Streit um Nobelpreisträger: Alle wollen Ivo
Ivo Andric war der bekannteste Autor Jugoslawiens, der einzige, der einen Literaturnobelpreis erhielt. Aber war er Serbe, Kroate – oder Bosnier? Darum wird jetzt gestritten.
Ausgerechnet zum Nobelpreis-Jubiläum gibt es Ärger mit dem Erbe des Schriftstellers Ivo Andric. Er war Jugoslawiens berühmtester Autor, sein Roman "Die Brücke über die Drina" machte ihn weltbekannt, vor fünfzig Jahren wurde er dafür mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Nun wollen die ehemaligen Teilrepubliken Serbien, Kroatien und Bosnien ihn für sich haben, als bräuchten die jungen Staaten, die aus Titos Jugoslawien hervor gegangen sind, jeweils einen Nationalschriftsteller, um sich ihrer Eigenständigkeit zu versichern – oder den Beweis dafür, dass die jeweils anderen immer schon die Bösen waren. Es ist nicht nur ein Streit um Literatur, sondern ein Streit, der die ganze Welt der nationalistischen Vorurteile und Feindschaften auf dem Balkan wieder aufkommen lässt.
Dass Andric auf Serbisch schrieb, werten serbische Literaturwissenschaftler als eindeutigen Beweis dafür, dass Andric aber in Wahrheit eben auch Serbe war. Für Kroaten hingegen war er Kroate, weil er als solcher geboren wurde. Alle Seiten würden ihn gerne in ihren jeweiligen Kulturkanon aufnehmen. Der Streit beschäftigt mittlerweile ein Gericht. Zwischendurch unterstellten Zeitungen aus Serbien: "Kroaten klauen Andric".
Es ist eine bizarre Auseinandersetzung, die viel erzählt über die Lage in Staaten, die vor zwanzig Jahren anfingen, unabhängig zu werden, die aber immer noch das Schicksal haben, als Ex-Jugoslawien bezeichnet zu werden.
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Andric allerdings eignet sich auch perfekt als eine Art Nationalheld, den jeder für sich vereinnahmen kann – wegen seines gesamtjugoslawischen Lebensweges. 1892 nahe der bosnischen Stadt Travnik wurde er als katholischer Kroate geboren, kämpfte für eine bosnische Widerstandsgruppe gegen die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, die Bosnien nach dem Ende des Osmanische Reiches verwaltete. Später gehörte er dem Zagreber Nationalrat an, dessen Deklaration der Union von Serbien, Kroatien und Slowenien zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen quasi direkt ins Königreich Jugoslawien mündete, für das Andric als Diplomat tätig war, bis 1941 auch als Gesandter in Berlin.
Danach, mitten im Zweiten Weltkrieg, zog er sich aus der Politik zurück und schrieb an seinen Romanen. Sein wichtigstes Werk über die in Osmanischer Zeit erbaute Drina-Brücke im ostbosnischen Visegrad erschien 1945 – und wurde schnell als Symbol für "Brüderlichkeit und Einheit" adoptiert, das Motto des sozialistischen Staates Jugoslawien.
Wie Serben und Kroaten beweisen wollen, dass Ivo Andric ihnen gehört, welche Rolle bosnische Muslime bei der Bewertung von Andric’ Werk spielen und was der Regisseur Emir Kusturica mit alledem zu tun hat, lesen Sie in der Ganzen Geschichte der aktuellen sonntaz.
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