Streit um Gesundheitsreform: Neue Ideen gesucht
Nach mehrstündigen Verhandlungen hat sich die Koalition darauf geeinigt, nicht mehr über die Gesundheitsreform zu streiten. Bis 2011 soll jetzt ein "vernünftiges System" gefunden werden.
![](https://taz.de/picture/307402/14/roesler_08.jpg)
BERLIN apn | Die Koalition hat ihren internen Streit über die Gesundheitsreform beigelegt und erste Fortschritte erzielt. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sagte am Samstag in Berlin nach rund achtstündigen Verhandlungen mit den Experten von CDU, CSU und FDP: "Wir werden das Sparziel von vier Milliarden Euro erreichen." Darüber hinaus werde man "ein vernünftiges System auf den Weg bringen", um das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Rösler Hilfe zu. Der FDP-Politiker habe das Recht, von der Koalition unterstützt zu werden, sagte die CDU-Chefin auf der Kreisvorsitzendenkonferenz ihrer Partei. Die Aufgabe müsse bis zum 1. Januar 2011 gelöst sein. "Diese Gesundheitspolitik müssen wir gemeinsam tragen." Man wolle Rösler nicht sitzenlassen, sondern noch vor der parlamentarischen Sommerpause helfen. Es müsse ein Sozialausgleich installiert werden, sagte Merkel.
Finanznot der Kassen größer als vermutet
Allerdings scheint die Finanznot unter den 157 Krankenkassen größer zu sein als bislang angenommen. In einem internen Rating des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden Focus zufolge 23 Kassen als "gefährdet" eingestuft. Darunter sind 20 Betriebskrankenkassen (BKK). 46 Versicherer erhalten demnach in einem sogenannten "Gefährdungsindex" des Verbandes die Warn-Bewertung "zu beobachten", darunter 30 BKKs.
Bisher hatten die drei kleineren Kassen GBK Köln, BKK für Heilberufe sowie City BKK dem Bundesversicherungsamt eine mögliche Zahlungsunfähigkeit gemeldet. Bei mehreren Pleitefällen droht dem deutschen Kassensystem ein Domino-Effekt: Die schwächelnden 69 Anbieter könnten durch Hilfszahlungen für Pleite-Kassen selbst in die Knie gezwungen werden.
Rückkehr zur Sachdebatte
Rösler erklärte, es sei gelungen, zur Sachdebatte zurückzukehren. In den vergangenen Wochen hatten sich FDP und CSU als "Wildsau" und "Gurkentruppe" beschimpft. Bei den Gesprächen herrsche mittlerweile ein "hervorragendes Klima", sagte der Minister. Jetzt gehe es darum, alle an den notwendigen Sparmaßnahmen gleichmäßig und gerecht zu beteiligen. Darüber hinaus müssten sich CDU, CSU und FDP einigen, wie in Zukunft eine vernünftige Finanzierung des Gesundheitswesen aussehen könne.
Der Minister kündigte an, die Verhandlungen, die eigentlich am Samstag weitergehen sollten, würden am Mittwoch und am 1. Juli fortgesetzt. Denn man sei so weit gekommen, dass verschiedene Punkte erst einmal im Detail berechnet und der Stand der Verhandlungen mit den Partei- und Fraktionsspitzen rückgekoppelt werden müssten.
Der CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer betonte, zum 1. Januar 2011 werde es das befürchtete Defizit von elf Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geben. "Dazu haben wir heute die Grundlagen erzielt."
Der GKV-Spitzenverband erklärte: Der erste Schritt hin zur Stabilisierung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung scheine getan. Jetzt komme es darauf an, dass die Koalition umfassende Maßnahmen zur Ausgabenreduzierung rasch beschließe und entschlossen umsetze. Die Sprecherin der Grünen für Gesundheitspolitik, Birgitt Bender, sagte dagegen, die demonstrierte Einheit der Koalition sei nichts als Feigheit vor dem Volk. Einig sei sie sich nur darin, dass sie die Versicherten mit mindestens sieben Milliarden Euro mehr belasten wolle, während die Arbeitgeber außen vor blieben.
Röslers ursprünglicher Plan war, mit einer Gesundheitsprämie ("Kopfpauschale") von rund 30 Euro im Monat und einer Anhebung der Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung das Defizit zu decken. Dagegen war die CSU Sturm gelaufen.
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