufen, sondern nur, bis der Treibstoff ausgeht.
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Als letzte Ebene sollen Batterien zumindest einige Stunden Strom für die Kühlpumpen liefern. Allerdings haben viele AKWs Mängel, vor allem, was die räumliche Trennung der Systeme angeht. Bei einem Flugzeugabsturz würden sie wohl alle auf einmal ausfallen.
Unmittelbar nach dem Blackout bleiben U-Bahnen und Züge liegen, Tankstellen fallen aus, auf den Straßen bricht Chaos aus. "Es ereignen sich zahlreiche Unfälle, auch mit Verletzten und Todesopfern", heißt es in dem Bericht. Telefone, Handys und das Surfen im Internet funktionieren schon bald nicht mehr – neue DSL-Geräte fallen sogar schneller aus als die alten analogen, so die Autoren.
Auch beim Funk von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten macht modernere Technik anfälliger: Der Behördenfunk BOS wird momentan ebenfalls auf digital umgerüstet – "unter dem Aspekt der Stromabhängigkeit" bringe das "eine Verschlechterung", so die Autoren. "Für den Fall eines großflächigen und langfristigen Stromausfalls wäre der Behördenfunk denkbar schlecht vorbereitet."
Es ist ein Horrorszenario. Würde ein solcher Stromausfall nur einige Stunden andauern, wären die Folgen zu verkraften – doch schon nach zwei Tagen wird die Situation immer kritischer. "Zu Beginn ist ein Stromausfall allenfalls lästig, unbequem, für manche vielleicht beunruhigend, für andere unterhaltsam und wohltuend irritierend", heißt es in dem TAB-Bericht. "Dann aber beginnt die öffentliche Ordnung zusammenzubrechen."
Besonders dramatisch sind die Folgen in Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeheimen. "Bereits nach 24 Stunden ist die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens erheblich beeinträchtigt", heißt es in dem Bericht. Die Notstromversorgung in Krankenhäusern sei nur auf wenige Tage ausgelegt, rasch komme es zu Engpässen bei Insulin, Blutkonserven und Dialysierflüssigkeit.
Nach einer Woche beginnt das Chaos
Die Situation verschärfe sich innerhalb einer Woche derart, dass "vom weitgehenden Zusammenbrechen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung auszugehen ist". Das Fazit der Technikfolgenforscher: "Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, das heißt die gesundheitliche Schädigung beziehungsweise der Tod sehr vieler Menschen."
Schon rasch drohen auch enorme Probleme bei der Lebensmittelversorgung. Innerhalb von zwei bis fünf Tagen leeren sich die Regale, es kann zu Diebstählen und Schlägereien um die wenigen verbliebenen Waren kommen. Am Ende der ersten Woche seien dann "die Vorräte in den Geschäften und Haushalten aufgebraucht", so die Autoren. "Besonders weniger zentrale Regionen werden unvollständig versorgt."
In solchen Situationen können die Behörden auf Notfallreserven zugreifen, in denen Weizen, Milchpulver oder Reis eingelagert werden. 5.200 Notbrunnen liefern Trinkwasser. Dazu kommt eine EU-Reserve mit Getreide und Fleisch. Aber selbst diese Notrücklagen könnten bei einem Megablackout nicht ausreichen. "Trotz größter Anstrengungen kann mit großer Wahrscheinlichkeit die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung mit Lebensmitteln nur ungenügend gewährleistet werden", heißt es in dem Bericht.
Auch in den rund 200 Gefängnissen in Deutschland wären die Folgen eines Megastromausfalls kaum in den Griff zu bekommen. "Die medizinische Versorgung wird bereits nach zwei bis drei Tagen kritisch", schreiben die Autoren. Die hygienischen Bedingungen verschlechterten sich massiv, die Abwasserentsorgung drohe zusammenzubrechen, die Gefahr von Ausbrüchen steige. Selbst bei funktionierendem Notstrom müsse gegen Ende der ersten Woche eine Verlegung der Gefangenen in Betracht gezogen werden – wobei unklar ist, ob dafür überhaupt Personal organisiert werden könnte.
Sicher: Die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Blackouts in Deutschland ist momentan gering, wie die Autoren der Innenausschuss-Studie einräumen – sie werde aber in Zukunft zunehmen. Ein Grund: stärkere Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels.
Und auch die Sicherheitsbehörden halten ein solches Szenario für denkbar. Schon im Jahr 2004 haben sie bei der länderübergreifenden Krisenübung Lükex einen großen Stromausfall in Süddeutschland durchgespielt.
Zwölf Monate später sollte im Münsterland wegen Schneechaos für eine Viertelmillion Menschen mehrere Tage lang der Strom ausgehen.
Dezentralisierung der Stromversorgung
Die Technikfolgenforscher plädieren deshalb dafür, "nachhaltigere Optionen zur Bewältigung eines lang andauernden und großflächigen Stromausfalls zu entwickeln". So könnten durch eine dezentrale Stromversorgung auf Basis erneuerbarer Energien wichtige Infrastrukturen besser geschützt werden. "Regional begrenzte Inselnetze" könnten selbst bei einem Megablackout weiter Strom erzeugen.
Auch für die Informationstechnologie verweisen die Forscher auf Möglichkeiten einer "netzunabhängigen autonomen Energieversorgung" – etwa durch dezentral erzeugten Solarstrom.
Nach der Katastrophe von Fukushima liefert also auch dieser Bericht weitere Argumente für eine Energiewende.
Absolute Sicherheit vor einem großen Stromausfall könne es aber nie geben, betonen die Autoren. Auch hier stelle sich letztlich die Frage: Welches "Restrisiko" ist die Bevölkerung bereit hinzunehmen?
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