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Streit um DiktateSenator ignoriert Wissenschaft

Der neue Bildungsplan lässt benotete Diktate in der Grundschule wieder zu. Kritik kommt von einer Professorin: Diktate werden zu Unrecht als objektiv eingeschätzt.

Fördern nicht das Verstehen von Schriftstruktur: Diktate Bild: dpa

SPD-Schulsenator Ties Rabe hat zu einem weiteren Symbolthema Farbe bekannt. In die neuen Bildungspläne, die am Donnerstag von der Deputation verabschiedet wurden, fügte er das Schreiben von benoteten Diktaten in der Grundschule wieder ein. Sie sollen zwar nicht allein als Klassenarbeit zählen, dürfen aber als Teil einer solchen wieder angewandt werden.

Die Didaktik-Professorin Petra Hüttis-Graff von der Uni-Hamburg hatte zuvor in einem Brief an die Fachreferenten der Schulbehörde davor gewarnt. Die hier vorgenommene Rehabilitierung der Diktate sei "aus wissenschaftlicher Sicht ein eklatanter Rückschritt im Vergleich zu den geltenden Rahmenplänen von 2003". Sie könne es nicht mit ihrem Wissen vereinbaren, Lehramtsstudierende auf eine "Diktatpraxis" vorzubereiten.

Das Thema hatte im Zuge des Schulreform-Streits für Polarisierung gesorgt. Dabei ist die Sache aus wissenschaftlicher Warte wenig strittig. Deshalb sind Diktate auch seit acht Jahren in den Bildungsplänen nicht mehr vorgesehen. Das heißt nicht, dass Kinder Rechtschreibung nicht mehr lernen. Stattdessen sind andere Lernerfolgskontrollen vorgesehen, wie etwa Lückentexte, Abschriften oder Wörterbuchaufgaben.

Forschung über Diktate

Diktate sind nicht objektiv. Aus wissenschaftlicher Sicht spricht noch mehr gegen diese Methode.

Sie überprüfen nicht nur das Unterrichtete, sondern stets auch Stressresistenz, Schreibtempo und Konzentrationsfähigkeit. Sie sind lernpsychologisch ungünstig.

Sie unterstützen die unzureichende Rechtschreibstrategie "Schreibe wie du sprichst!". Aber Schrift bildet nicht die Sprache ab, sondern folgt eigenen Gesetzen.

Geübte Diktate überprüfen gelernte Wörter. Aber Rechtschreiben lernt man nicht durch Ansammeln von Wörtern, sondern durch Entdecken und Verstehen der Schriftstruktur.

Doch durch den neuen Bildungsplan würden Diktate "priorisiert", kritisiert Hüttis-Graff. Und es werde Lehrern erschwert, andere Instrumente gegenüber Eltern zu rechtfertigen, die aus ihrer Schulzeit hauptsächlich das Diktat kennen. Dabei würden sie "zu Unrecht" als objektiv und praktikabel eingeschätzt.

So fanden im Rahmen einer Studie im Jahr 2009 mehrere hundert Lehrer in dem gleichen Diktat eines Schülers zwischen zwei und elf Fehler. Die Zensuren reichten von einer glatten Eins bis zur Fünf. Hüttis-Graff führt weitere Argumente aus sechs Forschungsarbeiten auf. Unter anderem dienten Diktate eher der Selektion und Disziplinierung und förderten nicht das Verstehen von Schriftstruktur (siehe Kasten).

Die Professorin hatte den Entwurf der neuen Pläne im Internet gelesen und daraufhin ihren Brief verfasst, der auch an den Hamburger Grundschulverband ging. Auch dieser ist empört. "Diktate sind nicht dienlich, um Rechtschreibung zu erwerben", sagt deren Vorsitzende Susanne Peters. Sie kritisiert, dass Rabe die Fachöffentlichkeit nicht informierte und "keine Zeit ließ, den Entwurf zu diskutieren".

"An der Wiedereinführung der Diktate wird wieder schmerzhaft deutlich, wie gern Senator Rabe zu Methoden von gestern greift", kritisiert auch die GAL-Politikerin Stefanie von Berg. Dabei testeten diese "höchstens die Hörfähigkeit und die Stressresistenz der Kinder".

Die Zeit habe gedrängt, da die aktuellen Bildungspläne zum Schuljahrsende auslaufen, entgegnet Ties Rabe. Die Diskussion über Diktate sei schon vor der Wahl "über einen langen Zeitraum geführt worden", teilte der Schulsenator mit. Dabei habe es keine neuen Aspekte gegeben, die eine "spezifische Fachdiskussion nötig erscheinen ließen". Er habe im Wahlkampf seine Position deutlich gemacht und "in diesem Sinne entschieden".

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7 Kommentare

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  • GB
    Großer B.

    Der Nichtgebrauch des Futurs in der Weise des kleinen B. ist vollkommen korrekter üblicher Sprachgebrauch und stimmt auch mit dessen Beschreibung in Grammatiken überein; siehe z.B. Duden-Grammatik, 8.A., Rdnrn. 735ff. Daß " "denn" am Satzanfang steht und die nachfolgende Begründung mit "weil" eingeleitet wird", braucht der kleine B. nicht zu wissen, denn auch hier ist sein Sprachgebrauch vollkommen korrekt. Er leitet mit "denn" einen Hauptsatz ein, wie aus dessen Verbstellung hervorgeht; in der angegebenen Verschriftung, die mutmaßlich nicht vom kleinen B. stammt, könnte man das Komma vor dem "denn" durch einen Punkt, die Satzreihe durch zwei Einzelsätze ersetzen.

     

    Der einzige Fehler des kleinen B. besteht in der Verwechslung von "sich aufregen" und "aufgeregt sein". Es ist dem kleinen B. zu wünschen, daß ihm seine Eltern oder sonstjemand das bei dieser Gelegenheit zwanglos erklärt.

  • FN
    F. Nett

    @ Alina K.

    Warum soll sich der kleine B. nicht darüber aufregen? Das ist übrigens grammatikalisch korrekt - nach Ihrer Ansicht benutzt er höchstens eine falsche Vokabel. Viel schlimmer ist es, dass er - wie auch inzwischen fast alle Erwachsenen - nicht im Futur I spricht. ("Morgen werden wir in den Wildpark fahren, weil morgen Kindertag sein wird.") Ob ein kleines Kind schon wissen muss, dass "denn" am Satzanfang steht und die nachfolgende Begründung mit "weil" eingeleitet wird, lasse ich mal offen.

    Ob der kleine B. die korrekte Beherrschung der deutschen Sprache durch Diktate oder das Imitieren guter Vorbilder lernen wird, ist mir ziemlich egal. Entscheidend ist, dass er es lernen muss - und zwar auf einem höheren Niveau als SchülerVZ.

  • HB
    Hamburger Bürger

    Der Mut und die Kompetenz von Herrn Rabe ist zu bewundern.

    Als Vater habe ich seit Jahren den Eindruck, dass unsere Pädagogen und deren Ausbilder nur noch autistisch im Mikrokosmos des Schulsystems denken und handeln.

    Dass unsere Kinder aber vorbereitet werden müssen auf die Zeit nach der Schule, sprich der Wirtschaft, in der die jungen Berufsanfänger sich komplette Texte von Ausbildern und Vorgesetzten notieren müssen, lesbar auch für andere, scheinen unsere "Pädaogen" aus den Augen verloren zu haben.

    Es wird Zeit, dass künftige Pädagogen erst einen Beruf in der Wirtschaft lernen sollten, damit sie wissen, wozu Kinder zur Schule gehen.

  • B
    Bastian

    So lange die Gegner nichts vorzubringen vermögen als die ewig gleichen langweilenden Totschlagargumente und haltlose Gehirngespinnte, ist es nicht nötig, über Fug oder Unfug von Diktaten zu diskutieren.

     

    Etwas sei von gestern: wenn es sich bewährt hat, wenn es gut ist, dann ist es schlechterdings Dummheit, immer wieder moderne Pädagogenexperimente durchzuführen, die allesamt und immer, immer ein Reinfall waren. Gut, man muß die Pädagogen verstehen, die Möglichkeiten in der Berufswelt sind gering, aber das rechtfertigt doch nicht gedankenlose Experimente mit Kindern, die auf Einzelmeinungen basieren statt auf Erfahrungen der Vergangenheit, wie wir sie nur bei Methoden von gestern haben.

     

    Es ist nichts gegen Änderungen einzuwenden, aber das bloße Argument, etwas sei schon früher verwendet worden, ist doch zu mager.

     

    Das rechte Schreiben lernt man hauptsächlich durch das Ansammeln von Wörtern, durch immerwährende Wiederholung, bis das Schreiben ebenso selbstverständlich und von alleine geschehen kann wie das Sprechen. Das „Verstehen von Schriftstrukturen“ ist eine hohle Phrase; vielleicht ist damit die Frage danach gemeint, warum wir so schreiben, wie wir schreiben: an keiner Schule, in keinem Lehrplan ist mir dieses Thema je begegnet. Daß Prinzipien gelernt werden müssen, versteht sich von selbst, aber diese müssen auch angewandt werden, so oft wie möglich.

  • W
    Wortraum

    So lange die Gegner nichts vorzubringen vermögen als die ewig gleichen langweilenden Totschlagargumente und haltlose Gehirngespinnte, ist es nicht nötig, über Fug oder Unfug von Diktaten zu diskutieren.

     

    Etwas sei von gestern: wenn es sich bewährt hat, wenn es gut ist, dann ist es schlechterdings Dummheit, immer wieder moderne Pädagogenexperimente durchzuführen, die allesamt und immer, immer ein Reinfall waren. Gut, man muß die Pädagogen verstehen, die Möglichkeiten in der Berufswelt sind gering, aber das rechtfertigt doch nicht gedankenlose Experimente mit Kindern, die auf Einzelmeinungen basieren statt auf Erfahrungen der Vergangenheit, wie wir sie nur bei Methoden von gestern haben.

     

    Es ist nichts gegen Änderungen einzuwenden, aber das bloße Argument, etwas sei schon früher verwendet worden, ist doch zu mager.

     

    Das rechte Schreiben lernt man hauptsächlich durch das Ansammeln von Wörtern, durch immerwährende Wiederholung, bis das Schreiben ebenso selbstverständlich und von alleine geschehen kann wie das Sprechen. Das „Verstehen von Schriftstrukturen“ ist eine hohle Phrase; vielleicht ist damit die Frage danach gemeint, warum wir so schreiben, wie wir schreiben: an keiner Schule, in keinem Lehrplan ist mir dieses Thema je begegnet. Daß Prinzipien gelernt werden müssen, versteht sich von selbst, aber diese müssen auch angewandt werden, so oft wie möglich.

  • AK
    Alina K

    Manch einer denkt mit Wehmut an seine schöne Kindheit zurück und denkt sich: "Na, aus mir ist ja auch etwas geworden, da sollte es doch den anderen Kindern heute auch so gehn." !Das ist der ewige Stillstand.! Es gibt so viele Alternativen - gebt den Kindern und Lehrern doch endlich die Chance, individueller lernen zu können!

    Sagt der kleine B. freudestrahlend zu mir: "Morgen fahren wir in den Wildpark, denn morgen ist ja Kindertag. Ich rege mich ja so auf!" So kann ein kleiner grammatischer "Fehler" zu einem philosophischen Anstoß führen. Was ist denn der Unterschied von: "Sich aufregen" und "Aufgeregt sein"? Warum drückt das eine negative und das andere positive Gefühle aus? - "Fehler" regen dazu an, sich der Sprache wieder bewusst zu werden. Dies lernt man in erster Linie im Gespräch. Denn bevor man schreiben lernt, sollte man erst mal sprechen lernen. - Und das ist unabhängig davon, ob man Muttersprachler ist oder nicht!

  • W
    Wrolf

    Schade, dass Hamburg sich die SPD als Alleinregierung antun musste. Aber so kann sie - in der Pädagogik, in der Ökologie und in der Wirtschaft - auch dem Letzten beweisen, was sie ist: Eine Partei von gestern.