Streit um Schulradar.de: Hamburg klagt gegen Elternkritik
Auf einem Internet-Bewertungsportal berichten Eltern über angebliche Misshandlungen von Schülern durch Lehrer. Die Hamburger Schulbehörde will die Äußerungen verbieten lassen.
BERLIN taz Es sind schwere Vorwürfe, die die Mutter erhebt. "Einige Kinder werden von Lehrkräften misshandelt, seelisch wie auch körperlich", schreibt sie auf dem Internet-Bewertungsportal schulradar.de. "Einige Kinder werden von Mitschülern aufs schlimmste verletzt und/oder erniedrigt. Die Lehrkräfte halten es nicht für nötig dies zu unterbinden." Ihr Fazit über die Hamburger Grundschule Ratsmühlendamm: "Sollte ich noch ein Kind bekommen, werde ich es niemals auf diese Schule schicken."
Ob die Anschuldigungen stimmen oder nicht, lässt sich nur schwer überprüfen: Den Kommentar hat die angebliche Mutter anonym abgegeben. Die Hamburger Schulbehörde geht gegen die Internetseite nun jedenfalls juristisch vor und will die Aussagen verbieten lassen. An diesem Dienstag wird der Fall vor dem Hamburger Landgericht verhandelt. Über die Hamburger Grundschule Ratsmühlendamm stehen seit Juni des letzten Jahres Kommentare im Netz, die nach Auffassung der Schulbehörde nicht korrekt sind.
Schulradar ist ein Projekt der Spickmich GmbH, die bereits mit ihrem Schülerportal viel Aufsehen erregte. Dort können Schüler ihre LehrerInnen benoten. Schulradar ist gedacht für Eltern, die hier die Schule ihrer Kinder bewerten und somit Tipps an andere geben können. Neben Listen mit den vermeintlich besten Schulen und einem Schulsuchsystem bietet Schulradar den Eltern die Möglichkeit Lehrkräfte, Schulleiter, die individuelle Förderung und andere Kategorien zu bewerten und zu kommentieren.
Die Schulbehörde will nicht die Seite allgemein oder die Lehrer- und Schulbewertung verbieten lassen; man wolle lediglich die Unterlassung von Kommentaren wie im Fall der Grundschule Ratsmühlendamm erwirken, sagte die Pressesprecherin der Behörde - und vor allem den Kommentar der Mutter mit den Misshandlungsvorwürfen.
Insbesondere das Wort "Misshandlung" sei auf keinen Fall als Werturteil zu verstehen, steht in der Klage. Die Behörde spricht von einer Tatsachenbehauptung, die sich zudem auf eine angebliche Straftat beziehe. "Niemand wehrt sich gegen Kritik", sagte die Sprecherin der Behörde. "Aber hier handelt es sich um üble Nachrede."
Die Betreiber des Bewertungsportals sehen das anders. Es gebe viele Beschwerden gegen die Seite, sagte Spickmich-Mitgründer Manuel Weisbrod, doch alle Fälle würden geprüft. Sollten Kommentare unbegründet oder willkürlich sein, würden diese redigiert. "Wir haben mit vielen der Eltern gesprochen und ihre Probleme stimmten überein", sagte Weisbrod der taz.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigte der taz unterdessen, dass gegen vier Lehrer der Grundschule wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt werde. Die Ermittlungen seien unabhängig von den Vorwürfen im Internet aufgenommen worden, einen Zusammenhang will der Sprecher der Staatsanwaltschaft aber nicht völlig ausschließen.
Mittlerweile haben auch andere Eltern auf Schulradar Stellung bezogen. In Ihren Kommentaren wehren sie sich gegen die Kritik an der Hamburger Grundschule. "Was die Gewaltthematik angeht, haben wir nichts ungewöhnliches mitbekommen", schreibt ein angeblicher Vater. Nur harmlose Raufereien seien schon mal vorgekommen.
Auf der Website der Grundschule Ratsmühlendamm kommentiert auch der Elternrat das Problem. Man sehe die Kommentare als "unsachlich und absolut haltlos an".
Die Eltern, von denen die Kritik kam, wollten sich aus Angst vor weiteren Repressalien nicht öffentlich äußern, sagte Schulradar-Betreiber Weisbrod. Was mit "weiteren" gemeint wird, blieb bisher offen. Schulleiter Peter Schroth will sich vor Ende der Gerichtsverhandlung zu diesem Thema nicht äußern.
Bisher haben die Gerichte immer im Sinne der Spickmich-Macher entschieden: Noch hat niemand einen Prozess gegen das Bewertungsportal gewonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“