Streit um Lärm auf öffentlichen Plätzen: Das große Marktgeschrei
Anwohnern ist der Markt auf dem Berliner Kollwitzplatz zu laut, sie fordern seine Verlegung. Konflikte wie diesen gibt es viele.
DIE REGELN
Auch für Märkte gilt Paragraf 11 des Straßengesetzes: Von 22 bis 6 Uhr darf es nicht lauter sein als 55 Dezibel - was das Ohr ähnlich belastet wie eine laute Unterhaltung oder Walkmanbeschallung am oberen Pegel. Tagsüber gelten wochentags 75 Dezibel, vergleichbar einer Fahrradglocke. Marktaufbau ist am Kollwitzplatz ab 7 Uhr erlaubt. Lärmmessungen der BI liegen laut Bezirk bislang nicht vor.
ANDERE LÄRMORTE
Ärger um Lärmbelastung durch buntes Treiben auf öffentlichen Straßen und Plätzen gibt es nicht nur am Kollwitzplatz. An der verkehrsberuhigten Admiralbrücke am Landwehrkanal in Kreuzberg etwa hocken abends bei schönem Wetter viele Leute zusammen und hören Musikern zu. Gitarrenklänge und Bongotrommeln nerven manchen Anwohner, Unterschriftenaktionen sollen im Gang sein.
Vor der Volksbühne in Mitte hat eine neue Open-Air-Spielstätte Kritik hervorgerufen und zur Gründung einer "Anwohnerinitiative contra Ruhestörung" geführt.
Am Falkplatz in Prenzlauer Berg wiederum, dicht von Häusern gesäumt, protestieren Anwohner gegen die öffentliche Grillerei mit Krach, Rauchschwaden und Müll als Begleiterscheinungen. Der Bezirk denkt dort über ein Grillverbot nach.
Touristen mögen ihn wegen der Promidichte. Ökofreunde lieben ihn fürs Gemüse. Anwohner aber … hassen den Wochenmarkt auf dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg. Zumindest einige. "Wir wollen den Markt hier nicht", sagt Marina Lehmann. Daran haben auch zwei Stunden Diskussion im Speisesaal der Grundschule am Kollwitzplatz nichts ändern können. Lehmann und die Bürgerinitiative (BI) "Besser Leben im Kiez" nervt der Markt. Zu laut sei er, zu voll, zu einschränkend. Mehr als 200 Anwohner und Händler verfolgten am Montagabend erregt, wie Politiker, BI und Händler dazu an einem runden Tisch stritten.
Beschwerden über den Markt habe es schon immer gegeben, heißt es vom Bezirksamt Pankow. Die aktuelle Auseinandersetzung aber begann, als der Markt 2007 wegen Bauarbeiten auf die andere Seite des Platzes verlegt wurde, in die Knaackstraße - provisorisch, hieß es. Als daraus ein Dauerzustand wurde, gründete sich die Initiative. Seither sammelt sie Unterschriften und schreibt Protestbriefe: Lieferverkehr hole die Anwohner aus dem Schlaf, Feuerwehrzufahrten seien verstellt, Sicherheitsabstände zu klein, der Aufbau beginne früher als erlaubt.
Die Diskussion am Kollwitzplatz ist kein Einzelfall. An vielen Orten in Berlin haben jüngst Anwohner gegen Veranstaltungen vor ihrer Haustür protestiert. Dazu gehören das abendliche Get Together an der Admiralbrücke in Kreuzberg oder das Grillen am Falkplatz (siehe Kasten).
Andreas-Philipp Strube ist der Mann, auf den die geballte Kritik am Kollwitzplatz zielt. Er ist der Leiter des Markts. "Mein Kind, meine Existenz" nennt er ihn gegenüber der taz, und es klingt nicht nach einer Worthülse. Strube sitzt an diesem Abend am runden Tisch nur eine Armlänge entfernt von Lehmann. Doch reden mag sie längst nicht mehr mit ihm - "er hat mich oft genug auf der Straße zur Schnecke gemacht". Sie wolle den Markt zwar nicht eliminieren, so Lehmann, aber langfristig soll er eben weg, am besten zur Kulturbrauerei ein paar 100 Meter entfernt. Aktuell fordert sie, dass der Markt erst ab 9 Uhr aufbaut und nicht vor 11 Uhr öffnet.
Strube räumt Fehler ein, weist aber die meisten Anschuldigungen zurück. "Ich habe das Gefühl, dass Sie den Markt nicht wollen", sagt er zu Lehmann. "Ich empfehle Ihnen, aufs Land zu ziehen."
Es würde ins Klischee passen, wenn die Kritiker alle erst jüngst an den Kollwitzplatz gezogen wären und nun Gewachsenes torpedieren wollten. Das ist aber nicht so. Ein maßgeblicher Teil des Publikums sei seit Langem im Kiez zu Hause, schätzt der zuständige Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). Kirchner bestätigt Schwierigkeiten mit dem Markt; ganz unbescholten ist der Marktleiter auch für ihn nicht. "Wir müssen Herrn Strube ab und zu auf die Finger hauen", sagt er. "Das machen wir auch, aber mit weniger Geschrei." Grundsätzlich solle der Markt bleiben - "er ist eines der Markenzeichen von Prenzlauer Berg".
Punkt vier der Tagesordnung an diesem Abend hatte vorgesehen, eine Lösung zu vereinbaren. Doch dazu kommt es auch nach zwei Stunden Debatte nicht. Im Oktober sollen beide Seiten wieder zusammensitzen, bis dahin sind der Markt und Marktleiter weiter unter Beobachtung, ob alle Auflagen eingehalten werden.
Vor der Schule indes geht die Diskussion weiter. Claudia Seiring lebt seit zehn Jahren am Platz und kritisiert, dass kein Anwohner als Fürsprecher des Markts am runden Tisch gesessen habe. "Die Gegner sind aktiv, die Befürworter leider nicht." Sie verabschiedet sich mit dem Gedanken, ein T-Shirt zu drucken. Der Aufdruck: "Pro Kollo".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“