Stress am Arbeitsplatz: Multitasking führt zu Pfusch
Wer mehrere Dinge gleichzeitig bewältigen muss, macht mehr Fehler. Auch Selbstkontrolle und Fehlerkorrektur leiden darunter, sagt eine Studie.
BERLIN taz | Zwei Minuten. Zwei Minuten braucht man, um sich wieder einer Aufgabe konzentriert zuzuwenden, wenn man dabei für drei Minuten unterbrochen wurde. Darauf weist die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hin. Unterbrechungen und Überlappungen sind zu einer Last im Arbeitsleben geworden, wo eine Büromitarbeiterin in einem mittelständischen Unternehmen im Schnitt etwa 42 E-Mails am Tag bekommt.
Die gleichzeitige Kommunikation auf mehreren Ebenen, oft als Multitasking bezeichnet, verschlechtert Arbeitsergebnisse auch deswegen, weil die Fehlerberichtigung, also gewissermaßen die Selbstüberwachung der Mitarbeiter, darunter leidet. Dies zeigt eine Studie der BAuA. Bei Tätigkeiten mit weitreichenden Fehlerkonsequenzen ist „unbedingt vom sogenannten Multitasking abzuraten“, schreibt die Arbeitsforscherin Xenia Weißbecker-Klaus in der Studie.
Für das Forschungsdesign sollten 47 Probanden aus zwei Altersgruppen zum einen eine verbale Aufgabe lösen, in der sie in Wortpaaren Synonyme erkannten und dies auch mit einer Ansage bestätigten. Gleichzeitig mussten sie in einer Grafik mit mehreren Pfeilen die Richtung des mittleren Pfeils erkennen und per Knopfdruck bestätigen.
Es wurden also sowohl die akustischen und verbalen als auch die optischen und manuellen Wahrnehmungs- und Handlungskanäle simultan mit unterschiedlichen Anforderungen belastet, so wie es im Büroalltag auch oft vorkommt.
Doch trotz dieser experimentell angestrebten simultanen Verarbeitung stellte sich heraus, dass die beiden Prozesse, die bewusste Handlungen erfordern, im Zentralnervensystem nicht gleichzeitig ablaufen, sondern nacheinander. Hirnphysiologisch ist eine gleichzeitige Verarbeitung nicht möglich. Vielmehr springt das Hirn in raschem Wechsel zwischen den Aufgaben hin und her, ein anstrengendes Unterfangen. Simultanes „Multitasking“ gibt es also gar nicht.
Bei konzentrierten Arbeiten den KollegInnen signalisieren, dass man auf keinen Fall unterbrochen werden möchte. Also keinen Blickkontakt zum Mitarbeiter aufnehmen, sondern weiter auf den Bildschirm starren.
Ist eine Unterbrechung unumgänglich, zumindest eine Notiz über den Stand der Aufgabenbewältigung machen, damit man anschließend weiß, wo man wieder ansetzen kann
E-Mails in größeren Zeitabständen bündelweise abrufen und öffnen. Man muss nicht jede neue E-Mail sofort lesen oder jedem Kollegengespräch lauschen.
Selbst auch drauf achten, KollegInnen nicht zu stören. Also eine Sensibilität dafür entwickeln, ob sie hochkonzentriert an einer schwierigen Aufgabe arbeiten oder mit Routineaufgaben beschäftigt sind. Privatgespräche in der Hauptarbeitszeit besser außerhalb des Büros führen. (bd)
Verringerte Reaktionsgeschwindigkeit
Wurden die Aufgaben nun deutlich zeitlich getrennt voneinander angeboten, verarbeiteten die Probanden Fehler, indem sie anschließend ihre Reaktionsgeschwindigkeit verringerten – ein durchaus normaler Vorgang. Sollten sie die Aufgaben aber gleichzeitig lösen – also im sogenannten Multitasking – verminderten sie die Geschwindigkeit auch nach Fehlern nicht, sondern machten einfach weiter, als wäre nichts geschehen.
Dies ist ein deutliches Zeichen einer Überforderung. „Vor allem dann, wenn beide Aufgaben kontrollierte Verarbeitung erfordern, muss beim Multitasking von einem potenziellen Risiko ausgegangen werden, dass ein Teil der Fehler nicht erkannt und nicht behoben wird“, schreibt Weißbecker-Klaus.
Wenn das sogenannte Multitasking aber mehr Fehler hervorbringt, müssen die Jobbedingungen entschärft werden, etwa in Verwaltungen mit hoher Arbeitsverdichtung, in denen Zahlungsbescheide ausgestellt werden, oder in Krankenhäusern, in denen man Diagnosen und Behandlungen dokumentiert.
Fehlerüberwachung versagt
Für das Experiment waren zwei Altersgruppen gebildet worden im Alter zwischen 50 bis 65 und 20 bis 35 Jahren. Die Älteren waren generell etwas langsamer. Bei nicht automatisierten Aufgaben gelinge es aber weder dem jungen noch dem älteren Gehirn zwei Prozesse gleichzeitig zu verarbeiten und dabei eine reibungslose Fehlerüberwachung zu realisieren, berichtet die Forscherin.
Die BAuA-Studie reiht sich ein in frühere Forschungsergebnisse, wo dem sogenannten Multitasking schon ein schlechtes Zeugnis ausgestellt wurde. Unter dem Begriff subsumierten die Forscher dabei gleichzeitig oder überlappend gestellte Aufgaben oder Störungen einer konzentrierten Tätigkeit.
Möglicherweise verschlechtern häufige Arbeitsunterbrechungen sogar die Konzentrationsfähigkeit. Personen, die auf der Arbeit häufig mehrere Anforderungen gleichzeitig erledigen müssen oder häufig gestört werden, hatten in Studien größere Schwierigkeiten, zwischen den Aufgaben hin und her zu wechseln als Testpersonen, die eher selten Medien wie Computer, Telefon und Gedrucktes gleichzeitig nutzen.
Der Mythos hält sich
Obwohl die Studienergebnisse die Fehleranfälligkeit feststellen, sind Multitasker häufig von der Effektivität ihrer Leistung überzeugt, zeigen frühere Erhebungen. Der Mythos der produktiven Multitasker hält sich dabei ebenso wie die Legende von den Frauen, die angeblich, bedingt durch die Gleichzeitigkeit von Hausarbeit und Kinderbetreuung, besonders gut darin sein sollen, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen.
Forscher der Universität Glasgow stellten in Experimenten fest, dass Männer zwar etwas langsamer darin waren als Frauen, Aufgaben am Computer zu bearbeiten, wenn diese miteinander verschachtelt waren. Im Alltag aber waren Männer und Frauen gleich gut und gleich schlecht, um Aufgaben wie eine Restaurantsuche, eine Kopfrechnung und ein Telefonat gleichzeitig zu erledigen.
Immerhin zwei Drittel der Bürobeschäftigten klagen über Mehrfachbelastungen. Die Therapien in den Burnout-Kliniken vermitteln interessanterweise Anti-Stress-Strategien, die genau das Gegenteil sind vom Multitasking. In Meditationen beispielsweise lernen die Patienten, sich auf genau eine einzige Sache wie den Atem oder das Zählen zu konzentrieren und alles andere auszublenden, um damit zur Ruhe zu kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter