Streit über Steuermoral: Griechenlands Fiskus fehlen Milliarden
Statistiken zeigen, dass die Bürger des Krisenstaats europaweit am wenigsten Steuern zahlen. Bloß: Was ist die Schlussfolgerung daraus?
Die Interpretation der Zahlen ist höchst unterschiedlich: Es sei „fragwürdig, von den Steuerzahlern anderer Länder in Europa höhere Beiträge zur Sanierung Griechenlands zu verlangen, weil die griechischen Bürger die fälligen Steuern nicht zahlen“, sagte der neue Chef des konservativen Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest, in der vergangenen Woche zur FAZ.
Dagegen spekulieren griechische Medien, der IWF wolle so ein weiteres Argument für einen Schuldenschnitt liefern – und darauf hinweisen, dass Steuererhöhungen die Finanzprobleme nicht lösen, sondern, im Gegenteil, die Rezession auch noch verschärfen würden. Allerdings: Ist die IWF-Statistik eigentlich stimmig?
Panagiotis Petrakis ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Athen und Verfasser zahlreicher Schriften zur Schuldenkrise und bittet um eine nüchterne Betrachtung der Dinge. Zur Steuerschuld in Höhe von 87 Milliarden gehörten nicht nur Forderungen des aktuellen Finanzjahres, sondern vor allem Altschulden, mahnt Petrakis. Ein Teil davon entfalle vermutlich auf Staatsunternehmen. Was die Privatschuldner betrifft: Vielen Menschen fehle schlicht das Geld, um Steuerschulden zu begleichen. Viele Mittelschichtler hätten ihren Job verloren, müssten aber die stetig steigenden Immobiliensteuern weiterhin zahlen – oder ihre Lebensinvestition, also Haus oder Grundstück, aufgeben.
Trotzdem hätten die griechischen Finanzbehörden zuletzt deutliche Fortschritte erzielt, betont Petrakis: Der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt liege derzeit bei 22 Prozent, noch vor wenigen Jahren wurde er auf knapp 30 Prozent berechnet. Natürlich seien die Zahlen des IMF nicht verkehrt, sagt Petrakis. Und fügt hinzu: „Die Frage ist nur: Was bezwecken wir mit diesen Zahlen? Ich fürchte, eine Schlussfolgerung in der Richtung, dass ausländische Finanzhilfen ausbleiben sollen, bis alle Steuerschulden eingetrieben sind, geht an der Realität vorbei, selbst wenn sie rein ökonomisch Sinn macht.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel