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Streit der WocheMuss die Bahnprivatisierung jetzt endgültig vom Tisch?

Die S-Bahn in Berlin stürzte ins Chaos, weil die Deutsche Bahn übertrieben viel Gewinn abschöpfte. Kann sie Börsengang und Privatisierung jetzt endgültig vergessen?

Schuld daran, falls nichts aus der Bahnprivatisierung wird? Das Berliner S-Bahn-Chaos. Bild: reuters

BERLIN taz | Endstation Berlin? Im Berliner S-Bahn-Verkehr geht in diesen Wochen gar nichts mehr. Der Hintergrund: Die S-Bahn gehört der Deutschen Bahn, und um deren Börsengang zu erleichtern, wurde aus der S-Bahn immer mehr Geld herausgezogen – auf Kosten von Qualität und Sicherheit.

Für Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) steht fest: Die Diskussion um Börsengang und Privatisierung hat sich damit für alle Zeit erledigt.

Aber muss das tatsächlich sein? Oder sind vielleicht einfach nur vermeidbare Fehler gemacht worden?

Der sonntaz-Streit der Woche

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Näheres zum Verfahren siehe im "Stichwort" rechts.

Was meinen Sie? Zeigt das Berliner Chaos tatsächlich, dass die Bahn beim Staat bleiben muss?

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19 Kommentare

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  • J
    Joachim

    Privatisierung oder nicht - das ist vielleicht noch nichtmal die wichtigeste Frage. Entscheidend sind doch die politischen Vorgaben.

     

    Die Vorgabe an Herrn Mehdorn lautete, die Bahn profitabel zu machen, und da hat er ganze Arbeit geleistet. Die Konsequenzen muss er nun nicht mehr verantworten - aus seiner Sicht ist also alles zu 100% "richtig" gelaufen.

     

    Bei der Frage nach "Privatisierung - ja oder nein" sollte man sich dort umsehen, wo Bahnverkehr erfolgreich organisiert wird. Warum kann so ein Desaster wie bei der Berliner S-Bahn bei der U-Bahn nicht passieren? Weil bei einem städtischen Verkehrsbetrieb eben diejenigen mitentscheiden, die direkt betroffen sind und unmittelbar an der Bahn wohnen.

     

    Andere erfolgreiche Bahnen sind z.B. die Usedomer Bäderbahn, die Bayerische Oberlandbahn oder der Metronom - allesamt Bahnen, die von Lokalpolitikern unterstützt werden und bei denen die Bahnverwaltungen begriffen haben, dass sie erfolgreich sind, wenn die Anwohner stolz sind auf "ihre" Bahn. Beim Metronom hat sich das Land Niedersachsen meines Wissens durch Vorhalten der Werkstätten und verleasen der Fahrzeuge einen gewichtiges Mitspracherecht gesichert. Wenn dann die Metronom-Verkehrsgesellschaft durch guten Service auch Geld verdient, soll mir das Recht sein.

     

    Die Staatsbahn von vor 25 Jahren mit den uralten Wagen, den verdreckten Bahnhöfen und dem unfreundlichen Personal will ich jedenfalls nicht mehr haben.

  • M
    manfred (57)

    Das Beispiel Bahn zeigt recht anschaulich, wie Privatisierung der Infrastruktur funktioniert: Die vorhandenen Vermögenswerte werden profitabel verwertet, den schäbigen Rest saniert dann der Staat, denn eine funktionierende Infrastruktur braucht unsere Zivilisation. Das war bei allen Privatisierungen so. Da macht die Bahn keine Ausnahme. Siehe Bahn in Großbritannien, siehe Privatisierung der Wasserversorgung, siehe Privatisierung kommunaler Wohnungen, öffentlicher Gebäude und Nahverkehrsmittel. Also: Wenn wir unsere Steuermittel nicht irgend welchen Spekulanten hinterher werfen wollen, muß die Bahn staatlich bleiben. Der Schaden ist jetzt schon groß genug.

     

    Übrigens wird mir der Straftatbestand des Handelns zum Nachteil gesellschaftlichen Eigentums, den es in der DDR gab, immer sympatischer.

  • S
    Seb

    Für mich ist der Zusammenhang der Frage unklar. Die S-Bahn Berlin ist ja gerade KEIN Beispiel für eine gescheiterte Privatisierung, sondern zeigt lediglich, dass auch ein Unternehmen in Staatshand nicht zwangsläufig besser gemanagt wird.

     

    Das, was gerade in Berlin passiert, ist zweifelsohne ein Desaster. Aber ich glaube nicht, dass die S-Bahn in der Hauptstadt nach einer Privatisierung ernsthaft gefährdet wäre. Sie bildet schließlich das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs in der gesamten Metropolregion, noch mehr als die U-Bahn, und wäre wahrscheinlich auch bei einer privatisierten Bahn ein lukratives Geschäft. Genau wie der Fernverkehr.

     

    Ernsthaft gefährdet sind - meiner Erfahrung nach - vor allem ländliche Gebiete, in denen die Eisenbahn den Charakter einer Lebensader hat. Millionen Menschen pendeln Woche für Woche mit dem Zug in die Ballungsräume und verhindern den Kollaps auf den Straßen. Doch unterm Strich sind viele Strecken nicht lukrativ, oder zumindest nicht lukrativ genug. Eine Ausdünnung des Angebots, d. h. eine geringere Taktdichte bis hin zu Streckenstilllegungen, ist gerade in strukturschwachen Regionen wahrscheinlich.

     

    Wer dies verhindern will, muss die Bahnprivatisierung verhindern. Nur unter der Kontrolle des Staates wird die Bahn sich auf das konzentrieren, was sie zu sein hat: Ein öffentliches Verkehrsmittel für alle, und keine Gelddruckmaschine für wenige.

  • S
    SiriusBerlin

    Die Bahnprivtisierung war von Anfang an Mist. Die Kritiker wiesen schon vor Jahren auf die Folgen hin, die wir jetzt hautnah zu spüren bekommen (Ich empfehle jedem den Film "Bahn unterm Hammer"!). Aber die Privatisierungsfanatiker werden das Berliner S-Bahn-Chaos ohne Skrupel für sich nutzen - nach dem Motto 'Privat wär sowas nicht passiert. Mit Wettbewerb wird alles besser und billiger.'

  • RS
    Roger Strassburg

    Die Frage müsste umgekehrt gestellt werden: Muss die Bahnprivatisierung überhaupt sein? Die Erfahrungen in Großbritannien und jetzt in Berlin zeigen deutlich, wohin diese führt. Was hat der deutsche Bahnkunde davon, dass ihre Bahn zu einem "internationalen Logistik-Unternehmen" ausgebaut wird, und dadurch die Taschen der Investoren füllt? Das Beispiel Berlin zeigt uns die Antwort.

  • A
    Andreas

    Komisch. Die Bahn darf nicht privatisiert werden, aber private Konkurrenzunternehmen machen es besser, wie ein Kommentator sagte. Schlechte Unternehmensführung gibt es bei Staats- wie bei Privatunternehmen. Monopolunternehmen sind überall schlecht. Deswegen soll das Netz auch öffentlich bleiben.

    Und mit dem ÖPNV das ist ein ganz anderes Problem. Was ist es wert, aus Steuergeldern, die möglicherweise auch anderweitig ausgegeben werden könnten, leere Züge zu finanzieren. Es fehlt an einem Gesamtkonzept, so daß auch auf dem flachen Land kostengünstig (!) gefahren werden kann.

  • D
    Delilah

    Sieht man sich die Geschichte der ganzen Privatisierungen vom öffentlichen Wasser bis hin zu den Bundesligarechten an, endete es jedesmal noch damit, daß die öffentliche Hand im Nachhinein ordentlich Geld drauf legen mußte, damit diese "Güter" den Menschen wieder zur Verfügung standen.

    Der Gewinn der durch den Verkauf erzielt wurde, verpufft erschrenkend schnell und wird zum Verlust.

    Ich weiß nicht, wie dumm man sein muß, daß dieser Fehler immer wieder gemacht wird?!

    Mir würde ein großer Stein vom Herzen fallen, wenn die Bahnprivatisierung endlich vom Tisch wäre.

  • A
    Amos

    Hoffentlich enteignet man diese mit "Sieben-Mäulern-

    Fresser" erst, bevor man die Bahn wieder in staatliche Obhut nimmt. Schlimmer kann's doch wohl nicht werden. Was nicht an die Börse gehört, darf auch nicht an die Börse. Alle großen Dienstleistungsunternehmen haben an der Börse nichts zu suchen. Der Staat wälzt die Probleme von

    sich und gibt sie an Abzocker und Spekulanten weiter, die dann die Gewinne auf den Knochen der Werktätigen einfahren. Funktioniert das auch nicht mehr wird betrogen. Nur nennt das sich im

    Kapitalismus anders.

  • UF
    Ullrich F.J. Mies

    Der eigentliche Skandal ist, dass die Bahnprivatisierung jemals "auf den Tisch" kam. Dies hängt ,mit der "neoliberalen Transformation" von Wirtschaft und Gesellschaft der letzten gut 25 Jahre zusammen.

     

    Die Verantwortlichen haben ja nicht nur die Bahn vor die Wand gefahren, der desolate Zustand des Landes ist das Werk der herrschenden "Eliten".

     

    Die Verantwortlichen sind Täter, die ja nicht nur bei der Bahn gigantische Schäden produziert haben und die Reisenden seit Jahren mit den Folgen ihrer Kostensenkungsorgien terrorisieren:

     

    Fahren auf Verschleiß heisst die Devise. Diese (in der Konsequenz verbrecherische) Politik verfolgt zwei Ziele:

    1. Kosten drücken,

    2. den "Endschrott" billig an die Börse bringen.

     

    Wer die Dinge so sieht, wie sie sich de facto darstellen, kommt schnell zu dem Ergenis, dass das gesamte politische und wirtschaftliche System von den Füßen auf den Kopf gestellt wurde und dies in voller Absicht!!!

     

    Eine strafrechtliche Verfolgung der Täter ist in diesem System "nicht vorgesehen".

  • M
    M.Malessa

    Ein alter Freund von mir arbeitet ja bei der DB, und hat mir letzten Freitag gesteckt warum das Chaos eigentlich ausgebrochen ist;

     

    Es liegt ganz einfach daran, das Schienen und die Räder der Züge geschliffen werden müssen, und das regelmäßig.

     

    Dummerweise hat das die DB das bei den Gleisen schon seit mehr als 10 Jahren nicht mehr gemacht (neu verlegte Gleise ausgenommen).

     

    Bessser noch: Die Räder der Züge konnen nicht in Berlin geschliffen werden, sondern nur in Dessau. Es gibt in Berlin einfach keine Anlagen dafür. Unterhalt und Einrichtung kosten halt Geld. Also muss der Waggon von Berlin nach Dessau geschleppt(!) werden - Wohlgemerkt, nicht der ganze Zug. Das dauert. Und genau das wird momentan in Berlin gemacht, da ihnen da kürzlich was gebrochen und entgleist ist, und siehe da, der Großteil alle Züger fast komplett verkehrsunfähig.

     

    Ein Danke an die Verantwortlichen dafür - Damit sollte sich die Diskussion um die Bahn in eine Interessante Richtung enwickeln!

  • CH
    Charlie Hillfield

    Privatisierung?

     

    Die Bahn muss nicht privatisiert werden.

    Privatisierung wird die Bahninfrastruktur leiden lassen und noch gøssere Gewinne werden erschöpft werden zu Lasten der Verbraucher.

  • RS
    Rudolf Stolze

    Großbrittanien ging doch schon mit schlechtem Beispiel voran. Bildet sich irgend jemand ernsthaft ein, dass die Marktgesetze hier plötzlich andere sind? Von nichts kommt nichts. Die Bahn muss, auch im Hinblick auf den Klimaschutz, ein öffentliches Anliegen bleiben und damit vor der Geldgier derer geschützt werden, die sich sowieso nie in einen Zug oder S-Bahn setzten würden. Die Schweiz zeigt uns wie man es macht mit einem Vorstand der selbst das nutzt, was er anderen anbietet und damit weiss, mit Qualität fängt man langfristig Kunden.

  • DJ
    Dr. Joachim Langhein

    Die Organisation eines ressourceneffizienten, bedarfsorientierten und umweltschonenden ÖPNV-Systems ist mit neoliberalen Zielsetzungen und bekanntgewordenen Handlungsweisen definitiv unvereinbar. Das bisher verfolgte Konzept von Börsengang und Privatisierung führt zu der Permanenz von ökologischem, ökonomischem, gesellschaftspolitischen Chaos, das permanent anwächst und bereits mittelfristig unsere nationale Zivilisation in ihrer Stabilität und Produktivität aufs Härteste gefährdet, Schließlich ist der Straßenverkehr ein zivilisatorisches Phänomen anzusehen, das in Zukunft wegen rasanter Ressourcenverknappung dem Niedergang entgegensieht. Auch die ökosphärischen Regenerationspotentiale werden immer stärker gefährdet.

     

    Die phantasielose Politik der regelmäßigen Preiserhöhungen ist ungerecht, konterkariert zunehmend die Regionalpolitik und führt auch zur Ausdünnung der ÖPNV-Netze, obwohl ausreichend Bedarf besteht. Das wäre eine der Folgen des Börsenganges, wie man sie in einigen angelsächsischen Ländern beobachten kann.

     

    Zulässig ist jedoch die partielle und zeitbeschränkte Privatisierung von Linienbetreibern in Konkurrenz zur DB, wie das in vielen Teilen Deutschlands sehr erfolgreich praktiziert wird, vor allem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in Teilen der übrigen Bundesländer. Die Leistungen und Kundenfreundlichkeit z.B. der Firmen Metronom oder Nord-Ostseebahn sind im Vergleich zu denen der Regionalverkehrsleistungen der DB erheblich besser und führt dazu, dass die Deutsche Bahn sich wieder mehr auf Kundenfreundlichkeit besinnen könnte.

  • A
    Against

    Kapitalistisches Blutsaugertum auf Kosten der technischen und versorgungstechnischen Sicherheit nicht gar nicht erst zulassen! Berlin beweist - wenn Gewinne in den Vordergrund rücken, bleibt Vieles im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Personal wird entlassen, es wird am Material gespart - bis es zum Supergau kommt...mit der Wirtschaftskrise ist es nichts Anderes. Eigendlich dumm sich den Ast auf dem man sitzt anzusägen, aber die Manager haben ja nichts zu befürchten - kassieren bis zum Ende und wenn dann die Hütte brennt tritt man zurück. Welch eine Geste der Buße!

  • BG
    Boris Gross

    Zuerst wurde die DDR ausverkauft und jetzt ist die BRD dran.

    Am besten wir privatisieren die Regierung gleich mit, denn die ist unfähig, verjubelt das Volksvermögen und ist verantwortlich für schlecht bezahlte Arbeitsplätze.

  • ZU
    Zug um Zug

    Die Frage muss anders gestellt werden: Lässt sich ein derart marodes Unterneh-

    men wie die Bahn überhaupt an der Börse vermarkten? Welches Interesse sollten Investoren daran haben, sich einen Berg von Problemen durch den Erwerb mangelhafter

    Produkte einzuhandeln? Die Folgekosten für die Bahn-Sanierung sind so enorm und der dafür notwendige Zeitwand wäre so lang, dass es aktuell keine Kaufinterssenten geben dürfte.

  • TL
    Thomas Lorenz

    Aus meiner Sicht ist dies ein typisches Symptom im Umfeld der Privatisierung von Infrastruktur.

    Man schaue nur nach Neuseeland, Großbritannien, ...

  • N
    Nase

    Die Bahn gehört wieder in staatliche Hände. Denn private Unternehmen schauen NUR auf gewinn, denn deren Aktionäre wollen möglichst hohe Rendite sehen. Service, Sicherheit, Pünktlichkeit leiden unter den derzeit chronisch überfüllten Transportmittel.

  • AO
    A. O. (Student in Berlin)

    Das traurige Berliner S-Bahnbeispiel zeigt was letztlich jedem klar sein sollte:

    Man ist offensichtlich bereit gewesen (auch) auf Kosten von Sicherheit und Qualität Profit zu maximieren, um fit für den Börsengang zu werden.

    Dieses wenig nachhaltige, geschweige denn am Gemeinwohl orientierte, systematische Auspressen mit volkswirtschaftlichem Schaden ist uns allen aus dem alltägliche Erleben bekannt - nicht nur bei der Bahn wird so (ab-)"gewirtschaftet".

     

    Natürlich hat sich der Börsengang der Bahn spätestens jetzt erledigt zu haben!

    Sonst sind die Menschen auf der Straße, zu recht!