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Streit um Gewaltfreiheit

Wo ist gewaltfreier Widerstand möglich, wo kommt er einer Selbstaufgabe gleich? Mit diesen Fragen kann der Kern einer Kontroverse in der taz umschrieben werden. Die Kontrahenten waren Hannes Stein: „Der Guru und der Rabbi“ (taz, 5.1.91) und Ekkehard Krippendorff: „Kein Guru und kein Rabbi“ (taz, 19.1.91). Bezug war ein Artikel Mahatma Gandhis vom 26. November 1938. Darin empfahl dieser den deutschen Juden gewaltfreien Widerstand und wies es von sich, das Für und Wider eines Krieges gegen Hitler zu erörtern. „Wäre ich ein Jude [...], ich würde mich weigern, mich vertreiben oder entwürdigender Behandlung unterwerfen zu lassen.“ Kein Preis ist Gandhi zu hoch. Er würde die Nazis „herausfordern, mich zu erschießen oder in den Kerker zu werfen“.

Hannes Stein referierte damalige Antworten von Juden: „Wir werden wie Untermenschen behandelt, wir werden aufgefordert, Übermenschen zu sein.“ So wandte sich Hayim Greenberg gegen die menschliche Überforderung. Martin Buber und Rabbi Judah L. Magnes belegten ausführlich die tiefgreifenden Unterschiede zwischen der Situation der Inder unter britischer Kolonialherrschaft und der der Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Die von Gandhi propagierte „satyagraha“ enthalte eine Geringschätzung des Lebens, die mit dem Judentum unvereinbar sei, so Rabbi Magnes.

Hannes Stein zieht den Schluß: „Nur demokratisch verfaßte Gesellschaften garantieren eine genügend große Publicity, ohne die gewaltfreier Widerstand nicht wirksam werden kann.“

Ekkehard Krippendorff hingegen gab Gandhi recht: „Man stelle sich dieses Szenario vor: Kein deutscher Jude folgt den diskriminierenden Anordnungen der deutschen Behörden [...] Man stelle sich vor, kein deutscher Jude wäre den Befehlen gefolgt, sich zu Sammeltransporten einzufinden [...] Oder man stelle sich vor, die Kolonnen der Hunderten und Tausenden auf dem Weg zu den Güterbahnhöfen [...] hätten sich schlicht hingesetzt, Sitzstreik nennen wir das heute [...]“

Eine der damals Verfolgten stellte es sich vor. Sie schrieb einen Brief an die Redaktion, den wir hier dokumentieren. Außerdem eine Erwiderung von Birgit Imroll. d.Red.

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