Streit um "Panorama - die Reporter": Klavierspieler der Macht
Der NDR steht unter juristischem Beschuss, weil er kritisch über den einflussreichen Finanzdienstleister Carsten Maschmeyer berichtete.
Werner Hahn hat wieder viel zu tun. Hahn ist nicht irgendein Justiziar der ARD, sondern unter den Journalisten der beliebteste, weil er auf Angriffe nicht etwa reflexartig mit Scheu reagiert, sondern sie stets sportlich nimmt; er sieht sie als Herausforderung.
Dieses juristische Rückgrat tut beim Norddeutschen Rundfunk mehr not als andernorts, denn gerade die Recherchen von Christoph Lütgert und dessen Kollegen der Redaktion "Panorama" bescheren Hahn immer wieder Anwaltsschreiben. Aktuell will sich etwa Carsten Maschmeyer, Gründer des Finanzdienstleisters AWD und Politikerfreund, nicht mit Lütgerts Arbeit abfinden.
Das Erste hatte Mitte Januar Lütgerts Film "Der Drückerkönig und die Politik" gezeigt, in dem einerseits Vorwürfe von Kleinanlegern Thema waren, denen AWD Riskantes vermittelt haben soll. Andererseits ging es um Maschmeyers persönliche Verbindungen zu Politikern wie Exkanzler Schröder und Bundespräsident Wulff sowie um medienwirksame Auftritte, zuletzt etwa bei der Gala "Ein Herz für Kinder".
Dort, bei Thomas Gottschalk im Zweiten, legte Maschmeyer 10 Prozent auf alle Spenden drauf. Bild jubelte. Nun ist seit ein paar Tagen zu hören, dass Maschmeyer gegen den "Panorama"-Streifen vorgeht. Vor allem stört er sich an der Methode, wie Lütgert ihm und seinen Leuten, wie dem Exregierungssprecher und heutigen AWD-Mann Béla Anda, zu Leibe rückt.
Strafrechtler Gerhard Strate prüft in Maschmeyers Auftrag und hat NDR-Chef Lutz Marmor einen Fragebogen mit 6 Komplexen samt Unterpunkten zukommen lassen. Lütgert sagt, das sei zwar "fantasiebegabt", aber "ein reiner Einschüchterungsversuch". Der Deutsche Journalisten-Verband klagt: "Wer so etwas macht, hat entweder ein mehr als schlechtes Gewissen oder ist kritikunfähig." Die FAZ schlagzeilt: "Großangriff auf die Pressefreiheit". Und Maschmeyer? Weist die Vorwürfe zurück. Er lasse bloß prüfen.
Auf die Pelle rücken
Der Streit entzündet sich vor allem am Format: Das noch frische "Panorama - die Reporter" ist als Presenter-Reportage angelegt, bei der die Berichterstatter ständig im Bild tanzen. Die Redaktion findet sich nicht mit schriftlichen Interviewabsagen ab, sondern rückt den Menschen auf die Pelle: im Herbst dem Chef des Textildiscounters KiK, nach der Sitzung eines Fußballvereins. Nun Maschmeyer am Rande einer Tagung.
Diese Passage ließ Maschmeyer nach der Ausstrahlung beim Berliner Landgericht per einstweilige Verfügung aus dem Netz nehmen. Der NDR hält juristisch dagegen. Möglich, dass der Film in der ARD-Mediathek deshalb bald wieder frei von Schwärzung ist. Schon der KiK-Chef kam mit seinem ähnlich gearteten Anliegen nicht durch.
Hahn, der sich mit seinem Mitarbeiter Klaus Siekmann um den aktuellen Fall kümmert, bleibt gelassen: "Dass Leute, die mächtig sind oder sich zumindest mächtig fühlen, auf der gesamten Klaviatur spielen, um einen Film über sie zu verhindern, ist nichts Neues", sagte er der taz. "Wenn jemand so viel Geld hat, ist es ihm ja auch unbenommen, es für so etwas auszugeben."
Maschmeyer wiederum sei "im aktuellen Fall schlecht beraten", meinte Hahn: "Hätte er gar nichts gegen uns unternommen, würde wohl niemand mehr über unseren Film sprechen." Für die Überfallinterviews hätten Redaktion und Justiziar zudem einen Grundsatz: "Tue niemandem etwas an, was dir selbst nicht widerfahren soll."
In einer privaten Situation, etwa wenn jemand sein Kind in die Schule bringt, müsse er "nicht erwarten, dass da jemand von uns steht". Doch am Rande eines öffentlichen Auftritts müsse er "schon ertragen, wenn wir ihm Fragen stellen". Doch wie oft sollen und dürfen Lütgert und Co. dabei nachsetzen, die diese Szenen brauchen, damit ihre Filme funktionieren? "Das halte ich nur für eine journalistische, aber nicht für eine juristische Frage", sagt Hahn. Er wird weiter darüber streiten müssen - auch vor Gericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt