Streit um AKW-Stillegungen in Deutschland: "Wir haben keine Zweifel"
FDP-Chef Guido Westerwelle widerspricht rechtlichen Zweifeln an den AKW-Stilllegungen. Umweltminister Röttgen plädiert dafür, die längeren Laufzeiten für ältere AKWs ganz rückgängig zu machen.
BERLIN afp/dpa/dapd | FDP-Chef Guido Westerwelle hat rechtlichen Zweifeln an der vorübergehenden Stilllegung deutscher Atomkraftwerke durch die Bundesregierung widersprochen. "Wir haben keinen Hinweis darauf, dass es irgendeinen rechtlichen Zweifel daran gibt", sagte Westerwelle am Mittwoch dem Sender MDR-Info. Sicherheit sei jetzt wichtiger als jede wirtschaftliche Überlegung.
Auch FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sagte im ARD-Morgenmagazin, das verkündete Moratorium sei "rechtlich aus unserer Sicht auch zulässig". Sie habe aber nichts dagegen einzuwenden, wenn Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) jetzt wie angekündigt die Rechtslage noch einmal prüfen wolle.
Abgeordnete von CDU und SPD hatten zuvor Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von Bund und Ländern beschlossenen vorübergehenden Abschaltung von Atomkraftwerken geäußert. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lässt prüfen, ob es dazu "weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen" bedürfe. Nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers haben Lammert und der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), auch in der Sitzung der Unions-Bundestagsfraktion am Dienstag rechtliche Bedenken geäußert.
Der Unions-Obmann im Umweltausschuss, Josef Göppel (CSU), geht davon aus, dass die sieben ältesten Atomkraftwerke und der Meiler Krümmel für immer stillgelegt werden. "Ich bin überzeugt, dass es dauerhaft ist", sagte Göppel am Mittwoch der dpa am Rande einer Sondersitzung des Umweltausschusses des Bundestags zur Zukunft der 17 deutschen Atomkraftwerke.
Göppel begründete dies mit verschärften Nachrüstanforderungen nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Die Kosten würden den Betrieb der älteren Anlagen wohl unrentabel machen, so fehle etwa ein umfassender Schutz der Reaktoren gegen Flugzeugabstürze.
"Stellen Sie unter Beweis, dass Sie es ernst meinen"
Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister hat sich am Mittwoch klar und deutlich für ein schnelleres Ende der Atomenergie-Nutzung in Deutschland ausgesprochen als bisher geplant. "Die Kernenergie hat jetzt erst recht keine wirkliche Zukunft mehr. Der geeordnete und planvolle Ausstieg bleibt richtig", sagte der CDU-Politiker am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Landtag in Hannover.
"Die Beherrschbarkeit der Kernenergie ist durch die Entwicklung in Japan nachhaltig in Frage gestellt worden." Als Konsequenz aus der Reaktorkatstrophe in Japan ist das Kraftwerk Unterweser als eins von sieben in Deutschland für die nächsten drei Monate abgeschaltet.
Einen konsequenten kompletten Ausstieg aus der Atomenergie hat der Fraktionschef der SPD im niedersächsischen Landtag, Stefan Schostok, von Ministerpräsident David McAllister (CDU) gefordert. "Stellen Sie unter Beweis, dass Sie es ernst meinen mit dem kompletten Ausstieg aus der Kernenergie und kippen Sie am Freitag im Bundesrat die Atomnovelle", forderte der SPD-Politiker im Plenum in Hannover.
Schostok erinnerte daran, dass McAllister noch 2008 von einer "Renaissance der Kernenergie" gesprochen habe. "Auf einmal werden Entscheidungen möglich, die engagierte Menschen in diesem Land seit Jahren vehement erfolglos eingefordert haben", sagte Schostok. Die Ankündigungen der CDU dürften keine Beruhigungspillen sein. "Wir werden Sie an Ihrem Handeln messen", sagte der SPD-Mann.
Röttgen plädiert für strenge Sicherheitsauflagen
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) plädiert dafür, die Laufzeitverlängerung für ältere Kraftwerke rückgängig zu machen. "Wenn's nach mir ginge, müssten wir schneller als beschlossen aus der Kernenergie aussteigen", sagte Röttgen dem Magazin Stern. "Für die älteren Werke gäbe es keine Laufzeitverlängerung. Über die neuen muss man reden", fügte er hinzu.
Röttgen rechnet mit einer weiteren Nutzung der Atomkraft von einem bis eineinhalb Jahrzehnten. Damit nähert er sich den ursprünglichen Ausstiegsplänen von Rot-Grün an, in denen ursprünglich vorgesehen war, das letzte Kraftwerk um das Jahr 2022 abzuschalten.
Auch plädierte Röttgen für strenge Sicherheitsauflagen. "Weil wir morgen nicht aussteigen können und sicher noch 10 bis 15 Jahre Kernenergie haben werden, muss zwingend alles in die Sicherheit investiert werden, aber auch alles. Und zwar bis zum letzten Tag", sagte er. Die Katastrophe im japanischen AKW Fukushima habe gezeigt, "dass sich auch ein klitzekleines Restrisiko realisieren kann", sagte der Umweltminister.
Jedes AKW werde in den kommenden Monaten überprüft. "Gibt es Risiken, die wir nicht tragen wollen, muss es vom Netz", machte Röttgen deutlich.
Er appellierte an die Energiekonzerne, zu kooperieren. "Fürs Geldverdienen braucht man in einer demokratischen Gesellschaft Akzeptanz. Wer mit Kernenergie auch in Zukunft Geld verdienen möchte, muss diese Akzeptanz gewinnen", sagte er. Röttgen fügte außerdem hinzu: "Laufzeiten regelt der Gesetzgeber. Wir haben ein Gesetz beschlossen. Gesetze sind änderbar."
Die Regierung hatte am Dienstag mitgeteilt, dass die sieben vor 1980 ans Netz gegangenen AKW Neckarwestheim I, Philippsburg I (Baden-Württemberg), Biblis A und B (Hessen), Isar I (Bayern), Unterweser (Niedersachsen) und das schon stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) bis zum 15. Juni wegen Sicherheits-Checks vom Netz müssen. Zudem bleibt als achter Meiler das 1983 ans Netz gegangene und nach Pannen abgeschaltete AKW Krümmel in Schleswig-Holstein vom Netz getrennt.
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