Streit um Pässe: Ungarn legt sich mit Nachbarn an
Die Regierung in Budapest bietet Angehörigen der ungarischen Minderheit Pässe an. Slowakei reagiert empört auf das neue Gesetz und droht mit Gegenmaßnahmen.
Ungarns neuer Regierungschef Viktor Orbán lässt nichts anbrennen. Kaum zusammengetreten, verabschiedete das neue Parlament in Budapest am Mittwochvormittag ein Gesetz, das in einigen Nachbarländern Empörung auslöst. Deren Staatsbürger, die eine ungarische "Ahnenlinie" nachweisen können, sollen in Zukunft einen ungarischen Pass beantragen dürfen, auch wenn sie in ihrem Heimatstaat leben. Die Novelle zum Staatsbürgerschaftsgesetz, einer der Wahlkampfschlager des rechtspopulistischen Premiers, wurde mit drei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen durch das Parlament gepeitscht. Neben der Regierungspartei Fidesz, die über mehr als zwei Drittel der Sitze verfügt, waren auch Sozialisten, einige Grüne und natürlich die Abgeordneten der rechtsextremen Jobbik für das Projekt.
Die Reaktion aus der Slowakei blieb nicht aus. Premier Robert Fico trommelte noch am Dienstag den Nationalen Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung zusammen. Das Parlament in Bratislava verabschiedete eine Erklärung, in der man sich beunruhigt zeigt darüber, dass Ungarn eine "exterritoriale Rechtsnorm, die die Bürger der Slowakischen Republik betrifft, beschließt, ohne dass sie sich über diese Norm im Sinne des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern mit den Spitzenvertretern der Slowakischen Republik konsultierte".
Tatsächlich hat Ungarns Regierung demonstrativ auf jede vorherige Konsultation verzichtet. Vizepremier Zoltán Semjén, der für Minderheiten zuständig ist, erklärte schon vor der Abstimmung: "Es ist das souveräne Recht jedes Landes zu entscheiden, wen es einbürgern will." In der Slowakei wähnen sich die Parlamentarier vor einer "erneuten Infragestellung des Friedensvertrags von Trianon von 1920 sowie der Nachkriegsordnung in Europa". Fico, auf den Mitte Juni Wahlen zukommen, droht jetzt allen slowakischen Ungarn mit einem Gesetz, das slowakische Bürger, die einen fremden Pass annehmen, automatisch ausgebürgert. Derzeit ist die Doppelstaatsbürgerschaft möglich.
Viktor Orbán hatte schon in seiner ersten Amtszeit im Juni 2001 ein "Gesetz über die Ungarn, die in Nachbarländern leben" - kurz "Statusgesetz" - beschließen lassen. Dieses räumte den Angehörigen ungarischer Minderheiten in den Nachbarländern verschiedene Vergünstigungen ein.
Auch damals war der Protest aus Bratislava nicht ausgeblieben. In der Slowakei, vor allem entlang der ungarischen Grenze, lebt etwa eine halbe Million Ungarn. Das neue Gesetz soll im Januar 2011 in Kraft treten. Etwa 1,5 Millionen Menschen in Serbien, Rumänien, Österreich, der Ukraine und der Slowakei - Gebiete, die vor 1920 ganz oder teilweise zu Großungarn gehörten - dürfen dann einen ungarischen Pass beantragen, so sie unbescholten sind, ungarisch sprechen und ihre "ungarische Abstammung" nachweisen können. Ein Wahlrecht erhalten sie zunächst ebenso wenig wie den Anspruch auf Sozialleistungen.
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