Streit der Woche: Braucht Deutschland eine Siesta?
Eine ausgiebige Mittagspause kombiniert mit einem Schläfchen entspricht unserem Biorhythmus. Sollten wir dem nicht Rechnung tragen?
Was Politiker, Schlafforscher und Kindergartenkinder zur sonntaz-Frage sagen, lesen Sie in der nächsten sonntaz vom 16./17. Juli 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz an ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Wenn im deutschen Hochsommer die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, fühlt man sich wie in Spanien. „Ein Glück“, denkt der eisschleckende Freibadgänger. „Ein Pech“, denkt dagegen der Bürodeutsche, der bis in den späten Nachmittag hinein den Schweiß seiner Kollegen ertragen muss und heimlich die Südländer beneidet, die um diese Tageszeit traditionell das anscheinend Richtige tun und ihre Siesta halten. Wie verlockend ist dem Deutschen doch der Gedanke an ausgestorbene Gassen in mediterranen Gefilden, in denen nichts zu vernehmen ist als ein vereinzeltes Schnarchen.
Das ist zumindest das Klischee, das wir von unseren südlichen Miteuropäern haben. Wird es zu heiß, legt man sich in die Hängematte und schlummert, bis es wieder angenehm ist. Die Realität sieht mittlerweile jedoch anders aus. Immer mehr Spanier müssen sich dem nordeuropäischen Arbeitsrhythmus anpassen und bis zum Feierabend durcharbeiten. Dagegen regt sich Widerstand. Der „Verein der Freunde der Siesta“ zum Beispiel kämpft für die traditionelle dreistündige Mittagspause. „Die Siesta ist eine gesunde Gewohnheit, die die Batterien wieder auflädt", sagt Andres Lemes, einer der vereinten Siesta-Freunde. Im vergangenen Jahr hatte der Verein eine Siesta-Meisterschaft in einem Madrider Einkaufszentrum veranstaltet. Der Puls wurde kontrolliert, um sicherzustellen, dass die Teilnehmer wirklich schliefen. Bewertet wurde die Liegeposition und die Lautstärke des Schnarchens - der Gewinner brachte es auf 70 Dezibel.
Auch die Wissenschaft gibt den Pro-Siesta-Anhängern Recht. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Der Mensch kann das Formtief, das ihn unweigerlich nach dem Mittagessen befällt, am besten durch ein gepflegtes Mittagsschläfchen umgehen. Schuld daran ist der menschliche Biorhythmus, der förmlich nach zwei statt nur einer Schlafpause pro Tag schreit. Auch deutsche Firmen passen sich diesem Phänomen zunehmend an. Als die Stadtverwaltung von Vechta im Jahr 2000 begann, den regenerativen Schlaf ihrer Mitarbeiter zu fördern, stand sie noch alleine da, mittlerweile stellen auch große Konzerne wie BASF, Opel oder Lufthansa ihren Mitarbeitern Räume zur Verfügung, in denen sie sich hinlegen und schlafen können.
Wer jetzt sagt, die Deutschen sollen sich bloß nicht an den vermeintlich faulen Südeuropäern orientieren, dem sei gesagt, dass der gepflegte Mittagsschlaf auch bei den als fleißig geltenden Ostasiaten verbreitet ist. In Japan, wo der Inemuri, der Schlaf in der Öffentlichkeit, sogar während Arbeitskonferenzen zelebriert wird, ist es schon länger üblich, dass Firmen ihren Angestellten Plätze zum Schlafen anbieten. Auch in China und in Taiwan ist es verbreitet, dass nach dem Mittagessen erstmal die Lichter ausgehen und man nichts macht, als sich zu erholen.
Was meinen Sie? Sollten wir an Nachmittagen die Aktenordner mit der Hängematte tauschen oder weiterhin in einem Rutsch bis zum Feierabend durcharbeiten? Anders gefragt: Braucht Deutschland eine Siesta?
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