Streit um islamische Theologie eskaliert: Wem gehört der Islam in Münster?
Die großen Islam-Verbände fordern die Abberufung von Mouhanad Khorchide, der in Münster islamische Theologie lehrt. Die Universität ist in einer Zwickmühle.
BERLIN taz | Am Dienstag preschte der Ditib-Verband vor. Auf seiner Internet-Seite veröffentlichte der größte der deutschen Islam-Verbände, der eng mit der Religionsbehörde in der Türkei verbunden ist, eine Stellungnahme. Darin kommt er zu dem Schluss, der in Münster lehrende Religionspädagoge Mouhanad Khorchide sei als Professor für islamische Theologie „nicht tragbar“, seine Ansichten seien „zweifelhaft“.
Ditib fordert deshalb „die einschlägigen Stellen“ dazu auf, „entsprechende Schritte einzuleiten“. Das richtet sich an die Leitung der Universität Münster, die laut Grundgesetz gehalten ist, in Abstimmung mit den Religionsgemeinschaften über die Besetzung theologischer Lehrstühle zu befinden.
Der 42-jährige, im Libanon geborene Mouhanad Khorchide leitet einen der insgesamt vier Zentren für islamische Theologie, die in den letzten Jahren mit Hilfe der Bundesregierung an verschiedenen Standorten bundesweit entstanden sind. Vor drei Jahren haben die großen Islam-Verbände, die sich im „Koordinationsrat der Muslime“ zusammen geschlossen haben, noch seiner Berufung zugestimmt, doch jetzt wollen sie ihn wieder loswerden.
Denn in seinen Büchern, die er in diesem Jahr veröffentlicht hat, weicht Khorchide in einigen entscheidenden Punkten von den Vorstellungen der Verbände ab, und in seinen Interviews griff er sie sogar direkt an. Schon vor Wochen hatten die Verbände deshalb ein theologisches Gutachten angekündigt, in dem sie Khorchides Thesen zum Islam auseinander pflücken wollten.
Gott auf einen Aspekt reduziert
Auszüge aus dem 100-seitigen Papier zirkulieren bereits seit Wochen. Seine Autoren werfen Khorchide vor, er würde methodisch willkürlich vorgehen und den Koran allzu frei ins Deutsche übersetzen. Insbesondere stört es sie, dass er Gott auf einen einzigen Aspekt reduziere, nämlich auf seine Barmherzigkeit. Auch werfen sie ihm vor, er erwecke den Eindruck, es genüge schon ein tugendhaftes Verhalten, um ein guter Muslim zu sein, während es auf den rechten Glauben gar nicht mehr ankomme.
„Es gab zu viele Gerüchte und Diskussionen, wir wollten unsere Position deutlich machen“, erklärte der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime und Ditib-Mitglied Bekir Alboga, warum sein Verband jetzt, vor allen anderen, einen Teil des Gutachtens veröffentlicht hat. Alboga wirft Khorchide vor, seine Zusagen nicht eingehalten zu haben: „Er hat eine Erklärung unterschrieben, im Einklang mit den islamischen Glaubensgrundsätzen und den im Koordinationsrat vertretenen islamischen Religionsgemeinschaften zu lehren“, sagte er am Mittwoch der taz. „Nach der Unterschrift hat er seinerseits die versprochene Zusammenarbeit mit uns leider sehr vernachlässigt. Auch dadurch ging das Vertrauen in ihn verloren.“ Was ihn besonders erzürnt ist, dass in Münster zuletzt befristete Stellen ausgeschrieben und Hochschullehrer ernannt wurden, ohne dass die Verbände vorher konsultiert wurden.
„Wir haben die Erklärung von Ditib zur Kenntnis genommen“, sagte ein Sprecher der Uni Münster am Mittwoch zur taz. Aber: „Die Universitätsleitung kann nicht einfach jemanden abberufen. Es gilt die Freiheit von Lehre und Forschung“, stellt er klar: „Das einzige Gremium, dass sich dieser Frage stellen könnte, wenn er es denn will, ist der Beirat, sobald er sich konstituiert hat“.
Dieser wissenschaftliche Beirat, der die Anbindung der Islam-Verbände an die Universität garantieren soll, hat aber noch nie getagt. Eben erst haben sich Universität und Verbände darüber verständigt, wie die Plätze besetzt werden sollen, die bisher vakant waren, und angekündigt, der Beirat werde im Januar 2014 das erste Mal zusammen treten. Damit wird der Konflikt ins nächste Jahr getragen.
„Der Beirat wird sich nicht über das Votum der Verbände hinweg setzen können“, glaubt Engin Karahan, der Vize-Generalsekretär der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). „Khorchide muss einen anderen Lehrstuhl übernehmen – außerhalb der islamischen Theologie. Dort kann er dann lehren, was er will“.
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