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Streit um GesundheitsreformNeue Ideen gesucht

Nach mehrstündigen Verhandlungen hat sich die Koalition darauf geeinigt, nicht mehr über die Gesundheitsreform zu streiten. Bis 2011 soll jetzt ein "vernünftiges System" gefunden werden.

Kampf vorbei? Minister Rösler erklärte, es würde jetzt wieder sachlich debattiert werden. Bild: reuters

BERLIN apn | Die Koalition hat ihren internen Streit über die Gesundheitsreform beigelegt und erste Fortschritte erzielt. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sagte am Samstag in Berlin nach rund achtstündigen Verhandlungen mit den Experten von CDU, CSU und FDP: "Wir werden das Sparziel von vier Milliarden Euro erreichen." Darüber hinaus werde man "ein vernünftiges System auf den Weg bringen", um das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Rösler Hilfe zu. Der FDP-Politiker habe das Recht, von der Koalition unterstützt zu werden, sagte die CDU-Chefin auf der Kreisvorsitzendenkonferenz ihrer Partei. Die Aufgabe müsse bis zum 1. Januar 2011 gelöst sein. "Diese Gesundheitspolitik müssen wir gemeinsam tragen." Man wolle Rösler nicht sitzenlassen, sondern noch vor der parlamentarischen Sommerpause helfen. Es müsse ein Sozialausgleich installiert werden, sagte Merkel.

Finanznot der Kassen größer als vermutet

Allerdings scheint die Finanznot unter den 157 Krankenkassen größer zu sein als bislang angenommen. In einem internen Rating des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden Focus zufolge 23 Kassen als "gefährdet" eingestuft. Darunter sind 20 Betriebskrankenkassen (BKK). 46 Versicherer erhalten demnach in einem sogenannten "Gefährdungsindex" des Verbandes die Warn-Bewertung "zu beobachten", darunter 30 BKKs.

Bisher hatten die drei kleineren Kassen GBK Köln, BKK für Heilberufe sowie City BKK dem Bundesversicherungsamt eine mögliche Zahlungsunfähigkeit gemeldet. Bei mehreren Pleitefällen droht dem deutschen Kassensystem ein Domino-Effekt: Die schwächelnden 69 Anbieter könnten durch Hilfszahlungen für Pleite-Kassen selbst in die Knie gezwungen werden.

Rückkehr zur Sachdebatte

Rösler erklärte, es sei gelungen, zur Sachdebatte zurückzukehren. In den vergangenen Wochen hatten sich FDP und CSU als "Wildsau" und "Gurkentruppe" beschimpft. Bei den Gesprächen herrsche mittlerweile ein "hervorragendes Klima", sagte der Minister. Jetzt gehe es darum, alle an den notwendigen Sparmaßnahmen gleichmäßig und gerecht zu beteiligen. Darüber hinaus müssten sich CDU, CSU und FDP einigen, wie in Zukunft eine vernünftige Finanzierung des Gesundheitswesen aussehen könne.

Der Minister kündigte an, die Verhandlungen, die eigentlich am Samstag weitergehen sollten, würden am Mittwoch und am 1. Juli fortgesetzt. Denn man sei so weit gekommen, dass verschiedene Punkte erst einmal im Detail berechnet und der Stand der Verhandlungen mit den Partei- und Fraktionsspitzen rückgekoppelt werden müssten.

Der CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer betonte, zum 1. Januar 2011 werde es das befürchtete Defizit von elf Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geben. "Dazu haben wir heute die Grundlagen erzielt."

Der GKV-Spitzenverband erklärte: Der erste Schritt hin zur Stabilisierung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung scheine getan. Jetzt komme es darauf an, dass die Koalition umfassende Maßnahmen zur Ausgabenreduzierung rasch beschließe und entschlossen umsetze. Die Sprecherin der Grünen für Gesundheitspolitik, Birgitt Bender, sagte dagegen, die demonstrierte Einheit der Koalition sei nichts als Feigheit vor dem Volk. Einig sei sie sich nur darin, dass sie die Versicherten mit mindestens sieben Milliarden Euro mehr belasten wolle, während die Arbeitgeber außen vor blieben.

Röslers ursprünglicher Plan war, mit einer Gesundheitsprämie ("Kopfpauschale") von rund 30 Euro im Monat und einer Anhebung der Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung das Defizit zu decken. Dagegen war die CSU Sturm gelaufen.

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11 Kommentare

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  • A
    ast61

    jo, eine "vernünftige" Lösung. Wer zahlts mal wieder?

     

    Regierung go home, du kannst es nicht.

  • D
    dieLINKE

    Soll doch endlich jeder selber wählen dürfen, ob er privat oder gesetzlich versichert sein möchte. ich finde es faschistisch, wenn die Parteien - nicht die priv. versicherung - vormundschaft üben, und nur beamte und besserverdienenden erlaubt frei zu entscheiden.

    weiß jemand von den lesern, warum der parteienstaat so anmaßend ist in diesem bereich ???????????????

  • HE
    Hildegard E.-.N.

    Laßt die Kassen doch alle Pleite gehen, das sind noch 158 zu viele. Es reicht eine Kasse, alle haben die gleichen Leistungen und die Verwaltungs-Wasserköpfe

    sind ausgetrocknet. Dann noch weg mit der Beitragsbemessungsgrenze und die gesetzliche KK ist saniert.

  • W
    Wolfghar

    Neue Idee ganz einfach. Jeder Arbeitnehmer zahlt im Monat pauschal 51€ mehr. Dafür bekommt er aber 1€ beim Beitrag erlassen.

    Die Unternehmen bekommen sofort 30% Ermässigung aller Beiträge.

     

    Ich kann FDP! aber wer nicht

  • S
    sauer

    lasst sie verdammt nochmal Pleite gehen,wir brauchen nicht soviele Krankenkassen,da man ja sowieso keine gescheite Behandlung mehr kriegt.Wir bezahlen 150-200

    Vorstände usw.wer bitte schön soll das noch bezahlen?

    man muss noch den Heilpraktiker hinzu ziehen,da die Ärzte keine Lust mehr haben.

  • S
    Stefan

    Also Venunft statt Politik? Das wäre doch mal was.

  • G
    Gavspav

    Liebe Frau Merkel,

    mit Herr Rösler kannst du es vergessen. Jede art von Kopfpauschale - egal wie Sie es nennen ist ungerecht. Machen Sie es mutig, und schliessen alle privat kassen inklusive von ihre Beamten kassen und dann sind alle - und war wirklich alle in die gesetzliche und erhöhen Sie die obere einkomms grenze und Problem erledigt. Leider nur ein schöne traum..............

  • V
    vic

    "Merkel gibt Rösler eine Chance"

    Und damit Novartis, GSK, Hoffmann-La Roche, und wie die Mitglieder dieser Bande alle heißen mögen.

  • V
    vic

    "ein vernünftiges System" wäre, wenn ausnahmslos alle in ein solidarisches Gesundheitssystem einzahlen würden. Und zwar jeder nach seinen finanziellen Möglichkeiten.

    Und schon wäre das Problem aus der Welt.

    Fehlte nur noch, dass Rösler und Merkel dem wildgewordenen Pharma-Lobbydschungel ein Ende bereiten.

    Aber ich bin sicher, die haben anderes im Sinn.

  • JK
    Juergen K

    Jetzt ist es raus,

    wie es gehen soll.

     

    Daas Grundgesetz wird wieder einmal geändert und erhält einen neuen Artikel:

     

    Rösler wird nicht sitzen gelassen.

    ----------------------------------

     

    Genial !

  • C
    claudia

    Die Beitragseinnahmen könne ganz leicht erhöht werden:

    1) Verbot der Zeitarbeit

     

    2) Arbeitszeitverkürzung bei vollem Tarifentgelt auf unter 30 Std. Woche.

     

    Der Beitragsschub würde die meisten Kassen innerhalb weniger Monate saniern. Nebenbei würde auch die Rentenversicherung wieder besser funktionieren. Und die Agentur für Armut hätte plötzlich höhere Einnahmen bei sinkenden Ausgaben und könnte auch etwas zur Reparatur der Agenda2010-Schäden beitragen.

     

    Dass 2) in den 80er Jahren gestoppt wurde hat ja die ganze Misere erst richtig in Gang gebracht.

     

    Man muss auch mal den Mut aufbringen, volkswirtschaftliche Fehler zu korrigieren, wenn die Folgen nicht mehr tragbar sind.