Streit um Flugrouten vom BBI aus: Politiker kriegen Flugangst
Die Verkehrssenatorin fordert Klarheit über Flughöhen und Alternativen. Derweil wächst der Protest in Umlandgemeinden: hunderte Menschen demonstrieren.
Der Protest gegen die Flugroutenplanung für den Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) wächst. Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) kritisierte am Dienstag scharf die zuständige Deutsche Flugsicherheit (DFS): Es könne nicht sein, dass die DFS plötzlich - wie jüngst geschehen - konkrete Pläne vorlege, ohne Alternativen anzubieten. Angesichts unterschiedlicher Aussagen zu Flughöhen sieht Junge-Reyer das Unternehmen "in der Pflicht", Klarheit zu schaffen. Bürgermeister aus Brandenburg schickten einen Protestbrief an Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Im Berliner Südwesten laufen Unterschriftenaktionen. Am Donnerstag soll das Berliner Abgeordnetenhaus dazu debattieren. Der BBI soll Mitte 2012 den Betrieb aufnehmen.
Die DFS hatte in einer Sitzung der Lärmschutzkommission am 6. September überraschend Routen für die Abflüge vom künftigen Großflughafen vorgestellt (taz berichtete). Demnach würden Flugzeuge vom Flughafen BBI in Schönefeld auch über Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow in Richtung Westen aufsteigen und in einer Kurve über Wannsee, den Grunewald und Dahlem weiterfliegen. Teilweise soll die Überflughöhe bei 1.500 Metern liegen. "Das Letzte, was ich dazu gehört habe, war, dass über Wannsee schon deutlich höhere Flughöhen erreicht sind", sagte Junge-Reyer am Dienstag.
Der Großflughafen in Schönefeld (BBI) soll am 3. Juni 2012 öffnen. Laut dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist dieser Termin verbindlich. Zuvor hatte es beim Bau Verzögerungen gegeben.
Der Hauptstadtflughafen ist ein Gemeinschaftsprojekt des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg. Er wird am Tag seiner Eröffnung den bisherigen Schönefelder Airport und Berlin-Tegel ersetzen und dann der drittgrößte deutsche Flughafen sein. Insgesamt werden die Kosten für den BBI mit 2,5 Milliarden Euro angegeben.
Wie die Senatorin verlangt die Bürgerinitiative "Keine Flugrouten über Berlin" Klarheit. "Wir fordern konkrete Informationen über Flughöhen und Lärmbelastung, schnell und aus erster Hand", heißt es auf der Internetseite der Initiative unter www.kfberlin.de, die Unterschriften gegen die Routen sammelt. Die Aktivisten treffen offenbar den Nerv ihrer Umgebung: Am Montagabend fanden sich in Kleinmachnow hunderte Menschen zu einer Protestkundgebung gegen ein. Die Polizei ging von 250 Teilnehmern aus, der Veranstalter sprach von 1.500 Demonstranten.
Dort verlas Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert (SPD) den Protestbrief an Regierungschef Platzeck, in dem seine Kollegen und er um Unterstützung bitten. Sie seien "entsetzt", nicht in die Planungen einbezogen worden zu sein und wollten gemeinsam gegen Absichten vorgehen, Flugrouten näher als bislang erhofft an Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf zu legen, heißt es in dem Brief.
Am 27. September sollen die zuständigen Staatssekretäre aus Berlin und Brandenburg mit der DFS über die Planungen sprechen. Senatorin Junge-Reyer drang vorab darauf, dass Sicherheit und Lärmschutz vor wirtschaftlichen Interessen stehen müssten. Indes gestand sie ein, dass letztlich nicht sie, sondern das zuständige Bundesaufsichtsamt entscheiden wird. Die Fluggesellschaften dürften wohl kaum aus Gutmenschentum Umwege in Richtung Süden in Kauf nehmen, um Flüge über der Stadt zu vermeiden: Für sie zählt meist der wirtschaftlichste und damit kürzeste Weg, um Treibstoff zu sparen und den Kohlendioxidausstoß zu mindern.
Neben der inhaltlichen Debatte zeichnet sich ein Streit über die Informationspolitik ab: Junge-Reyer sagte am Dienstag, sie kenne die Pläne mit abknickenden Flugrouten "seit dem 6. September, ungefähr 17 Uhr nachmittags". Nach ihren Angaben hat die DFS in den Gesprächen mit brandenburgischen Behörden jahrelang von Parallelflügen gesprochen. Letztere würden Teltow und seine Umgemeinden weitgehend verschonen. Die DFS indes hat in den vergangenen Tagen betont, die zuständigen Politiker noch in den 90er Jahren und mehrfach danach über das Modell abknickender Startkorridore informiert zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag